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Gentest gegen Nebenwirkungen: Fachgesellschaften raten zur Vorsorge bei 5-FU

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ein Gentest könnte 30 % der Nebenwirkungen vermeiden. Ein Gentest könnte 30 % der Nebenwirkungen vermeiden. © PhotoSG – stock.adobe.com
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Fluoropyrimidin-haltige Arzneimittel zählen zu den am häufigsten eingesetzten Zytostatika in der systemischen Tumortherapie. Ein Gentest kann Risiken für Nebenwirkungen verdeutlichen. In einem Positionspapier sprechen sich Fachgesellschaften für obligate Testungen aus – als Kassenleistung.

Die Onkologie sei in den letzten zehn Jahren von Fortschritten im Arzneimittelbereich „fast gesegnet“ gewesen, erklärte Professor Dr. Bernhard Wörmann, Berlin, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO), in einer Online-Pressekonferenz. Es gebe bessere Ansprechraten und bessere Heilungsraten. Jetzt könne auch die genetische Diagnostik zum Nutzen des Patienten eingesetzt werden.

Empfehlungen wegen Krise nur „leise aufgenommen“

Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz eines Gentests, der schwere Nebenwirkungen bei Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimitteln wie 5-­Fluorouracil (5-FU) vorhersagt. Die europäische Arzneimittelagentur EMA, konkret das Komitee für Sicherheit, habe am 20. März eine Empfehlung dazu veröffentlicht, dass alle Patienten vor einer systemischen Therapie mit den FU-haltigen Arzneimitteln 5-Fluorouracil, Capecitabin und Tegafur auf einen DPD-Mangel getestet werden sollten, so Prof. Wörmann. Diese Empfehlungen seien in internationalen Leitlinien berücksichtigt und auch in den Fachinformationen der betroffenen Arzneimittel. Allerdings seien sie „vielleicht etwas leise aufgenommen worden, weil die Veröffentlichung mit dem Beginn der Coronapandemie zusammengefallen ist“.

Nutzen-Risiko-Bilanz

Statt eines Patientenkollektivs mit einer gemeinsamen Krebsdiagnose gebe es jetzt (Biomarker-basierte)„Subgruppen“ mit verschiedensten Facetten der Nutzen-Risiko-Bilanz, erläuterte Professor Dr. Werner Knöss, Ständiger Vertreter des Präsidenten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Es gebe Patienten mit großem Nutzen und geringer Toxizität, aber auch Patienten mit geringem Nutzen und großer Toxizität. Die Big Data Task Force des BfArM analysiere die Hintergründe und Mechanismen, die zu den unterschiedlichen Wirkmechanismen führten. Ziel sei es, einen Weg in die Zukunft aufzuzeigen und neue Möglichkeiten der personalisierten Therapie bei regulatorischer Akzeptanz zu ermöglichen. Es gehe um eine dynamische Entwicklung, die auch innerhalb von Netzwerken (u.a. Behörden, Verbände und Wissenschaft, Fachverbände) stattfinden müsse. Als Beispiel führte Prof. Knöss das Projekt Harmony in Hematology an. Gefördert würde dies durch die Europäische Union über Public Private Partnership und es gehe um die Zurverfügungstellung innovativer Arzneimittel. Das BfArM sei als Projektpartner beteiligt.

Die DGHO hat dies zum Anlass genommen, in Kooperation mit weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Vorschläge zur Umsetzung dieser Empfehlung zu erarbeiten. Er sei dankbar, dass es die 37 Kollegen geschafft hätten, einen gemeinsamen Aufschlag zu machen, so Prof. Wörmann. Eine ehrenamtliche Tätigkeit dieser Art sei in der Coronakrise nicht selbstverständlich gewesen. Ziel der Arbeit sei es gewesen zu beschreiben, wie zu testen ist und was aus den Ergebnissen zu schlussfolgern ist hinsichtlich einer Änderung der Dosierung oder einer Änderung der Therapie. Professor Dr. Anke Reinacher-Schick, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft, bezeichnete 5-FU als „Oldie but Goldie“. Seit 1962 sei der Wirkstoff auf dem Markt und gelistet auf der „Model List of Essential Medicines“ der WHO. Als Haupteinsatzgebiete nannte die Ärztin Brustkrebs und Magen-Darm-Tumoren. Pro Jahr würden bis zu 110 000 Patienten in Deutschland 5-FU erhalten. Im Barmer Arzneimittelreport 2015 sei es auf Platz 5 der zehn Onkologika mit den meisten verordneten Tagesdosen ambulant gelistet gewesen.

Genvariante verantwortlich für schwere Komplikationen

Wie die Onkologin berichtete, ist die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) das Schlüsselenzym für die Fluoropyrimidin-Toxizität. Varianten im Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-Gen (DPYD) seien für 20 bis 60 % der Nebenwirkungen verantwortlich, die in seltenen Fällen bis zu Multiorganversagen und Tod führen könnten. Die Patienten litten sehr an den Nebenwirkungen, sie könnten aufgrund von Schmerzen im Mund schlecht essen, es würde blutiger Durchfall auftreten und Blasenbildung an den Händen. In 5 % der Fälle seien die schwerwiegenden Folgen mit stationärem Aufenthalt verbunden. „In 30 % der Fälle könnte eine Testung diese Nebenwirkungen vermeiden“, erläuterte die Ärztin. Die Testung sei deshalb obligat.

Die Empfehlungen aus dem Positionspapier:

  • Patienten sollen vor einer FU-haltigen Therapie auf die vier häufigsten, genetischen DPYD-Varianten getestet werden.
  • Das Ergebnis der genetischen Analyse ist Basis eines differenzierten, risikoadaptierten Algorithmus mit Empfehlungen zur Therapie mit FU-haltigen Arzneimitteln. Die genetische Analyse kann durch therapeutisches Drug Monitoring ergänzt werden.
  • Die Umsetzung der Therapieempfehlungen muss unter Berücksichtigung der individuellen Erkrankungssituation und der möglicherweise vorhandenen Therapiealternativen erfolgen.
  • Die Testung muss qualitätsgesichert durchgeführt werden. Das Ergebnis soll innerhalb einer Woche vorliegen. Das Ergebnis der Testung ist prädiktiv für die Durchführung der geplanten Chemotherapie und damit obligater Bestandteil der personalisierten Therapieplanung.

Wie aus dem gemeinsamen Positionspapier hervorgeht, tragen bis zu 9 % der Patienten europäischer Herkunft eine DPD-Genvariante, die zu einer verminderten Aktivität führt, und ca. 0,5 % weisen einen vollständigen Mangel auf. Die Kosten zwischen 200 und 800 Euro für den nur einmalig erforderlichen Test sind somit überschaubar. Die Kostenerstattungspraxis der Kassen sei jedoch unterschiedlich, so Prof. Wörmann. Manche zahlten, andere sähen im Test eine Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL). „IGeL halte ich jedoch für völlig inakzeptabel. Ich halte es für eine Kassenleistung“, betonte der Onkologe. Für die Kassen käme der Test letztlich auch güns­tiger, als wenn von 76 000 Patienten 1200 schwere Nebenwirkungen entwickelten. Vielleicht müsse der Test noch durch den gemeinsamen Bewertungsausschuss gehen, damit eine einheitliche Kostenpauschale festgelegt würde. Es sei im Übrigen ein ambulanter Test, der stationäre Bereich sei nicht betroffen.

Quelle: DGHO-Pressekonferenz

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