Anzeige

Geschmacksverirrungen aus der Atteste-Küche

Autor: Dr. Frauke Höllering

Anzeige

Wegen eines Praktikumsattests gleich nach Tbc, Hepatitis und HIV fahnden? Solche Atteste sollen doch nur juristische Pseudobedürfnisse befriedigen kritisiert Dr. Frauke Höllering.

Der junge Mann hatte, wie es so üblich ist, allerlei Kleinigkeiten mit mir besprochen. Da Twens zum Glück selten richtig krank sind, pflegen Sie gern kleinere Beschwerden zu bündeln. Langsam wurde ich ungeduldig, hatte sich der Termin doch länger als erwartet hingezogen.


„Da wäre dann noch etwas“, sagte der Patient ungerührt und ich sank auf meinen Sessel zurück. „Ich hätte gerne ein Attest von Ihnen, dass ich während der Unterrichtsstunden die Toilette besuchen darf.“ Nun habe ich schon viele hirnrissige Atteste geschrieben, aber so etwas noch nicht. „Haben Sie denn Blasenbeschwerden?“, fragte ich ungläubig; er hatte über nichts dergleichen geklagt. „Nein“, entgegnete er, „ich trinke nur viel und dann muss ich halt zwischendurch raus. Das verstehen meine Lehrer nicht.“

»Praktikum nur noch mit MRSA-Test möglich?«

Ich verstand das auch nicht, denn eine Junge-Männer-Blase sollte doch 45 Minuten durchhalten können … Als Seglerin, die oft ohne Bordtoilette unterwegs war, verfügte ich in seinem Alter über ganz andere Kapazitäten. Es stellte sich heraus, dass mein Gegenüber den ganzen Tag an der Flasche hing und währenddessen über vier Liter trank. Ein schnell durchgeführter Zuckertest verlief negativ und im Verlauf wurde klar: Er trank einfach aus Gewohnheit ständig Wasser und auch deswegen, weil in Deutschlands bunten Blättern permanent gemahnt wird, man solle mindestens drei Liter trinken.Statt des Attestes gab es Aufklärung, die diesmal reichte.


Die absurdesten Atteste aber sind jene, mit denen ich Praktikanten oder Berufsanfängern bescheinigen soll, dass sie frei von ansteckenden Krankheiten sind. Nähme ich sie ernst, müsste ich Sputum auf Tuberkel, die Lunge auf fiese Verschattungen und das Blut auf HIV und Hepatitis B untersuchen. MRSA- Abstriche wären obligat und natürlich müsste ich eine akribische Körperuntersuchung auf Läuse, Krätzmilben und andere Parasiten durchführen. Der Stuhl müsste auf Würmer überprüft, das Blutbild analysiert werden. Die Kosten dafür habe ich noch nicht zusammengerechnet, aber es käme ein hübsches dreistelliges Sümmchen heraus.


Da war sie wieder, die Standardpatientin, süße 16 und kurz vor einem Krankenhauspraktikum. „Ich brauche ein Attest für die zwei Wochen“, bat sie mich und schaute mich erwartungsvoll an. Ich entschloss mich wieder einmal, nach Aspekt und Datenlage zu urteilen, erklärte ihr die Sachlage und endete: „Wenn ich all die nötigen Untersuchungen durchführte, dann könnten Sie sich ja trotzdem einen Tag vor Praktikumsbeginn mit irgendetwas infizieren und die ganzen Kosten und Mühen wären umsonst gewesen.

»Sporttauglichkeit darf doch nicht zwei Jahre gelten«

Also spare ich uns den Aufwand und schiebe zwei kleine Buchstaben (‚m.E.‘) in das Attest. Meines Erachtens nämlich sind Sie gesund.“ Falls mein Erachten trüge, täte es mir leid, aber ich bin überzeugt davon, dass diese Bescheinigungen nur der Befriedigung juristischer Pseudobelange dienen. Natürlich war die junge Dame einverstanden und die Gebühr reduzierte sich auf ein Minimum.


Noch abstruser war das Attest, das mein jüngerer Sohn regelmäßig für seine kleine Tennisturnier-Karriere brauchte. Auch ihm musste jene Gesundheit bescheinigt werden, die er für die Turnierteilnahme brauchte. Gerne: Aber warum war so ein Attest zwei Jahre gültig? Eine hässliche eitrige Angina, eine unglückliche Herzbeteiligung während eines Virusinfektes, eine Milzschwellung durch Pfeiffer’sches Drüsenfieber hätte seine Gesundheit derart beeinträchtigt, dass jeder Turnierstart Wahnsinn gewesen wäre. Aber diskutieren war zwecklos, der Zettel musste vorliegen. Hier wittere ich Morgenluft, denn in den letzten Jahren musste ich solche Bescheinigungen nicht mehr ausfüllen. Ist man etwa klüger geworden?


Aber natürlich gibt es Bescheinigungen, die ich wirklich ernst nehme: Niemals würde ich jemandem Tauchfähigkeit bescheinigen, ohne dass er einen normalen Lungenfunktionstest absolviert hätte, oder die Fähigkeit, in der Altenpflege zu arbeiten, wenn die eigene Körperhygiene schon so mangelhaft ist, dass ich nach dem Gespräch erst einmal durchlüften muss. Ich konstatiere, diese Kolumne im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte geschrieben zu haben. Falls nötig, wird meine Kollegin das gerne bescheinigen. Das hoffe ich jedenfalls!

Anzeige