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Goldstandards, Lifestyle und Freiwilliger Zwang

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Unser Kolumnist wundert sich, warum man jeden Flug per Handy buchen kann, für Fortbildungen aber immer noch die alten Papierfitzel braucht. Und auch sonst ist so einiges nicht so ganz modern bei der Ärtzlichen Weiterbildung.

Fortbildung ist wichtig, na klar! Wir Ärzte sollten unser Wissen stets auf dem neuesten Stand halten. Diese Ansicht ist von uns allgemein akzeptiert. „Und das ist auch gut so!“ (Berühmtester Kommentar Klaus Wowereits, mit Verlaub ausgeliehen.) Brauchen wir dazu aber eine eigene Fortbildungspflicht?

Ich versuch’s mal so zu erklären. Nehmen wir einen milden Sommerabend mit Biergartenwetter. Angenommen, ich schwöre jetzt, dass ich zweifelsfrei und freiwillig auf jeden Fall in einen abgedunkelten Vortragssaal gehen werde, um mir Statistiken über Vermehrungszyklen von Stechmücken und so grauslichem Viehzeug anzusehen, das noch grauslichere Erreger mit sich schleppt, um uns fürchterlich krank zu machen? Das glaubt mir doch keiner. Die KV schon gleich gar nicht.

Um unser Gewissen zu unterstützen, hat man sich daher vor Jahren schon die „Pickerl“ einfallen lassen. So nennt man hier, an der Grenze zu Österreich, liebevoll die Klebeetiketten zum Anwesenheitsnachweis. Heutzutage, da man einen Flug nach Shanghai per Knopfdruck auf dem Handy buchen kann, stellen wir uns also in einer Reihe an und kleben Papierfitzelchen auf!

Es ist so ähnlich wie damals mit den Praxiscomputern. Man hat sie mir aufs Auge gedrückt unter dem Schlagwort „die papierfreie Praxis“ und seither kauf ich jeden Monat im Müller-Markt mehr Papier ein als zuvor. Modern times bedeutet in der Bürokratie nicht immer Fortschritt. Aber „Pickerl“ hin oder her: Weiterbildung halten doch alle für eine gute Sache. Allein schon, um eigene Entscheidungen zu überprüfen.

Wir sind Anwälte unserer Patienten. Punkt.

Denn es kommt Freude auf, wenn zu hören ist, dass die in New York, Tokio und Berlin nichts anderes machen als der Hausarzt im Altersheim in Bischofswiesen am Vortag. Da die letztgenannte Location nicht so bekannt ist, noch ein anderes Beispiel: Auch der ostfriesische Notarztkollege profitiert von qualifizierter Fortbildung. Wenn man bei einem Blinddarmeinsatz auf der nördlichsten Hallig die Mortalitätsstatistiken einer Akut-Op. aus dem neuesten Lancet fehlerfrei vorbeten kann, macht das einfach etwas her. Auch wenn die Nordsee schon über den Deich schwappt. Notärzte stört so was eh nicht. Sie bleiben ja bekanntlich von Haus aus in jeder Situation ganz cool. Sagt das Fernsehen.

Hinzu kommt: Es hat sich in den letzten Jahren doch einiges verändert. Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Verallgemeinerung, die ein bisschen noch auf wackligen Beinen steht. Ich nenne das zarte Pflänzchen etwas optimistisch „die neue Fortbildungskultur“. Es geht zwar auch weiterhin in erster Linie um pharmakologische Substrate samt ihren Wirkmechanismen. Aber immer mehr steht bei den anschließenden Diskussionen der Gesamtzusammenhang im Fokus.

Vor allem jüngere Kolleginnen und Kollegen geben sich nicht mehr damit zufrieden, wenn evidenzbasierte Verbesserungen im Promillebereich als Fortschritt verkauft werden, während kein Wort über Basismaßnahmen fällt. Sie haken da nach, womit wir im Praxisalltag so unsere Erfahrungen machen.

Kürzlich durfte ich viele bunte Bilder von Magenbypässen und Schlauchmägen goutieren. Zum Nachschlag gab es Tabellen über Adipositaskranke, Diabetiker und Hochdruckpatienten. Wirklich unappetitliche, allein vom Anschauen krank machende Kurven! Sie würden freilich alle in den Keller rasen – wie Spekulationspapiere beim letzten Börsencrash –, wenn der Kranke, bitte, bitte, doch nur ein paar kleine Kilöchen abnehmen würde.

Bewegung ist ein sehr wirksames First-level-Medikament

Keine Angst. Ich werde jetzt nicht auf unglücklichen Dickerchen, Rauchern und Psychos herumhacken. Schon gar nicht will ich nach höheren Prämien für die Sünderlein schreien. Denn ich bin der Meinung, dass wir Ärzte weder Versicherungslobbyisten noch Gesundheitspolizisten sind. Wir sind Anwälte unserer Patienten. Punkt. Damit haben wir ohnehin genug zu tun. Das bedeutet aber nicht, dass wir zusehen müssen, wie sie blindlings in ihr Unglück rennen. Oder, wie die Adipösen, eher schleichen.

Bei COPD, Diabetes und koronarer Herzkrankheit – um nur die Wichtigsten zu nennen – ist Bewegung ein „First-level-Medikament“, oft wirksamer als ausgeklügelte Mehrfachtherapien. Das muss man dem Patienten auch sagen dürfen. Nicht nur von Zeit zu Zeit ein bisschen schüchtern am Medikamentenplan zupfen, in der Hoffnung, es bessert sich damit was. Also, sprengen wir weiterhin geschlossene Fragezirkel. Schließlich stehen vorne die besten Leute, die Bescheid wissen sollten! Und der ein oder andere Dozent rückt dann vielleicht schon mal die Schwerpunkte etwas zurecht. So wie wir sie eben aus dem Praxisalltag her kennen. Denn sie wissen ja auch, dass man mit Überzeugungsarbeit in Gesundheitsbewusstsein und „Lifestyle“ oft mehr bewirken kann als mit Goldstandards für Medikamenten- Schluckspechte.

Auf geht’s also zu den Fortbildungen. Weiter so. Unabhängig vom Sommerwetter. Und trotz Pickerl. Ganz freiwillig, gezwungenermaßen.

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