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Hätte sich das Drama verhindern lassen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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149 Menschen riss Copilot Andreas Lubitz am 24. März 2015 beim gezielten Absturz einer Germanwings-Maschine mit in den Tod. Die Risiken seiner Erkrankungen waren nicht erkannt worden. Die Flugsicherheitsbehörde fordert deshalb u.a. Ausnahmen von der Schweigepflicht und ein Training für Sachverständige.

Die französische Ermittlungsbehörde für Flugsicherheit BEA legte ein Jahr nach dem Absturz ihren Abschlussbericht vor. Sie kommt darin zu dem Schluss, dass Lubitz gar nicht als Pilot hätte fliegen dürfen, denn er sei aufgrund einer psychiatrischen Störung und der Einnahme psychotropischer Medikamente fluguntauglich gewesen.

Detailliert wird im Bericht die medizinische Krankengeschichte des Mannes beschrieben, der bereits 2008 als Copilot mit seinem behandelnden Psychiater mehrere Nicht-Selbstmord-Pakte vereinbart hatte und der im selben Jahr noch wegen Depressio­nen stationär aufgenommen wurde. Der Bericht enthält u.a. eine Dokumentation der Kontakte mit privaten Ärzten und mit flugmedizinischen Sachverständigen. Genannt werden hier auch Krankschreibungen sowie Verordnungen über verschiedene Psychopharmaka.

Copilot meldet AU nicht seinem Arbeitgeber

Lubitz‘ Ärzte-Hopping beginnt 2014. Im November sucht er Arzt A auf, der ihn für fünf Tage krank schreibt. Im Dezember wendet sich der Copilot an verschiedene Augenärzte. Er klagt über Seh- und Schlafstörungen. Alle Mediziner sehen keine organischen Gründe. Arzt B bescheinigt Lubitz schließlich im Februar 2015 die Arbeitsunfähigkeit, die dieser aber nicht Germanwings meldet.

Arzt C überweist Lubitz kurz danach an einen Psychiater wegen psychosomatischer und Angststörungen und verordnet das Schlafmittel Zopiclon. Es folgen weitere Arztbesuche und weitere Krankschreibungen. Verordnet wird inzwischen Mirtazapin gegen Depressionen.

14 Tage vor dem Absturztag erhält Lubitz von Arzt C die Überweisung für eine stationäre, psychiatrische Behandlung aufgrund einer möglichen Psychose. Zwei Tage später schreibt ihn der gleiche Arzt für 19 Tage krank. Auch diese AU-Bescheinigung übermittelt Lubitz nicht an Germanwings. Am 16. März verordnet ein Psychiater Escitalopram, Dominal und Zolpidem gegen Depressionen bzw. Schlafstörungen. Arzt E schreibt Lubitz am 18. März für fünf Tage arbeitsunfähig.

All diese Vorgänge blieben den flugmedizinischen Sachverständigen verborgen, denn keiner der behandelnden Ärzte und Psychiater hatte medizinische Bedenken zum psychischen Zustand des Copiloten an die Luftfahrtbehörde gemeldet.

Sachverständige bemerkten keine psychischen Störungen

Auch die Antworten und Reaktionen des Copiloten auf Fragen der Prüfer erregten keinen Verdacht auf "eventuell vorhandene neurotische, psychische, Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen, welche weitere psychiatrische Untersuchungen notwendig gemacht hätten".

Auch keiner der Piloten und Ausbilder, die in den Monaten vor dem Unfall mit Lubitz geflogen sind und während der Untersuchung befragt wurden, hatte Bedenken bezüglich dessen Einstellung oder seines Verhaltens während der Flüge geäußert.

Im Rahmen einer Sondergenehmigung, die auf der Beurteilung eines Psychiaters basierte, erhielt Lubitz nach seiner Pilotenausbildung 2009 ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1.

Obwohl Depressionen bekannt waren, gab es keine Vorgaben für spezielle regelmäßige Beurteilungen durch einen Psychiater oder Auflagen für eine Verkürzung der Zeit zwischen zwei Beurteilungen. Das Zertifikat wurde Jahr für Jahr von den Sachverständigen erneuert, ohne Psychiater oder Psychologen in den Verlängerungs-/Erneuerungsprozess einzubeziehen.

BEA: Ärzte sollten die Behörden informieren

In der Konsequenz empfiehlt die BEA im Abschlussbericht, die psychische Gesundheit von Piloten, deren psychische Erkrankung schon diagnostiziert wurde, regelmäßig zu überprüfen. Flugmedizinische Sachverständige sollten ein zusätzliches Training erhalten, um Piloten, die eine psychiatrische Beurteilung benötigen, besser identifizieren zu können.

Die ärztliche Schweigepflicht wird kritisch angesprochen: "Es ist wahrscheinlich, dass diese Ärzte das mit dem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht insbesondere für sich selbst verbundene Risiko höher eingeschätzt haben, als das, den Piloten nicht den Behörden zu melden."

Die BEA empfiehlt deshalb, dass Weltgesundheitsorganisation und Europäische Union Richtlinien entwickeln, die es Ärzten bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gestatten, Behörden zu informieren. Juristische Konsequenzen für Gesundheitsdienstleister sollten begrenzt werden.


Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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