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Halbinformierte bringen mich zur Verzweiflung

Autor: Dr. Rober Oberpeilsteiner

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Was haben Smartphones, Apps und Internet mit dem Praxisalltag zu tun? Eine ganze Menge, stellt Dr. Robert Oberpeilsteiner fest. Denn die Informationsflut muss erst einmal verabeitet werden. Und daran hapert es oft.

Wie wir wissen, nimmt die Informationsflut zu. Wir sind vernetzt, verkabelt oder halten uns ein Brett ans Ohr namens Handy oder Smartphone, um nicht in den Entzug zu geraten. Jemand hat ausgerechnet, dass pro Sekunde 400 Milliarden Bits unser Gehirn fluten. Ich hab nicht nachgezählt. Aber wahrscheinlich ist das I-Phone mit seinen Apps noch gar nicht mit dabei, deren Zahl Tag für Tag ansteigt. Vermutlich gibt es auch bald ein Diagnose-App und die Patienten halten sich das Handy auf den Bauch: Bingo, es ist der Blinddarm.


Da musst du dich dann als Schulmediziner, mit Studium und Praxiserfahrung aus Dezennien, ganz schön anstrengen, um so einen App(arat) zu schlagen. Resignierend stellst du fest, die Informationsgesellschaft hat eben auch ihre Auswirkungen für das Arbeiten in der Praxis.

Handy auf den Bauch: Bingo, es ist der Blinddarm

Kürzlich, bei der Mittagspause im Gasthaus, kam mir der gleiche Gedanke. Es ging um ein Gespräch am Tisch hinter mir und es war beim besten Willen nicht möglich, nichts zu hören. Aufgrund der Lautstärke war zu vermuten, dass die Herrschaften schon älteren Semesters waren. Außerdem war das Pfeifen eines Hörgeräts nicht zu überhören. „Stellen Sie sich vor“, hörte ich eine Dame zwischen Grießnockerlsuppe und Hirschgulasch sagen, „stellen Sie sich vor, dann soll ich Marcumar einnehmen. Wo ich doch gar keinen hohen Blutdruck habe.“ Zwischenzeitlich zustimmendes Protestgemurmel, dann legte sie nach: „Dann wollte ich auch noch wissen, wieso er Labor gemacht hat. Es hat sich ja ohnehin gezeigt, dass alles in Ordnung war. Das hätte ich ihm vorher sagen können, schließlich hab ich Internet.“


Es ist ja nicht ehrenrührig, wenn Patienten anderer Meinung sind als ihr Hausarzt. Vielleicht haben sie auch gerade ein paar Hundert Milliarden Bits an Informationen mehr auf Lager. Zudem können sie bei heutzutage pragmatisch angewandter Pharmakotherapie auch nicht immer wissen, wofür sie ihre Medikamente einnehmen. Da hat ja mancher von uns schon seine Schwierigkeiten, ihnen den bunten Medikamenten-Cocktail nach einer Krankenhausentlassung zu erklären. Aber in den letzten Jahren passiert es mir immer häufiger, dass ich von Patienten mit medizinischen Detailfragen konfrontiert werde, die ich nur als Raritäten aus Dr.-House-Episoden oder von Multiple-Choice-Prüfungen her kenne. Dies könnte ja prinzipiell befruchtend wirken. Belebend für Arzt-Patienten-Interaktionen.


Leider ist es aber sehr oft reine Zeitverschwendung. Es sind Informa­tionsbrocken aus irgendwelchen pseudomedizinischen Blättern, aus dem Internet oder von Freunden, die diese wieder aus irgendwelchen dunk­len Kanälen gefiltert haben. Wenn man dann nachfragt, um was es eigentlich gehen soll, ist das Ganze so verständlich wie die Gebrauchsanlei­tung meiner japanischen Stereoanlage aus den Siebzigern. Und die war offensichtlich erst auf Umwegen über Englisch, Holländisch und Kisuaheli ins Deutsche übersetzt worden.


Das Ganze wäre belustigend, hätte die Sache nicht noch einen Haken. Manche dieser kruden Wahrheiten werden mit solch tiefer Inbrunst und so unbelehrbar selbstsicher vorgetragen, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich wird, dagegen zu reden. Dazu glaubt so mancher, Medizin funktioniere immer noch nach dem Prinzip trial and error, probieren wir halt einfach mal was aus. So wie an der Theke in der Metzgerei: Darfs vielleicht ein bisserl mehr sein?

Man muss mit Informationen auch umgehen können

Beliebt sind auch Diagnosen und Therapien, die gerade in Friseursalons, Cafés, Frittenbuden und Talkshows der Renner sind. Wobei, wenn Frittenbuden erst an dritter Stelle genannt werden, dies nicht abwertend gemeint ist. Nein, nein, ich schätze den aufgeklärten Patienten! Er macht es mir leichter, wenn es darum geht, für ihn wichtige Befunde zu besprechen, mit den entsprechenden Konsequenzen. Ich diskutiere gerne mit ihm über alternative Behandlungsmethoden. Er soll ein kritischer Kunde sein, auch wenn mir dieses Wort in der Arzt-Patienten-Beziehung nicht gefällt. Er darf Qualitätskontrollen erwarten und er kann meinetwegen auch googeln, ob ich Brillenträger bin oder nicht.


Aber über Informationen zu verfügen oder sie zu bewerten sind zwei Paar Stiefel. Und Fehler könnten folgenreich sein. Denn es geht in der Medizin nicht um die Wettervorhersage, bei der man sich mit der Aussage, dass die Regenwahrscheinlichkeit für die nächste Woche fünfzig Prozent beträgt, zufriedengeben kann. Es geht auch nicht immer um so Wichtiges wie tolle Apps. Es geht vielleicht nur um eine einzige fürsorgliche Maßnahme mehr, die man dem Patienten dringlich ans Herz legt. Dies kann in der Praxis im Einzelfall aber über Leben oder Tod entscheiden. Denn Information allein ist nicht alles. Man muss auch damit umgehen können.

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