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Heute schlecht in Form? Das gibt kein Doc offen zu!

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Lieber krank arbeiten als frei nehmen ... Die ärztliche Vorbildfunktion treibt zuweilen seltsame Blüten, findet Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Eigentlich wollte ich über die hausärztliche Vorbildfunktion schreiben. Irgendwie so, wie er im struggle of life tapfer seinen Mann steht. Oder sie ihre Frau. Warmherzig nachts um zwei am Krankenbett sitzend. Des Patienten letzter Hustenanfall liegt ja schon zwei Wochen zurück, aber die Erinnerung daran hat ihm heute Nacht den Schlaf geraubt. Daher darf ihm unser Hausarzt (dem selbiger ebenfalls geraubt worden ist) sicherheitshalber die Lunge abhorchen. Geduldig, fürsorglich, auch wenn ihm vor Müdigkeit die Augen zufallen.

Als Idol darstellen wollte ich meinen fiktiven Strahlemann. Nicht nur in seiner aufopfernden Arbeit, sondern auch in seinem gesundheitsbewussten Lebensstil. Seht euren Doktor an, ihr Wuchtbrummen und Kalorienvernichter! Ihr BMI-Rekordhalter und Quartalssäufer! Nehmt euch ein Beispiel an seinem disziplinierten Lebensstil ...

Aber irgendwie ist mir heute gar nicht nach so großen Sprüchen. Mein Schädel brummt, dabei war der Wein gestern Abend garantiert nicht geschwefelt, die Nase läuft und ich habe so ein Montagmorgengefühl, das ich schon in der Schulzeit gehasst habe.

"Der Held operiert die Galle noch im Halbschlaf"


Die Erinnerung läuft Gefahr, solch miserable Seinszustände zu verklären. Formkrisen, Müdigkeit, Erschöpfungszustände ins Heldenhafte zu drehen. Weißt du noch, damals, nach drei Nachtdiensten, wie wir den akuten Bauch hingekriegt haben, obgleich uns die Augen zugefallen sind? Und der Kollege Dings, der war drei Tage nach seiner Gallen-Operation schon wieder in der Praxis. Heldenhaft, rücksichtslos sich selbst gegenüber. Als ob wir es immer beweisen müssten, wie gut wir sind.

Defätistische Gedanken kommen jetzt auf. Sie lassen sich nicht wegdrängen. Sie sind ein sicheres Zeichen, dass ich heute eindeutig nicht in Bestform bin.

Nun gibt es ja für den morgendlichen Zustand des Hausarztes an sich keine qualitätssichernden Normen. Vermutlich liegen solche aber bereits in irgendeiner der Ministeriumsschubladen. Vorstellbar sind Gedächtnistests aus der Alzheimer-Forschung mit Würfelspielen, Erkennen von Zahlenkolonnen und leichten Sudokus für den Allgemeinarzt. Für Fachärzte wäre die mittlere Schwierigkeitsstufe anzudenken, denn sie haben in der Regel mehr Personal zum Lösen der Aufgaben. Für Psychiater psychologische Belastungstests, natürlich verglichen mit einer referenzierenden Stichprobe.

Denn wo, wenn nicht beim Therapeuten, liegt das größte Risiko für den Patienten!? Oder wie Robert Koch es ausdrückte: „Wenn ein Arzt hinter dem Sarg seines Patienten geht, so folgt manchmal tatsächlich die Ursache der Wirkung.“

Neben die Zertifikate, dass die Praxis nicht nur die sauberste, nein, die reinste in der Stadt, im Viertel und in der Straße ist, hängt man künftig das Bild des Tages vom Praxisinhaber. Mit der Webcam aufgenommen von der Ehefrau. Vor der morgendlichen Dusche. Damit der Patient selbst entscheiden kann, ob der Termin für ein Gespräch über sein Burn-out-Syndrom nicht doch besser auf einen anderen Tag verlegt werden soll.

"Keine Lust zu arbeiten - so etwas sagt man nicht"

Häufig ist es ja so, dass man seine Formkrise selbst nicht bemerkt. Man wurstelt sich so durch. Schimpft zum zehnten Mal über den Föhn, obgleich der Regen aufs Dach prasselt, was man nicht bemerkt, und macht unnötige Wege. Es sind so Tage, an denen Praxismanagerin Mathilde immer wieder fragt, ob man nicht eine Tasse Tee wolle und von denen die Patienten hinterher sagen: „Beim letzten Mal ham’s aber gar nicht gut ausg’schaut, Herr Doktor. Mir haben uns schon Sorgen g’macht um Sie!“

Geben wir’s doch zu. Wir haben sie alle – diese Tage, an denen wir nicht gut drauf sind. Ein banaler Infekt, der einem selbst gar nicht so banal vorkommt, zu lange keinen Urlaub gehabt, schlecht geschlafen ... Eigenartigerweise wird immer nach Gründen gesucht, die verschleiern sollen, wenn man keine Lust zum Arbeiten hat.

Kein Mensch rechtfertigt sich dafür, ein Wochenende durchgearbeitet zu haben. Aber jeder erklärt wortgewaltig, warum er sich einen freien Tag genommen hat, um  – natürlich! – Abrechnungsarbeiten fertig zu machen. Wie ich jetzt zum Beispiel:

Ich habe null Bock, mir weiter etwas auszudenken über dieses Thema. Aber wie käme ich dazu, dies auch zuzugeben beziehungsweise nicht weiterzuschreiben. Ich martere mir das Gehirn, obgleich die Nase tropft, der Schädel brummt – und um einen eleganten Abgang zu finden, ist mir kein Zitat zu dumm: „Medice, cura te ipsum!“ Es sei erlaubt. Schließlich bin ich heute nicht in Form.

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