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Juristen: Suizidbeihilfe straffrei zulassen

Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: DGHS/Oliver Kirpal

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Im Bundestag gibt es Bestrebungen für ein Strafgesetz gegen Suizidbeihilfe. Das darf keinesfalls kommen, forderten fünf führende Strafrechtler bei der Podiumsdiskussion „Wird Sterben zur Straftat?“ der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS).

Die Reaktionen der Zuhörer ließen keinen Zweifel daran, was die meisten von ihnen wollen: Ihr Lebensende selbst bestimmen und bei Bedarf auf die Unterstützung ihres Arztes zählen können – und das nicht nur im Fall einer unheilbaren und mit körperlichen Schmerzen verbundenen schweren Erkrankung.

Suizid, Suizidversuch und die Teilnahme am Suizid sind hierzulande seit über 150 Jahren straflos, erinnerte Professor Dr. Frank Salinger. „Mit dieser Tradition bricht, wer die organisierte Freitodbegleitung durch Sterbehilfevereine unter Strafe stellen will.“ Der Strafrechtler von der Universität Tübingen erklärte, dass nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention jeder Bürger das Recht hat, beim Sterben die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Der Jurist forderte, den Sterbehilfevereinen mit einer verwaltungsrechtlichen Billigung, Zulassung und Überwachung Rechtssicherheit zu geben, statt sie zu kriminalisieren. Man soll Pflege, Palliativmedizin, Hospize und Suizidprävention fördern. Freigegeben werden sollte auch der ärztlich assistierte Suizid im Rahmen des Behandlungsvertrages – gegen die Widerstände aus dem Standesrecht, so Prof. Salinger.

Politiker befürchten einen Tabu- und Dammbruch

„In keiner Frage gehen die Mei-nungen der Bevölkerungsmehrheit und der politischen Klasse so weit auseinander wie in der Frage der sogenannten Sterbehilfe“, konstatierte Professor Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Das liege an den unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Politik fürchte Dammbrüche und die Auflösung gesellschaftlicher Tabus, was verständlich und naheliegend sei, aber auch höchst widersprüchlich. Denn „jeder von uns ist davon überzeugt, dass jede Form von Sterbehilfe Ausdruck der eigenen Willensfreiheit und Selbstbestimmung sein muss“. Der einzelne Politiker beanspruche dieses Recht ebenfalls.

Der Jurist kritisierte eine „künstliche Gegenüberstellung“ von Pallia­tivmedizin und Sterbehilfe.

Er sprach sich klar gegen jede Beschränkung der Sterbehilfe aus, auch der geschäftsmäßigen, wobei er die passive Sterbehilfe als aktives Handeln bezeichnete. Der Vorsitzende des 2. Strafsenats am BGH befürwortete, die aktive Sterbehilfe über eine Änderung des § 216 Strafgesetzbuch zu gestatten. „Wirksame Regelungen für eine aktive Sterbehilfe durch Ärzte müssen und können eine Nutzung von Sterbehilfeangeboten durch an Depression Erkrankte verhindern und die große Zahl von unwürdigen, gewaltsamen und auch für Dritte hoch belastenden Suiziden wirksam verringern.“

Palliativmedizin – kein Paradies für jedermann

Zugleich hält Prof. Fischer es für notwendig, dass die lang andauernde Klage über die zu geringe Förderung palliativmedizinischer Versorgung „endlich so ernst genommen wird, wie man es angesichts der bis ins Parlament hinein gepflegten Betroffenheitskultur erwarten muss“.

Professor Dr. Torsten Verrel, Universität Bonn, ist überzeugt, dass eine Kriminalisierung der organisierten und ärztlichen Suizidbeihilfe keine Freitode verhindert. Selbst bei einer guten palliativmedizinischen Versorgung gebe es nachvollziehbare Sterbewünsche: „Hier wird ein Paradies verkauft, das nicht für jedermann erreichbar ist.“ Man müsse in Ausnahmefällen nachvollziehbarer Suizidwünsche den Menschen beiseitestehen können, fordert der Kriminologe. „Das bedeutet: Am Strafrecht bitte nichts ändern, doch im Sinne einer Entkriminalisierung ans Betäubungsmittelgesetz denken.“

„Wir wollen ausdrücklich im Gesetz stehen haben, dass Ärzte, die Sui­zidbeihilfe leisten, sich nicht strafbar machen“, sagte der Hamburger Medizinstrafrechtler Professor Dr. Reinhard Merkel. 30 % der Ärzte seien bereit, in extremen Notfällen Sterbehilfe zu leisten.

Würden die Ärzteorganisationen ihre Blockadehaltung aufgeben, wären Sterbehilfevereine in hohem Maße überflüssig, meint das Mitglied des Deutschen Ethikrats. So lange jedoch gemauert werde, übernähmen die Vereine jene Hilfe, die Ärzte leisten sollten. Würden Ärzte diese leisten, hätte das einen suizidpräventiven Effekt. Der Gesetzgeber sollte dazu beitragen, die Blockade abzubauen.

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