Anzeige

Kinderwunsch im Eisfach, das finde ich verrückt

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Anzeige

Eizellen einfrieren und die Familienplanung auf spätere Tage verschieben? Dieses sogenannte 'social freezing' schiebt ein gesellschaftliches Problem nur auf, meint Dr. Cornelia Tauber-Bachmann.

Gemütlich sitze ich im Zug, um nach Hause zu fahren. Am Abend zuvor war ich auf einer turbulenten Feier anlässlich eines 60. Geburtstags – dort traf ich viele ehemalige Studienkollegen und -kolleginnen wieder. Ich habe viel zu wenig geschlafen, also stelle ich den Sitz auf „Ruheposition“ und freue mich, gefahren zu werden und meine Zeit mit Dösen und Gedanken-Treibenlassen zu verbringen.


Doch weit gefehlt. Mit halbgeschlossenen Augen sehe ich die fette Schlagzeile einer bekannten deutschen Sonntagszeitung, die mein Gegenüber liest: „Vierlinge mit 65!“ Schluss mit Dösen. Diese Ankündigung macht mich neugierig und so hole ich mir auch ein Exemplar der besagten Zeitung: Eine Berliner Lehrerin, kurz vor der Pensionierung, hat sich im Ausland mit Ei- und Samenzelle befruchten lassen. Nun ist die Schwangerschaft kein spät erfüllter Lebenstraum. Nein, die Dame hat bereits 13 Kinder! Und als sie erfuhr, dass die Befruchtung so erfolgreich war und sie nun Vierlinge erwartet, entschloss sie sich, alle vier auszutragen. Das Letztere macht sie mir eher sympathisch.Warum sie sich allerdings mit der altersentsprechenden Oma-Rolle nicht zufriedengeben mag, darüber können wir nur spekulieren. Mir ist das suspekt. Von der akuten Gefährdung der Frau und der Vierlinge einmal ganz abgesehen.

»Firma will Kosten von ‚social freezing‘ übernehmen«

Die Wochen zuvor waren in mehreren medizinischen Zeitschriften Artikel über das sogenannte „social freezing“ erschienen, nachdem eine bekannte Computerfirma sich als besonders sozial präsentieren wollte und anbot, die Kosten für die Behandlung und die Aufbewahrung von eingefrorenen Eizellen für ihre Angestellten zu übernehmen. In diesen Fachartikeln wurden Prozedere, Risiken und Kosten von „social freezing“ erläutert. Für eine Allgemeinärztin durchaus interessant. Ist Kryokonservierung in der Onkologie doch eine etablierte Methode, um Frauen nach erfolgreicher Krebsbehandlung noch zum eigenen Kind zu verhelfen!


Was mich aber sehr erstaunte: In einem der Artikel pries man die Methode als Schritt in Richtung einer zunehmenden Gleichberechtigung der Frauen und die Bezahlung durch den Arbeitgeber wurde als „sozial abgefederter Kapitalismus“ bezeichnet. Ja, geht’s uns denn noch gut?

»Wie werden wir eigentlich den Kindern gerecht?«

Unbestritten ist, dass „egg freezing“ in manchen Fällen – wie in der Onkologie – ein Segen sein kann. Aber das Kinderkriegen ins höhere Alter zu verschieben, weil gerade die Karriere wichtig ist oder weil frau sich mit ihrem Alter nicht abfinden kann, erscheint mir doch zu blauäugig. Wissen wir doch, dass Implantationen bei Frauen kurz vor oder jenseits des Klimakteriums von deutlich weniger Erfolg gekrönt sind als bei jüngeren.


Glaubt eine Frau tatsächlich, mit über 40 besser mit der Erziehung von Zwillingen oder Drillingen fertig zu werden? (Es werden ja meist mehrere Eizellen in einer Sitzung implantiert.) Zumal die nervenaufreibende Pubertät der Kinder dann in der Altersspanne zwischen 55 und 60 Jahren durchlebt wird. Die oben erwähnte Dame kann sich mit 80 auf Pubertätskämpfe einstellen! Ist es sozial, dass ein Arbeitgeber die leistungsstärkste Zeit seiner weiblichen Angestellten für sich (aus)nutzt und den potenziellen Kindern nur die leichter erschöpfbare ältere Mami gönnt?


Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mache niemandem, der sich dafür entscheidet, einen Vorwurf. Zur Entscheidung gehören viele Aspekte: Gesundheit und Stabilität der Frau, der richtige Partner, die Lebens- und Berufsplanung. Aber könnte es nicht sein, dass das Problem ganz woanders liegt? Warum ist in unserer Gesellschaft die Arbeitswelt mit dem Kinderkriegen so schlecht vereinbar? Warum müssen Frauen, die beides wollen, fast übermenschliche Kräfte entwickeln? Gibt es den idealen Zeitpunkt für die Planung einer Familie? Was ist mit der Verantwortung der Männer? Warum stehen Alleinerziehende meist finanziell so schlecht da? Warum soll eine Frau, die Kinder und berufliche Entwicklung haben will, auf eines (erst mal) verzichten? Wieso sind der Entscheidungsdruck und die Unsicherheit der jungen Erwachsenen so groß? Wie werden wir eigentlich den Kindern gerecht?


Meiner Ansicht nach schieben wir mit „social freezing“ ein gesellschaftliches Problem nur hinaus. Nach einem kurzen Durchatmen stehen wir wieder vor denselben Schwierigkeiten. Es wird Zeit, dass wir uns damit beschäftigen, was Kinder in unserer Gesellschaft bedeuten und welchen Platz sie darin haben sollen.

Anzeige