Anzeige

Können Kranke ihre Laborwerte deuten?

Gesundheitspolitik Autor: Anke Thomas

Anzeige

Wenn z.B. Laborwerte auffällig sind, werden Patienten in Deutschland von ihrem Arzt über die Ergebnisse informiert, der auch erklärt, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. In anderen Ländern erhalten Patienten zunehmend direkten Zugriff auf ihre Werte, ohne dass ein Arzt für Erläuterungen zur Verfügung steht. Ist das sinnvoll?

Vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen profitieren davon, wenn sie ihre Werte von einer Arztpraxis oder einer Klinik abrufen können, ist Dr. Maurice O’Kane, Pathologe im Altnagelvin-Krankenhaus, Londonderry, überzeugt.

Außerdem verbessert das zeitnahe Zurverfügungstellen der Daten das Arzt-Patienten-Verhältnis und die Zufriedenheit mit der medizinischen Betreuung insgesamt, meint Danielle Freedman, Pathologin am englischen Universitäts-Hospital Luton.

Mehrheit zeigt sich zufrieden und dankbar über Daten

Der Einwand, dass Patienten die Daten fehlinterpretieren und unnötige Ängste entstehen könnten, die den Beratungsbedarf weiter ankurbeln, ist nicht gänzlich vom Tisch zu wischen. Die beiden Kollegen weisen jedoch auf eine Studie hin, in der rund 1550 Patienten nach ihren Erfahrungen gefragt wurden, nachdem sie frühzeitig ihre Testergebnisse abrufen konnten. Die Mehrheit meinte, zufrieden und dankbar über die Daten zu sein. Weniger als 7 % gaben an, die Informationen hätten Sorgen oder Verwirrung bei ihnen ausgelöst.

Typischerweise würden Patienten Ergebnisse mit der Familie oder Freunden diskutieren oder weitere Informationen auf Gesundheitswebseiten suchen. Nur wenige von ihnen würden einen Arzttermin vereinbaren, um die medizinische Bedeutung der Werte mit ihrem Doktor zu diskutieren. Deshalb seien valide, unabhängige Informationen im Internet sehr hilfreich, so die Kollegen.
Es gibt auch patientenorientierte Webseiten wie www.labtestsonline.org.uk, auf denen Patienten Informationen zur Bedeutung von Laborwerten und -tests lesen können.

Den direkten Abruf von persönlichen Laborwerten bietet eine Website des englischen staatlichen Gesundheitswesens NHS. Auf der Homepage www.patientview.org können sich z.B. Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen registrieren und die Laborwerte ihres Krankenhauses oder ihrer Behandlungsstätte online ansehen. Auch kann hier die Entwicklung der Daten im Zeitablauf betrachtet werden: Ist eventuell eine Verbesserung eingetreten?

Voraussetzung, dass der direkte Patientenzugriff auf Daten die angesprochenen positiven Effekte hat, ist, dass Patienten – sollten sie über Ergebnisse beunruhigt sein – mit ihrem Arzt per E-Mail, Telefon oder persönlich kommunizieren können, meinen Dr. O’Kane und Danielle Freedman.

Wert außerhalb der Norm? Nur jeder 2. erkennt das

Dass Patienten ihre Werte erhalten, ohne mit einem Arzt darüber gesprochen zu haben, davon hält Professor Brian J. Zikmund-Fisher von der Universität Michigan, USA, nichts. Denn die wenigsten seien in der Lage, die Daten richtig zu interpretieren.

In einer Studie überprüften Prof. Zikmund-Fisher und sein Team, inwieweit Patienten überhaupt in der Lage sind, Werte, die außerhalb der Norm liegen, zu erkennen. Wer dieser recht einfachen Aufgabe nicht gewachsen sei, so der Professor, könne auch keine tiefer gehenden Erkenntnisse ableiten, um beispielsweise Risiken zu erkennen oder medizinisch richtige Entscheidungen zu treffen.

Die Studie zeigte: Lediglich 51 % der Patienten schafften es, einen außerhalb der Norm liegenden HbA1c-Wert herauszufiltern. Diejenigen, die dazu in der Lage waren, verfügten meist über eine höhere Bildung und ein höheres Verständnis für Zahlen.

Gefahr, dass Patienten falsche Rückschlüsse ziehen, ist hoch

Doch selbst wenn Patienten in der Lage sind, Werte außerhalb des Normbereichs zu identifizieren, heißt das noch lange nicht, dass sie diese auch interpretieren können. Sie wissen z.B. nicht, dass eine einprozentige Veränderung bei dem HbA1c-Wert von großer Bedeutung ist. Wenn die Thrombozyten um ein Prozent zu- oder abnehmen, ist das jedoch weniger wichtig, erklärt Prof. Zikmund-Fisher.

Viele Patienten würden bei medizinischen Ergebnissen nur in Schwarz und Weiß denken. Sprich: Das ist ein gutes Ergebnis, das ein schlechtes. Hier sei die Gefahr groß, dass Patienten falsche Rückschlüsse ziehen und für sie schlechte Entscheidungen treffen.

Nur der Arzt sei in der Lage, medizinische Werte im Gesamtzusammenhang und im zeitlichen Verlauf zu interpretieren. So erhält der Patient die nötige Unterstützung, indem der Arzt ihm erklärt, welches Risiko vorliegt, ob die Veränderung eines oder mehrerer Werte bedeutsam ist und was der Patient tun kann oder unternehmen sollte.

Quelle: Dr. Maurice O´Kane, Danielle Freedman, Prof. Brian J. Zikmund-Fisher, BMJ 2015; online first

Anzeige