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Kollegen, lasst uns weniger krakeln!

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Warum haben ausgerechnet so viele Ärzte eine "miese Schreibklaue"? Und was kann das für Folgen haben? MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner sucht nach Antworten und schildert, wie in seiner bayerischen Heimat ganz pragmatisch damit umgegangen wird.

Es geht heute ein bisschen um uns selbst, um uns Mediziner. Genauer gesagt, um Marotten von uns. Der Begriff riecht jetzt zwar nicht ganz standesgemäß, eher nach ungewaschenen Socken oder vorigem Jahrtausend. Aber sei’s drum.

Zu unseren Eigenheiten zählt jedenfalls, dass wir gerne alles bis ins Kleinste hinterfragen. Was ja kein Fehler sein muss. Also, so frage ich uns zum heutigen Thema, was ist dem Mitterhofer Peter aus Südtirol bloß durch den Kopf gegangen, als er 1864 einen klobigen Apparat konstruierte, mit dem er als Erfinder der Schreibmaschine in die Geschichte eingehen sollte.

Erfindergeist? Langeweile in dunklen, verschneiten Nächten? Oder wollte er dem Kaiser in Wien imponieren? Vielleicht aber hat sich der aufgeweckte Bursche einfach immer wieder geärgert, wenn er einen schlampig geschriebenen Brief nicht lesen konnte. Und so wurde er quasi aus Frust zum Erfinder.

Das können viele, glaube ich, auch in unserer Zeit gut nachvollziehen. Denn gerade wieder peitscht ein Sturm durchs Internet über unleserliches handschriftliches Gekrakel. Und Adressaten der Empörung - wie könnte es anders sein - sind wir Mediziner. „Hallo, ich würde gerne wissen, warum Ärzte immer so undeutlich schreiben. Find ich blöd!“ Oder: „Kann ja kein Mensch lesen. Ich habe noch keinen Arzt getroffen, der vernünftig schreibt.“ So oder ähnlich ist es in vielen Blogs zu lesen.

"Unleserliches Schreiben aus überheblichkeit?"

Sehr häufig wird auch kritisiert, dass „der Name des Doktors auf dem Entlassungsbericht leider nicht zu lesen ist.“ Und immer wieder: „Warum haben Ärzte so eine komische Schrift?“ Ja, warum wohl? Keine Ahnung. Einen Psychologen frag ich lieber nicht, sonst bekomme ich bestimmt eine handgeschriebene Analyse, die ich vermutlich eh nicht verstehen würde, wenn ich sie denn lesen könnte.

Möglicherweise ist an dem ganzen Problem ja nur der Stress, der Zeitdruck schuld. Für einen handgeschriebenen Entlassungsbrief braucht ein dysgrapher Orthopäde bestimmt so lange wie für zwei routinemäßige Knie-TEP. Daher drückt er eben gerne auf das Tempo. Beim Schreiben. Vielleicht liegt es aber auch an unseren Schreibmaschinen und Computern, dass wir immer mehr das Schreiben mit der Hand verlernen. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich.

Die miese Schreibklaue der Ärzte gab es ja auch schon im Vorcomputer-Zeitalter. Ich sehe schon: Besser überlasse ich jetzt doch lieber den Seelenklempnern das Feld. Die sollen Doktoranden damit beschäftigen. Denn ich finde, dieses Thema ist immer noch interessanter als viele andere medizinische Studien.

Irgendwie erinnert mich dies alles auch an die Diskussion bei der Integration ausländischer Kollegen. Was wurde über die mangelnden Sprachkenntnisse mancher Ausländer gelästert. Da sollte sich jetzt freilich der eine oder andere von uns lieber mal an die eigene Nase fassen und ein bisserl weniger über sprachliche Rumpelfüßler aus dem Balkan lästern. Denn manch einheimischen Klinikkollegen, dessen Arztbrief wieder mal nicht zu lesen war, konnte ich nicht zurückrufen, weil auch sein Name nur aus astrologischen Sternbildern bestand.

Nur 2 % der Medikationslisten waren gut lesbar

Manche behandeln die deutsche Schriftsprache eben, als hätte sie die Seuche. Dabei ist das Ganze ja nicht nur lustig. Das Institute of Medicine der National Academies of Sciences berichtete, dass in den USA jährlich 7000 Menschen durch Medikationsfehler sterben, also auch durch mögliche Folgen von unleserlichen Rezepten.

Und auch eine Studie des Berner Inselhospitals, veröffentlicht im Fachmagazin „ BMC Health Services Research“, brachte Erschütterndes zutage. Die Studie zeigt die Gefährlichkeit handschriftlicher Verordnungen. Dabei wurden während eines Monats 1934 Medikationslisten einer Station untersucht. Nur zwei Prozent waren gut leserlich. 52 Prozent waren schlecht lesbar, vier Prozent überhaupt nicht zu entziffern. Bei einer 86-jährigen Patientin, welche 25 Medikamente erhielt, fanden sich neun Fehler.

„Unleserlich zu schreiben, ist nicht sehr rücksichtsvoll. Es zeigt, wie wenig wichtig einem der Adressat ist“, lautet der Kommentar dazu. Es könnte ja –unbewusst - hinter dem unleserlichen Schreiben eine gewisse Überheblichkeit stecken. Die Berner reagierten im Übrigen sofort auf die Studie und entwickelten eine eigene Verschreibungssoftware.

"Lies halt g'scheit!"

Beruhigendes kann mittlerweile auch bei uns vermeldet werden. Mein Hausapotheker bestätigte auf eine diesbezügliche Anfrage meinerseits: „Es gibt nur noch ganz wenig handgeschriebene Rezepte. Nur noch im Notdienst werden welche ausgestellt.“

Auch könne er dank seiner jahrelangen Erfahrung nun fast alle problemlos lesen. Und wenn er wirklich in einer Praxis anrufen müsse, seien im Übrigen die Kollegen sehr höflich zu ihm. Sie sagen höchstens: „Geh’ stell dich nicht so an, lies halt g’scheit.“

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