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Kritik an Hausärzten - manchmal sollten Klinikchefs besser schweigen

Autor: Professor Dr. Klaus Dieter Kossow

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Die öffentliche Hausarztschelte einer Klinikchefin ging schief, meint Professor Dr. Klaus Dieter Kossow. Sie befinde sich völlig auf dem Holzweg.

November: Die Wolken hängen im Schornstein, der Mangel an Tageslicht trägt dazu bei, dass Depressionen zunehmen. Sowohl Fachzeitschriften als auch die Laienpresse widmen sich immer häufiger diesem Thema.


Ein bekanntes Hamburger Nachrichtenmagazin brachte jüngst einen Hauptartikel über „den Stress mit dem Kreuz“. Dieser wurde begleitet von einem Interview mit Professor Dr. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.


Sie ist der Auffassung, dass die Hausärzte Pillen gegen Depressionen verordnen wie Bonbons. Dies erinnere an die unsägliche Tendenz, bei jedem leichten Schnupfen Antibiotika zu verschreiben. Zwar führten die verordneten Arzneimittel nicht zu einer Sucht, sie seien aber oft überflüssig und führten zu unvertretbaren Kosten für die Krankenkassen. Letzteres vor allem deshalb, weil  eine Depression mit der Folge einer notwendigen Arzneitherapie nur von einem Psychiater diagnostiziert werden sollte.

Pillen gegen Depressionen wie Bonbons verordnet?

Formal betrachtet handelt es sich bei diesem Interview möglicherweise um einen Verstoß gegen die Kollegialitätsvorschriften des § 29 der ärztlichen Berufsordnung. Jedenfalls würde dies in meiner Ärztekammer geprüft. Ich aber möchte mich nicht als Amtsinhaber einer Ärztekammer,  sondern als Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für psychotherapeutische Medizin zu der Auffassung der Kollegin Heuser äußern.


Es ist richtig, dass viele Hausärztinnen und Hausärzte erhebliche Probleme mit der zunehmenden Zahl von Patienten mit Angstkrankheiten, Depressionen, somatoformen Störungen und Psychosen haben. Es ist auch richtig, dass viele Kollegen eine Zweitmeinung von Psychiatern und Psychotherapeuten nötig haben, bevor sie eine möglicherweise langfristige Therapie vornehmen.


Es ist aber falsch, um nicht zu sagen völlig deplatziert, wenn Fachkollegen – welchen Spezialgebiets auch immer – uns von der hohen Warte eines Universitätsprofessors oder Klinikchefs die Normen für zweckmäßige Verhaltensweisen in Diagnostik und Therapie bei der hausärztlichen Tätigkeit diktieren wollen.

Berlin und die Charité sind nicht bundestypisch

Zweckmäßige Leitlinien für ihre Tätigkeit erhalten die Hausärzte aus den Forschungsergebnissen und Fortbildungsaktivitäten der Lehrstühle für Allgemeinmedizin. Wissens-, Könnens- und Verhaltensnormen anderer Spezialgebiete als der Allgemeinmedizin müssen von erfahrenen Hausärzten gesichtet und beurteilt werden, bevor sie zum Gegenstand der Fortbildung oder gar zum Inhalt von Leitlinien werden können.


Berlin und die Charité bilden auch in keiner Weise die Versorgungswirklichkeit des deutschen Gesundheitswesens ab. Berlin mag die erforderliche Zahl von Nervenärzten aufweisen, die notwendig ist, um jede hausärztliche Überweisung zeitnah abzuarbeiten.


Versorgungsforschungsarbeiten wie die SÄVIP-Studie weisen aus, dass für nervenkranke Altenheim­insassen Fachärzte und besonders Psychiater praktisch nicht erreichbar sind. Auf psychotherapeutische Interventionen müssen Patienten und deren Hausärzte oft monatelang warten. So erwünscht das Coaching der Hausärzte durch spezialisierte Kollegen auch sein mag, in der Praxis ist es oft unerreichbar.

Nervenärzte sind noch mehr im Zeitstress als Hausärzte

Hinzu kommt, dass Patienten bisweilen eine Abneigung gegen nervenärztliche Mitbehandlung entwickeln, weil diese in der Bevölkerung immer noch unberechtigterweise als diskriminierend empfunden wird und weil es Nervenärzten besonders übel genommen wird, wenn sie sich für die Patienten nicht genug Zeit nehmen können. Denn oft sind sie noch mehr im Zeitstress als mancher Hausarzt.
Wir haben uns also nichts vorzuwerfen unter den Kollegen, die für die Depressiven da sein müssen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Und Klinikchefs sollten zu Themen schweigen, von denen sie wenig Ahnung haben, dazu gehört ohne Frage die hausärztliche Praxis.


Es ist ein Konstruktionsfehler der universitären Ausbildung, dass hierzulande immer noch von oben nach unten, das heißt von der Klinik zur Praxis, argumentiert wird. Richtig wäre es von der Praxis zur Klinik hin zu denken. Die Fehler der Praxis werden in der Klinik sichtbar und zum Substrat der Lehre. Die Fehler der Klinik werden in der Praxis ebenso gesehen. Aber nur wenige lernen aus ihnen. Auch das Interview von Kollegin Heuser ist dafür ein Beleg.

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