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Kulturloser Landarzt im Dieselmief - was sonst?

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Abenteuer und Heldentum oder erlernter Verzicht auf Kultur? Dr. Robert Oberpeilsteiner beschreibt merkwürdige Besonderheiten seines Daseins als Landarzt.

Wenn ich beim morgendlichen Blick in den Spiegel meine zunehmenden Handicaps betrachte, sage ich seit Neuestem immer: „Ist ja gut, du bist Landarzt, sei stolz, Kopf hoch!“ Und sofort merke ich, wie mich das aufbaut. Der Grund dafür ist, dass ich damit mittlerweile zu einer gefährdeten Art gehöre, etwa so wie der Fischotter in der Oberlausitz. Das erzeugt ein anhaltend evolutio­näres Prickeln. Schließlich werde ich einmal sagen können: Ich lebte in der Zeit, als der Landarzt noch nicht ausgerottet war.

Friedlich grasende Kühe als Inbegriff der Idylle?

Ich für mich selbst habe, genau genommen, das Leben auf dem Land nie wirklich als Gegenentwurf zum Stadtleben realisiert. Da wäre zum Beispiel der Alltag mit den üblichen Hausbesuchen. Da stehe ich im Stau immer an derselben Ampel. Ich schaue dabei jedes Mal auf den gleichen Berg, der die Sicht versperrt. Ich betrachte stets die gleiche Wiese und es scheint mir, als wären es ständig dieselben Kühe, die friedlich grasen und idyllisch verdauen.


Das mag romantisch klingen. Aber wenn ich wegen der Hitze die Fens­ter geschlossen habe, die Klimaanlage läuft und ich im Autoradio zum zehnten Mal die gleichen Viertelstundennachrichten auf Bayern Fünf höre, dann relativiert sich das mit der Idylle doch sehr. Und was die gesunde Landluft betrifft: Wenn die Ampel auf Grün umschaltet und sie rundherum den Diesel anwerfen, so ist es von Vorteil, auch tagsüber die Scheinwerfer eingeschaltet zu haben. Ganz so wie in der Stadt.

Der Landarzt, der bewunderte Held und Abenteurer

Doch seit das Geschrei groß ist, man müsse den Landarzt retten, er sei so was von notwendig, sehe ich meinen Job auf der grünen Wiese plötzlich mit ganz anderen Augen. Hat Landarztsein nicht immer noch etwas Kernig-Mystisches an sich, umweht von Abenteuer und Heldentum? Bei Kafka kann man diese Bewunderung spüren, die den alten Landarzt umgibt, der nächtens bei einem seiner Hausbesuche werkelt: „Die Familie ist glücklich, sie sieht mich in Tätigkeit; die Schwes­ter sagt’s der Mutter, die Mutter dem Vater, der Vater einigen Gästen, die auf den Fußspitzen ... durch den Mondschein der offenen Tür hereinkommen.“ Zu lesen in seiner Erzählung „Ein Landarzt“.


Ich werde beim nächsten Regress daraus zitieren. Vielleicht erzeugt es die notwendige Demut bei den Entscheidungsträgern. Ansonsten sollten sie bei Hemingway einmal nachlesen, wie die Kinder bei uns Outdoors zur Welt gebracht werden müssen: „... ein Kaiserschnitt mit dem Jagdmesser und eine Naht mit einem neun Fuß langen gedrehten Darm.“ Dann verstehen sie vielleicht endlich, warum wir so viel Verbandmaterial auf dem Land verbrauchen. Hier haben wir eben noch echt schneidige Herausforderungen.


Nix so Lauwarmes wie im städtischen MVZ, wo sie, mit Laptop und Lederhose, Praxisgebühren einkassieren und IGeL-Leistungen austüfteln! Aber, sorry, kein interdisziplinärer Klassenkampf! Wichtig ist doch die Frage: Warum wollen denn die jungen Ärzte partout nicht mehr aufs Land? Wie muss man denn ticken, damit man es nicht als ultimatives Lebensgefühl ansieht, mit dem Jeep über den Schwabinger Asphalt zu brettern? Sondern mit dem Golf, sagen wir mal, durch eine blumengesprenkelte Heide-und-Teich-Landschaft zu pflügen?

Verzicht auf Kultur wird schon in jungen Jahren erlernt

In einer Studie zum Sachsen-Programm für Landärzteförderung hat man jetzt herausgefunden, dass nur Studierende, die in ländlichen Bereichen aufgewachsen sind, eine „höhere Affinität“ dazu hätten: „Das Wissen um Vorteile des Landlebens wie Ruhe, Gemeinschaftssinn und Naturverbundenheit sowie der gelernte Umgang mit Einschränkungen in Bereichen wie Infrastruktur und Kultur spielen bei der Entscheidung über die berufliche Zukunft auf dem Land eine entscheidende Rolle.“ Gelernter Umgang mit Einschränkungen? Im Bereich der Kultur? Da soll wohl jemand verarscht werden. Andererseits, so eloquent hat uns noch kaum jemand gesagt, dass das System nur mit uns beknackten Landeiern funktionieren kann, die in innerer Größe Kulturverzicht üben. ...

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