KBV-Kampagne „Lass dich nieder!“

Gesundheitspolitik Autor: H. Glatzl

Die Sorge um den medizinischen Nachwuchs treibt die Körperschaften bereits seit längerem um. Die Ärztekammer mit Blick auf die Weiterbildung und die Kassenärztliche Vereinigung aufgrund ihres Sicherstellungsauftrages. Weiterbildung und finanzielle Förderung in den Grundversorgerpraxen sollen den Jungmedizinern das Landleben schmackhaft machen. Doch Streit scheint vorprogrammiert.

Dass der Startschuss für die Kampagne „Lass dich nieder!“ gerade in der Hörsaalruine, den Räumen der Pathologie der Charité, erfolgt, will der neue Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Gassen, nicht als Abgesang auf die ambulante Versorgung in der Fläche verstanden wissen. Die nackten Zahlen lassen auf den ersten Blick an der Notwendigkeit einer derartigen Werbeaktion zweifeln. Exakt 162 651 Mediziner zählte die Bundesrepublik zum Jahresende 2013. Immerhin gibt es seit 2009 einen Nettozuwachs von 3 095 approbierten Ärzten. Nach Köpfen gerechnet sind 8 765, umgerechnet 5,7 % hinzugekommen. Dies entspricht selbst unter Berücksichtigung der tatsächlichen aktuell verkürzten Arbeitszeit einem Zuwachs um 2,3 %.

Verdämmernde Landpraxen

Doch die Jungmediziner kommen offenbar nicht dort an, wo sie aufgrund des demographischen Wandels der eigenen Zunft und in der Bevölkerung gleichermaßen dringend gebraucht werden – in der ländlichen Region. Weitab vom pulsierenden Kulturleben der Metropolregionen verdämmern die Patienten in der Endlosschleife überfüllter Wartezimmer, betreut von ihren altersgreisen Heilern. So zumindest sieht das in den Medien ausgiebig gepflegte Negativbild aus. Bis 2021 – also in überschaubarer Frist – werden 51 000 Kassenärzte laut Gassen ihre Praxen aufgeben.

Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigt sich bei einem kurzen Blick auf die neuesten Zahlen. Schon heute gibt es mehr niedergelassene Ärzte, die über 65 Jahre alt sind, als unter 40-Jährige! Und dieser Trend wird sich weiter verschärfen. 44 % aller Vertragsärzte sind heute zwischen 50 und 59 Jahre alt. Die 60- bis 65-Jährigen stellen die zweitstärkste Altersgruppe mit einem Anteil von 20 %. Gut kommuniziert ist die Lage bei den Hausärzten: 42 % von ihnen werden in den kommenden zehn Jahren ausscheiden. Aber auch bei Gynäkologen, Haut-, Kinder- und HNO-Ärzten und Orthopäden werden die weißen Flecken auf der KV-Zulassungslandschaft mehr, die schwarzen Löcher in der Versorgungsdecke größer.

Mangelkonkurrenz

Damit die jungen Mediziner in den ambulanten Praxen strukturschwacher Gebiete ankommen, wird aktuell mit der Niederlassungskampagne insbesondere an den 37 Hochschulstandorten um den Nachwuchs geworben, bevor sich dieser familiär auf Dauer an den Zitzen der Alma Mater festsaugt. Und die Trendumkehr muss sofort greifen. „Denn selbst wenn wir jetzt damit anfangen, werden wir frühestens in zehn bis zwölf Jahren erste Ergebnisse sehen“, mahnt die hausärztliche Vertreterin im KBV-Vorstand, Regina Feldmann, eine rasche Wende angesichts eines langen Ausbildungsweges an.

Neben den Allgemeinmedizinern sollen künftig auch die Fachärzte der Grundversorgung in die Weiterbildung der niedergelassenen Praxen mit einbezogen werden.

Doch am Erfolg scheinen Zweifel angebracht. Zum einen ist fraglich, ob sich durch die Ausweitung des Angebotes auf ebenfalls schwach besetzte Facharztgruppen nicht der Mangel im allgemeinärztlichen Bereich eher verschärfen wird. Zum anderen hat die bereits seit Jahren bestehende Möglichkeit einer Praxis-Schnupperlehre für die Allgemeinmedizin nicht den erhofften Run in die Niederlassung ausgelöst. Zu viel ist dem Engagement des anleitenden Kollegen geschuldet. Dabei handelt es sich doch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. KBV-Vize Feldmann ist dennoch zuversichtlich, dass diese Ausweitung der Werbemaßnahmen auf ausgewiesene Mangelgruppen bei den Fachärzten keine Konkurrenz für die Hausärzte darstellt. „Defizite der Vergangenheit werden ausgeräumt. Diese Fehler werden wir nicht wieder machen.“

Finanzierung der Weiterbildung muss gesichert sein

Wichtig sei eine klare Finanzierung, gesichert über den ganzen Weiterbildungszeitraum und vergleichbar mit den Klinik-Tarifen, wie der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Dr. med. Rudolf Henke, vor kurzem einforderte. Damit dürfte Henke den Widerstand der niedergelassenen selbstständigen Ärzte hervorrufen. Das Problem: Zu unterschiedlich sind die Praxisstrukturen. Es fehlt der Vertragspartner auf Augenhöhe. Weder Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) noch Bundesärztekammer (BÄK) sind aufgrund ihrer körperschaftlichen Strukturen willens und wegen mangelnder Gegnerfreiheit auch nicht in der Lage, als Arbeitgeberverband zu fungieren.

Die bisherigen freiwilligen Weiterbildungsverbünde hängen von den finanziellen Ressourcen der beteiligten Praxisinhaber ab. Die KVen sind hier wenig flexibel. Gezahlt werden laut Feldmann derzeit durchschnittlich 3 500 Euro, mit Zuschlag 4 000 Euro in strukturschwachen Gebieten. Generell ist die Differenz zum Klinikgehalt damit negativ. Der finanzielle Anreiz zu gering. Auch wenn über den Umfang einer Anhebung, so bestätigt auch BÄK-Präsident Frank Montgomery im Vorfeld des Ärztetages, noch keine feste Aussage zu treffen sei, werde eine Angleichung der Bezahlung auf 4 500 Euro wie im Klinikbereich angestrebt. Inwieweit hier ein einklagbarer Anspruch erwächst und wer hier Vertragspartner wird, dazu kann Feldmann selbst auf Nachfrage keine klare Aussage treffen.

Ambulante Pflichtweiterbildung bleibt umstritten

Der Königsweg soll mit einer Stiftung auf den Start gebracht werden, ein einladender Pfad, der dazu aus Steuer- und Krankenkassenmitteln paritätisch gepflastert wird. Ob sich die Jungmediziner davon locken lassen, bleibt zu hoffen, aber ungewiss. Der Forderung von Dr. med. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg, nach einer ambulanten Pflichtweiterbildung wollen sich die Kollegen bisher explizit nicht anschließen: Metke appelliert an das Berufsethos: „Die Gesellschaft hat ein Recht auf Arzt!“ Bleibt die abschließende Frage: Zu welchem Preis? Gassen betont dagegen: „Es gibt keine marktwirtschaftlichen Kriterien in der Medizin.“ Schließlich sei der Beruf eine Mischung aus Naturwissenschaft und Philosophie.

Hans Glatzl

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (11) Seite 90-91
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.