Lenkung künftiger Patientenströme Laufen den Facharztpraxen in einem Primärarztsystem die Fälle davon?

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Die KBV-Führung warnt vor unrealistischen Erwartungen und Mehrkosten. Die KBV-Führung warnt vor unrealistischen Erwartungen und Mehrkosten. © ihorvsn - stock.adobe.com

Mit ihrer Ankündigung, ein „verbindliches Primärarztsystem“ einführen zu wollen, hat die schwarz-rote Bundesregierung die ärztlichen Organisationen elektrisiert. Die Diskussionen laufen: Geht primärärztliche Steuerung im KV-System? Soll Fachärztinnen und -ärzten bei bestimmten Patientengruppen die Behandlungskoordination obliegen?

Der 129. Deutsche Ärztetag in Leipzig mit der direkt davor terminierten KBV-Vertreterversammlung bietet einen guten Rahmen, die Absicht von Union und SPD zu diskutieren, ein Primärarztsystem mit freier Arztwahl, Patientensteuerung und Terminvermittlung einzuführen. Da es hierbei um die Sicherung von Einfluss und Einkommen geht, liegen die Positionen der haus- und fachärztlichen Interessenvertreter erwartungsgemäß erkennbar auseinander.

Das will der Hausärztinnen- und Hausärzteverband 

Vorstand und Delegierte des HÄV waren sich bei der Frühjahrstagung einig: Das von der Bundesregierung angekündigte Primärarztsystem soll nicht im Kollektivvertragssystem der KVen, sondern in der Hausarztzentrierten Versorgung stattfinden (HzV), da „hausärztliche Interessen im KV-System regelhaft marginalisiert werden“. Die HzV sei zu fördern und auszubauen sowie um selektivvertragliche Facharztverträge zu ergänzen. Eine Übernahme des HzV-Systems in die Regelversorgung wird abgelehnt. Eine reine Überweisungssteuerung sei nicht ausreichend, um das System zu entlasten. 

Der Gesetzgeber soll umgehend einen Rechtsrahmen für die interprofessionelle Zusammenarbeit in Teampraxen, insbesondere für Primärarztzentren nach dem HÄPPI-Konzept, schaffen. Die Krankenkassen werden aufgefordert, in der HzV angemessene Teampraxiszuschläge zu vereinbaren. Die Hoffnung des Verbandes ist, dass mithilfe qualifizierter Assistenz, Digitalisierung und Vernetzung die hausärztliche Versorgung trotz der demografischen Entwicklung in der Fläche aufrechterhalten werden kann.

Kommentar des SpiFa-Vorsitzenden Dr. Dirk Heinrich: „Eine rein hausärztliche Primärversorgung mit generellem Überweisungsvorbehalt zur fachärztlichen Versorgung wäre bereits aus Gründen der hausärztlichen Kapazität ein Supergau für die medizinische Versorgung.“

Das will der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte

Der SpiFa möchte einen direkten Facharztzugang für Menschen mit einer dauerhaften chronischen Erkrankung, die einer kontinuierlichen fachärztlichen Betreuung bedarf, sowie für Personen mit einer episodenhaften Erkrankung, die eine über drei Monate hinausreichende fachärztliche Betreuung notwendig macht. Bei diesen soll die Fachärztin bzw. der Facharzt die „koordinierende Betreuung hinsichtlich dieser Erkrankung“ mit ggf. weiteren Fachärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern übernehmen. Dafür bedarf es eines von den Facharztgruppen festgelegten ICD-Katalogs. Fachärztliche Leistungen, die aufgrund einer Überweisung durch den Primärarzt, die Terminservicestelle der KV oder ein Integriertes Notfallzentrum erfolgen, müssten vollständig entbudgetiert vergütet werden. 

Kommentar von Dr. Petra Reis-Berkowicz, Vorstandsvize des Bayerischen Hausärzteverbandes: „Es geht um viel mehr als nur um die Behandlung einer einzelnen, komplexen Erkrankung, die je nach Art auch von unseren Facharztkollegen übernommen werden kann. Nur wir Hausärztinnen und Hausärzte haben immer den ganzen Menschen im Blick.“ 

Das schlägt die Bundesärztekammer vor

Das Konzeptpapier der BÄK „Koordination und Orientierung in der Versorgung“ datiert vom April 2025. Die primärärztliche Versorgung durch eine Hausärztin bzw. einen Hausarzt soll zum Normalfall werden. Dieser für mindestens zwölf Monate verbindlich gewählte „erste Anlaufpunkt“ übernimmt für alle gesundheitlichen Anliegen – soweit möglich abschließend – die primärärztliche Versorgung sowie die Koordination einer notwendigen Weiterbehandlung. Bei Patientinnen und Patienten „mit einer besonders im Vordergrund stehenden chronischen Erkrankung, die eine intensive und kontinuierliche fachärztliche Versorgung erfordert“, kann die Behandlungskoordination allerdings durch eine Fachärztin bzw. einen Facharzt erfolgen.

Da diese in der Regel keine Grundversorgungsleistungen außerhalb ihres Fachgebiets anbieten, sei es auch für fachärztlich betreute Patientinnen und Patienten sinnvoll, für andere Behandlungsanlässe an eine primärärztliche Praxis angebunden zu sein. „Leistungen, die in der primärärztlichen Versorgung erbracht werden, müssen sowohl im hausärztlichen als auch konsekutiv auf Überweisung im fachärztlichen Bereich entbudgetiert werden.“ 

Perspektivisch soll das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ gelten. „Finanzielle Steuerungsinstrumente sollten erst dann erwogen werden, wenn sich das System etabliert hat und unter anderem ein verlässlicher und schneller Zugang in die jeweiligen Versorgungsstrukturen gegeben ist.“ Die BÄK ruft nach einem Runden Tisch „Versorgungssteuerung“ mit allen betroffenen Akteuren, der einen konkreten Prozess mit zeitlichen Zielen und zugewiesenen Verantwortlichkeiten einleitet.

KBV berät ihre Position

Die KBV will bei ihrer Vertreterversammlung (VV) am 26. Mai ihre Position zum Primärarztsystem beraten und ggf. beschließen. Im Redetext von KBV-Chef Dr. Andreas Gassen, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie, zur VV im März hieß es: „Nicht jeder braucht Koordinierung und wir benötigen auch kein verpflichtendes Primärarztsystem.“ 

Die KBV-Führung warnt vor unrealistischen Erwartungen und Mehrkosten. Medien zitieren eine Berechnung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, wonach ein solches System pro Hausärztin/-arzt 217 bis 1.944 zusätzliche Patientenkontakte bzw. Fälle pro Jahr bedeuten würde.

Aus Baden-Württemberg kommt Widerspruch vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband sowie von Medi. Die langjährigen Erfahrungen aus den gemeinsamen Haus- und Facharztverträgen zeigten, dass eine koordinierte Versorgung umsetzbar und ein klarer Gewinn fürs Gesundheitssystem sei. Mehr Hausarztpraxiskontakte seien Teil des Konzepts. Dank der pauschalen Vergütung in der HzV könnten sich die Praxen auf das medizinisch Notwendige konzentrieren, Aufgaben delegieren und effizienter arbeiten.

 Medical-Tribune-Bericht