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Interessen von Ärzt:innen „Lobby-Arbeit ist schwieriger geworden“

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Die Lobby-Arbeit ist bedeutend anspruchsvoller geworden. Die Lobby-Arbeit ist bedeutend anspruchsvoller geworden. © freshidea ‒ stock.adobe.com
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Wie beeinflusst man die Gesundheitspolitik im Sinne der Mediziner? Neben einem lauten Auftreten in der Öffentlichkeit sind es oft leise Gespräche in Berlin, die den Unterschied machen. Martin Degenhardt ist Geschäftsführer der Freien Allianz der Länder-KVen. Er erklärt, wie Ärzte-Lobbyismus funktioniert.

Sie sind eigentlich Politikwissenschaftler. Wie kam es dazu, dass Sie Lobbyismus für Ärzte machen?

Mit 18 hätte ich es mir auch vorstellen können, Abgeordneter zu werden. Ich habe im Parlament gearbeitet, erst im Bundestag, dann im bayerischen Landtag. Dabei habe ich gemerkt, dass der Alltag eines Abgeordneten zu wenig Zeit lässt, um sich intensiv mit Themen zu beschäftigen und diese voranzuschieben. Es hat sich zufällig ergeben, dass die KV Bayerns jemanden suchte, der die politischen Themen stärker betreut. Ich fand diese Option interessant. 2011 wurde dann von dem neuen Vorstand die FALK aus der Taufe gehoben. Ich hatte anfangs als deren Hauptstadtrepräsentant vor allem die Aufgabe, Themen in Berlin zu vertreten. Seit sechs Jahren darf ich die Gesamtverantwortung ­übernehmen.

Freie Allianz der Länder-KVen

Die Freie Allianz der Länder-KVen (FALK) wurde 2011 auf Initiative der KVen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Später schlossen sich Westfalen-Lippe, Nordrhein, das Saarland und Rheinland-Pfalz an. Die Allianz fordert eine Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse und eine Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Landesebene. 

Warum braucht es Lobbyisten in der Gesundheitspolitik?

Wenn man parteiübergreifend für bestimmte Interessen steht und das glaubwürdig macht, kann man in einer Koalition – gerade wenn es knirscht – mehr erreichen. Denn ein Koalitionspartner kann mit einem Kompromiss, der machbar wäre, aber den er so nicht ohne Weiteres vorschlagen darf, nicht einfach zu den Koalitionspartnern gehen. Wenn Sie aber jemanden haben, der den Vorschlag hinter den Kulissen aufbringt, dann ist das oft eine Möglichkeit. Dazu gehört auch eine gewisse Vertraulichkeit. Das hat nichts mit Hinterzimmer oder Geheimnissen zu tun. Unsere Positionen sind öffentlich.  

Welche Möglichkeiten haben Sie, politisch Einfluss zu nehmen?

Das hat sich bedeutend verändert. Die alte Bundesregierung hatte ein hohes Interesse daran, mit Stakeholdern zu sprechen. Es gab viele vorbereitende Gespräche. Während Corona ging es Schlag auf Schlag. Oft kam freitagabends eine neue Impfverordnung, die dienstags unterzeichnet werden sollte. Es ging dabei nicht darum, ob die Ärzteschaft die Regelungen so möchte, sondern darum, ob sie überhaupt umsetzbar sind. Um das herauszufinden, müssen Sie mit denen reden, die im Feld stehen, nicht mit Wissenschaftlern.

Und das ist der große Unterschied zu jetzt. Professor Karl Lauterbach rühmt sich, der Wissenschaft würden bei ihm Tür und Tor offenstehen, für Lobbyisten hingegen weniger. Zur Wahrheit gehört, dass es noch viele alte Gesprächskanäle gibt und man im Bundesgesundheitsministerium auch spiegelt, was Stakeholder von einem Vorschlag halten. Aber die Lobby-Arbeit ist bedeutend anspruchsvoller geworden – übrigens auch, weil die Koalitionsfraktionen viel schlechter informiert sind. In der vorigen Legislatur waren sie enger eingebunden. So hatte man auch außerhalb des BMG Kontakte, die zumindest Infos geben können. Denn die Arbeit beginnt immer mit der Frage: Welche Fraktion der Koalition steht wo? Aktuell ist die Kommunikation wohl selbst intern im BMG schwierig. Die Fachebene bekommt offenbar wenig Rückmeldung von der Leitungsebene. 

Wie beurteilen Sie die bisherige Politik von Minister Lauterbach?

Wir sind schwer enttäuscht. Prof. Lauterbach ist aus meiner Sicht famos gestartet, indem er mehrere Veranstaltungen mit Ärzteverbänden und KBV gemacht hat. Er hat sich dargestellt als Kollegen, der ärztlichen Sachverstand einbringt, der im Gespräch sein will, der zuhört. Nach dieser Anfangsphase war aber das Gegenteil der Fall. Am nachhaltigsten schockiert hat mich die Debatte um die Neupatientenregelung. Wir hatten Zahlen vom Zentralinstitut für die kassenärzt­liche Versorgung, die zeigen, dass die Regelung sogar trotz Pandemie effektiv war. Dieses Argument wurde jedoch völlig ausgeklammert. Stattdessen hat man einfach gesagt, man müsse die Regelung streichen und jegliche Kommunikation verweigert.

Ich muss gestehen: Jens Spahn hat oft nicht die Dinge gemacht, die wir gut fanden. Aber er hat sich immerhin auf Veranstaltungen erklärt. Er ist zwar von Ärzten beschimpft worden, aber stand im Feld. Das macht Minister Lauterbach bis heute nicht. Da muss künftig mehr kommen. 

Gibt es Abteilungen im BMG, die besser kommunizieren?

Die Abteilung 5, Digitalisierung, ist in diesem Kommunikationsdesaster eine Ausnahme. Auch wenn uns die Themen natürlich nicht schmecken, weil in der Vergangenheit viel kaputt gemacht wurde. Sowohl Susanne Ozegowski als auch Sebastian Zilch sind wirklich bemüht, in internen Runden zu erklären, mitzunehmen, Wunden zu heilen. Die beiden machen das, was die Vorgängerregierung in fast allen Abteilungen gemacht hat. 

Wie können Sie vorgehen, wenn  geplante Gesetze nicht im Sinne der Ärzteschaft sind?

Es gibt zwei Eskalationsstufen. Die erste ist das persönliche Gespräch. Man weist darauf hin: Leute, das gibt Riesenärger, ihr unterschätzt die Stimmung, die ihr verursacht. Lasst uns doch eine andere Lösung finden. Anschließend versucht man hinter den Kulissen eine weniger schädliche Alternative aufzuzeigen, die aber unter der gleichen Überschrift laufen kann. Beispielsweise unter der Überschrift „Wir müssen 400 Millionen bei den Ärzten holen“ – wenn das in der Koalition einmal beschlossen ist, fängt man das nicht mehr ein. Stattdessen muss man überlegen: Wie können wir das so gestalten, dass es möglichst wenig schädlich ist? 

Zum Zwiegespräch gehört manchmal auch, dass ich, wenn wir uns öffentlich empören, im Hintergrund vermittle: Wir finden das nicht gut, aber wir würden es irgendwie hinkriegen. Es gibt aber auch Themen, bei denen wir sagen: Das geht nicht. 

Wenn das vertrauliche Gespräch nicht wirkt, hilft nur Öffentlichkeitsarbeit. Die besteht meistens aus Gesprächen mit Journalisten. Diesmal haben wir auch Ärzte mitgenommen bei den Protestveranstaltungen. Ich war überrascht, wie gut die Teilnahme war. Das ließe sich wiederholen.

Wie muss man sich die Gespräche zwischen Lobbyisten und Politikern vorstellen?

Die Kommunikationsmittel reichen von WhatsApp-Gruppen über SMS und Videokonferenzen bis hin zu persönlichen Treffen. Ich bin froh, dass es wieder größere Veranstaltungen gibt. Dort haben Sie die gute Möglichkeit, in 20 Fünf-Minuten-Gesprächen klarzumachen, dass  eine Fehleinschätzung vorliegt. Dafür bieten sich beispielsweise Kassenempfänge oder Pharmaveranstaltungen an. Das ist ein sehr effizienter Weg, um in kurzer Zeit viele Personen zu erreichen. Ansonsten suche ich oft das Zwiegespräch. Das hat vor Corona bedeutet, abends auch mal zwei Stunden essen zu gehen, weil das nochmal eine andere Vertrauensbasis schafft. Während der Pandemie ist das dann dem Telefonat gewichen. Langsam ändert sich das wieder, aber Berlin tickt noch lange nicht wieder so, wie es vor Corona getickt hat.

Sprechen Sie auch mit Minister Lauterbach persönlich? 

Wenn ich ihn auf Veranstaltungen sehe: ja. Er ist im persönlichen Umgang ein netter Typ, aber nicht bei politischen Themen. Das war mit der alten Regierung anders. Mit Jens Spahn hatte ich einen direkten Zugang, der funktioniert hat. Aber man musste aufpassen – natürlich rief gefühlt jeden Tag jemand bei mir an und meinte, ich solle dem Minister dieses oder jenes sagen. Wenn Sie das tun, geht der natürlich nach zwei Wochen nicht mehr ans Telefon. Das heißt, der Minister war nochmal eine Eskalationsoption, die ich aber nur gewählt habe, wenn alles andere nicht funktioniert hat. Er war immer interessiert und erreichbar, während der Pandemie oft auch zur Unzeit. Und er hat sich der Sache am nächsten Morgen meist angenommen. Das heißt nicht, dass immer das gewünschte Ergebnis herausgekommen ist.

Wie groß ist ihrer Meinung nach der Einfluss von Lobbyismus auf die Gesundheitspolitik? 

Wenn es um die Makrothemen – also wieder um die „Überschrift“ – geht, ist der Einfluss gering. Da ist vieles im Koalitionsvertrag gesetzt. Und im Koalitionsvertrag der Ampel war der Lobby-Einfluss bei null. Eben weil mit niemandem gesprochen wurde. Das habe ich vorher noch nie erlebt. Im Gegenteil: Bei vorigen Koalitionsverhandlungen ist man mal nachts um drei angerufen worden und bekam einen Textversatz vorgelesen, mit der Frage, ob das so okay sei. 

Unterhalb der Überschriftenebene war in der letzten Legislatur einiges zu erreichen. Aber auch dort ist der Einfluss gesunken. Ein Beispiel sind die Zuschläge, die es statt der Neupatientenregelung gibt: Niemand hat mit uns darüber gesprochen, ob das umsetzbar ist. Am Ende hat sich die FDP, von der der Vorschlag kam, gefragt, warum wir uns nicht freuen.

Erleben Sie bei manchen Parteien Vorbehalte gegen die Interessen der Ärzteschaft? 

Wenn man Themen auf der Sach­ebene betrachtet, kaum. Bei Linken ist es etwas schwieriger. Mit der AfD spreche ich nicht, weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Aber da wäre es theoretisch am einfachsten, weil sie oft eins zu eins unsere Positionen kopieren. Wir verweigern aber den Dialog. Bei den Parteien der Mitte erlebe ich keinen substanziellen Unterschied. Es ist auch wichtig, selbst keinen zu machen. Sie müssen ehrlicher Makler sein, im Zweifelsfall für alle Fraktionen. Sie dürfen in keine parteipolitische Ecke kommen. Ich bin zwar CSU-Mitglied, aber mein Job ist es nicht, CSU-Positionen zu vertreten. Bei den konservativen Parteien ist der Zugang vielleicht etwas einfacher.

Wie unterscheidet sich Ihre Lobby-Arbeit von der der KBV? Und wie koordinieren Sie sich?

Als ich begonnen habe, war das eher ein Gegeneinander und es gab wenige Kommunikationswege. Das ist heute nicht mehr der Fall. Wir sind uns in den großen Linien einig und stimmen uns eng ab, übrigens auch mit anderen Verbänden. Wir erreichen politisch nur etwas, wenn wir keine Kakophonie haben – gerade bei Detailfragen. Wir haben natürlich alle einen anderen Fokus. FALK setzt den Schwerpunkt – anders als die KBV – darauf, dass möglichst viel auf der Landesebene geregelt werden kann. Das ist eine zentrale Aufgabe. 

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Ärzteschaft nicht nur fester zusammen steht denn je, sondern sich auch bemüht, Friktionen nicht öffentlich zu diskutieren. Anders als vor sechs Jahren, als Herr Dr. Gassen und Frau Feldmann sich in kleinteiligen Fragen öffentlich auseinandergesetzt haben – und die KBV kurz vor der Implosion stand. Von diesem Blick in den Abgrund haben wir, glaube ich, alle gelernt. 

Welche Bedeutung hat die ambulante Versorgung für die Koalition?

Die ambulante Versorgung spielt fast keine Rolle. Einer der wenigen Bausteine sind die Gesundheitskioske. Da hat man ein ärztliches Konzept geklaut: den Gesundheitskiosk Hamburg-Billstedt/Horn, der auch von Dr. Dirk Heinrich initiiert wurde. Die Stärke des Kiosks ist eine Schnittstelle zwischen Praxen und nicht-medizi­nischer Arbeit. Dieser Aspekt fehlt aber in den Eckpunkten des BMG. Darin ist nur die Einbindung des ÖGD vorgesehen. Das BMG hat sein Konzept aber verkauft als wäre es das Gleiche wie der Kiosk Billstedt. So macht man‘s einfach nicht. 

Dann läuft Ende des Jahres die Impfverordnung aus. Bis heute bekommen wir keine Antwort, wie es ab Januar weitergeht. Wenn es nicht weiterläuft, würde das bedeuten, dass wir das Thema schon längst in die G-BA-Schutzimpfungsrichtlinie hätten aufnehmen müssen, dass wir mit den Kassen verhandeln müssten, dass wir überlegen müssten, wie wir den neuen Distributionsweg schaffen. All diese Fragen können wir nicht so schnell lösen. Und dann heißt es wieder: Die Selbstverwaltung kann nichts.  

Welche Themen zeichnen sich für die Zukunft ab?

Das kommt darauf an, was die Ko­alition macht. Wir haben Jens Spahn gesagt, er solle nicht so viel machen, weil alle zwei Monate neue Unruhe in den Praxen entstand. Insofern sind wir gar nicht unglücklich, dass im Moment nicht so viel passiert. 

Es gibt natürlich das Dauerthema Digitalisierung. Da wünschen wir uns einfach funktionierende Technik. Unser Wunsch wäre, dass es etwas langsamer läuft. Viele erwidern: „Langsamer als wir in den letzten zehn Jahren kann man nicht sein.“ Das mag stimmen. Aber es ist, wie wenn Sie mit einem Trabi die ganze Zeit 30 km/h fahren und dann auf einmal drei Jahre lang 190 fahren wollen. Genau das machen wir gerade. Wir müssen zu einem vernünftigen Miteinander finden – und das ist schwer, weil die Wunden tief sind. Man hat viele Fehler gemacht. 

Wie kommt es zu den scheinbar so undurchdachten  Entscheidungen bei der Digitalisierung?

Da spielt mit hinein, dass die Gematik lange eine Blackbox war und nicht umgesetzt hat, was das BMG sich vorgestellt hat. Deshalb hat das BMG dann die Mehrheit übernommen. Es hat in den letzten Jahren aber nicht gut mit den Gesellschaftern kommuniziert, sondern Dinge einfach umgesetzt. Das Pendel ist also zur anderen Seite ausgeschlagen. Außerdem hängen da natürlich verschiedene Interessen mit drin – gerade die Industrie darf man nicht unterschätzen. Wir haben beispielsweise immer noch keine echte Interoperabilität zwischen PVS-Systemen. Denn wenn die Systemhäuser Vorgaben aus Berlin umsetzen sollen, behaupten sie, das sei nicht möglich. Es ist ein großer Fehler, dass es keine bessere Konkurrenz gibt. Wir bekommen aber bald zwei Stellschrauben im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz: Die KBV darf dann auch Performance-Anteile definieren und in Rahmenverhandlungen mit Herstellern treten.

Medical-Tribune-Interview

Martin Degenhardt, Gechäftsführer der
Freien Allianz der Länder-KVen Martin Degenhardt, Gechäftsführer der Freien Allianz der Länder-KVen © KVB/Munke
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