Medizinstudium Mehr Hausarztnähe ist gefragt

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

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Vor mehr als einem Jahr hatte Bundesgesundheitsminister Gröhe einen „Masterplan Medizinstudium 2020“ angekündigt. Dieser soll insbesondere Maßnahmen zur zielgerichteten Auswahl der Studienplatzbewerber, zur Förderung von mehr Praxisnähe und zur Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium umfassen. Inzwischen berät eine Kommission aus Bund und Ländern den Plan, der bis zum Frühjahr 2016 vorgelegt werden soll. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ist nicht untätig und hat sich nun mit einem 5-Punkte-Programm positioniert.

Der demografische Wandel und die permanenten Veränderungen in der medizinischen Versorgung strahlen auch auf die medizinische Ausbildung ab. Die Frage ist: Wie muss sich das Studium der Humanwissenschaft diesen Erfordernissen anpassen?

Pflichtquartal bleibt zentrale Forderung

Oberste Priorität hat aus Sicht der DEGAM die Einführung eines Quartals in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen für alle Studierenden im Praktischen Jahr. Ein solches obligatorisches Quartal im Fach Allgemeinmedizin würde sicherstellen, dass nach internationalen Vorbildern zukünftig auch in Deutschland alle Studierenden über einen längeren Zeitraum einen authentischen Einblick in den einzigartigen Bereich der primärärztlichen Versorgung erhalten. Zum einen erhielten so alle Studierenden einen vertieften Einblick in das besondere Patientenklientel im Primärversorgungssetting sowie in die speziellen Aufgaben und Handlungsoptionen eines breit qualifizierten Allgemeinarztes. Die nur so zu erwerbenden Qualifikationen in der ambulanten Versorgung seien für die zukünftige ärztliche Tätigkeit – unabhängig vom später gewählten Fachgebiet – sehr wichtig. Zum anderen könne nur hier die allgemeinmedizinische Arbeitsweise bei nicht-vorselektierten Patienten realitätsgerecht vermittelt werden, beispielsweise das bewusste abwartende Offenhalten, der Umgang mit häufigen Beratungsanlässen bei Patienten aller Altersklassen oder die familienmedizinische Betrachtung. Studien hätten gezeigt, dass auf diese Weise zunehmend mehr Studierende für eine Hausarzttätigkeit begeistert werden können, so die DEGAM.

Gelernt wird, was geprüft wird

Darüber hinaus sollte die Allgemeinmedizin als obligatorisches Prüfungsfach im 2. Abschnitt der ärztlichen Prüfung eingeführt werden, fordert die DEGAM. Dies sei zum einen die logische Konsequenz eines obligatorischen Abschnitts in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen im PJ, zum anderen müsse ohnehin sichergestellt und überprüft werden, dass jeder deutsche Arzt tatsächlich eine allgemeine Arztreife erreicht hat. So müssen alle in Deutschland ausgebildeten Ärzte – etwa im Rahmen des für alle Disziplinen verpflichtenden ärztlichen Bereitschaftsdiensts oder bei Notfällen im beruflichen wie privaten Umfeld – in der Lage sein, bei häufigen Gesundheitsproblemen eine fundierte Ersteinschätzung vorzunehmen.

Die obligate Einführung der Allgemeinmedizin in diesem abschließenden Prüfungsabschnitt stelle zudem sicher, dass der Fokus auf häufige Beratungsanlässe und Erkrankungen sowie ärztliche Basisfähigkeiten und die Patientenperspektive gelegt wird, statt sich auf einzelne spezielle Fächer zu konzentrieren. Zudem erhöhe eine Prüfung im Fach Allgemeinmedizin für die Studierenden die wahrgenommene Bedeutung des Faches entscheidend und motiviert sie maßgeblich, sich mit dessen Inhalten auseinanderzusetzen: Gelernt wird, was geprüft wird, stellt die DEGAM klar.

Die Einführung des 14-tägigen Blockpraktikums an allen deutschen Medizinischen Fakultäten wurde allerorts, jedoch z. T. unterschiedlich konsequent umgesetzt, moniert die Fachgesellschaft. Eine Klarstellung, die deutlich macht, dass eine „ganztägige“ (und nicht etwa nur eine wenige Stunden umfassende) Durchführung des Blockpraktikums erforderlich ist, würde Missverständnisse beseitigen und für mehr Klarheit sorgen. Sinnvoll seien mindestens 30 Unterrichtseinheiten pro Woche im Blockpraktikum Allgemeinmedizin in akademischen Lehrpraxen.

Allgemeinmedizin durch´s ganze Studium

Eine weitere Stärkung des Faches Allgemeinmedizin könne durch eine longitudinale Verankerung des Faches im Curriculum gelingen, schlägt die DEGAM vor. Hierfür seien vom ersten bis zum 10. Semester regelmäßige „Praxistage“ in einer akkreditierten allgemeinmedizinischen Lehrpraxis, verbunden mit Begleitseminaren, eine hervorragend geeignete Maßnahme. In einer aktualisierten Approbationsordnung sollte eine allgemeinmedizinische Präsenz im Curriculum vom ersten bis letzten Studienjahr festgeschrieben werden. Alle Fakultäten sollten zudem ein Wahlpflichtfach „Allgemeinmedizin“ anbieten, in dem für einen Teil der am Fach besonders interessierten Studierenden zusätzliche (z. B. wissenschaftliche) Inhalte des Faches gelehrt oder Versorgungsaspekte vertieft werden.

Bei der Auswahl der Bewerber für einen Studienplatz in der Medizin plädiert die DEGAM unter anderem dafür, geeignete Boni einzuführen, z. B. bei der Herkunft aus ländlicher oder aus einer von Unterversorgung bedrohten Region. Außerdem sollten bereits vorhandene oder begonnene Ausbildungen in einem Gesundheitsberuf stärker berücksichtigt werden. Und schließlich sollten die Universitäten durch entsprechende Testverfahren die Motivation der Bewerber für den späteren Arztberuf sowie deren kommunikative und soziale Kompetenzen prüfen.

Die DEGAM hat sich also positioniert. Nun wird man abwarten müssen, wie weit sie sich mit ihren Ideen für die Zukunft des Medizinstudiums durchsetzen werden kann. Ein gewisser Optimismus ist wohl erlaubt, da sich auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) in ihrer Stellungnahme größtenteils in ähnlicher Weise geäußert hat. Lediglich was die Einführung eines Pflichtquartals in der Allgemeinmedizin betrifft, liegt man noch auseinander.

Was die Stärkung der Allgemeinmedizin betrifft, sieht die bvmd vor allem die Medizinischen Fakultäten in der Pflicht. Über die Einrichtung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an allen Standorten könne die Forschung und Präsenz des Fachs gestärkt werden. Und auch bei der longitudinalen Integration allgemeinmedizinischer Lehrinhalte liegt die bvmd mit der DEGAM auf einer Linie. Darüber hinaus fordert die bvmd Förderprogramme und zusätzliche Wahlmöglichkeiten, die interessierten Medizinstudierenden einen Einblick in die Tätigkeit von Landärzten bieten können.

Quelle:
DEGAM

Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (16) Seite 32-33
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.