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Migranten helfen Migranten bei der gesundheitlichen Versorgung

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Veranstaltungen zur Aids-Prävention und zu sexueller Aufklärung in einer Moschee durchführen – geht das? Das Programm „Mit Migranten für Migranten“ (MiMi) beweist: Es funktioniert.

„Wir waren anfangs skeptisch, ob wir den Zugang zur Moschee erhalten würden, aber wir haben es gewagt“, berichtet Ramazan Salman im Gespräch mit Medical Tribune. Der in Istanbul geborene Sozialwissenschaftler und Medizinsozio­loge ist Vater der MiMi-Idee und Geschäftsführer des Ethno-Medizinischen Zentrums in Hannover, unter dessen Dach MiMi entstand.

Natürlich könne man in einer Moschee Geschlechtsorgane nicht direkt benennen und keine freizügigen Aufklärungsfilme zum gleichgeschlechtlichen Sex zeigen, so Salman, aber die Menschen seien in vertrauter Umgebung sehr interessiert und lernfreudig.

Entwickelt wurde das MiMi-Konzept vor 20 Jahren. Inzwischen gibt es Kooperationspartner an 59 Standorten in zehn Bundesländern. Unterstützung kommt von Landesregierungen, Krankenkassen, Unternehmen, aber auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen Union.

2200 Lotsen aus 136 Ländern erreichen die Zuwanderer

2003 wurde MiMi von der WHO als „Best Practice“-Beispiel ausgezeichnet, weil es zeige, dass die Gesundheitsversorgung von Migranten durch kultur- und sprachspezifische Konzepte kostengünstig und qualitätsgerecht zu gewährleisten sei. Im Ausland besteht großes Interesse an Nachahmung: Vergangenen Sommer z.B. fiel der Startschuss für „MiMi – GesundheitslotsInnen in Wien“.

Dreh- und Angelpunkt von MiMi sind 2200 Lotsen, die alle mindes­tens 50 Stunden theoretische und zwei Wochen praktische Ausbildung hinter sich haben. Drei Viertel von ihnen sind Frauen, die älteste ist 72 Jahre alt. „Das liegt sicher daran, dass Frauen das deutsche Gesundheitssystem wegen der Mitversicherung der Kinder besonders schätzen. Das ist nicht selbstverständlich in zwei Dritteln der Länder der Welt“, sagt Salman.

Vermittler zwischen deutschem Gesundheitssystem und Migranten

Alle Lotsen sind Migranten. Sie kommen aus 136 Ländern. Die meisten haben ihre Wurzeln in der Türkei und im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, andere in arabischen Staaten oder in Polen. Die Lotsen sind Mittler zwischen dem deutschen Gesundheitssystem und den Migranten. Die gleiche Kultur und die gleichen Befindlichkeiten öffnen ihnen einen Zugang zu sozial schwächeren, nicht integrierten, oft arbeitslosen Zuwanderern, der Deutschen verschlossen ist. Sie öffnen ihnen den Zugang zu Prävention und fachärztlicher Versorgung. Die Lotsen informieren und beraten zu 22 Themen. Es geht u.a. um das

Gesundheitssystem, gesunde Ernährung, Bewegung, Impfschutz, Alter, Diabetes, Frauengesundheit, Mundgesundheit, Reha und Sucht. Die Veranstaltungen sind standardisiert und modular aufgebaut. Moscheen, Synagogen, Wartebereiche in Flughäfen und Schulen dienen als Hörsäle. Und die Lotsen gehen auch in die Familien.

Im vergangenen Jahr gab es 1600 MiMi-Veranstaltungen – jeweils in der Muttersprache der Adressaten. Informationen liefern auch von MiMi entwickelte „Wegweiser“ in 15 Sprachen, von denen bisher über 450 000 Exemplare verbreitet wurden. Die Broschüren erreichen theoretisch 90 % der hiesigen Migranten.

Nützliche Informationen in der Muttersprache

MiMi ist auch ein berufliches Sprung­brett. Einige Lotsen haben die Ausbildung gewechselt und ein Medizinstudium abgeschlossen. Ein arbeitsloser, ehemaliger Professor der Russischen Akademie der Wissenschaften erhielt endlich die deutsche Anerkennung seiner Qualifikation.

MiMi schult zudem Ärzte, die mehr über den richtigen Umgang mit Migranten im Sprechzimmer wissen wollen. Besonderes Interesse an der Fortbildung zeigen Psychiater. Sie wollen wissen, welche Rolle die Kultur des Patienten bei Diagnostik und Therapie spielt, welche Kommunikationstechniken in Familien mit traditionellen Geschlechterrollen anzuwenden sind oder wie Dolmetscher in der Therapie eingesetzt werden können. Beim Thema Sucht wollen Ärzte etwas darüber erfahren, wie bei einer Therapie die Familie einbezogen werden kann.

Ein großes Thema ist auch, wie Migranten zur Therapietreue zu bewegen sind. Fortbildungen gab es in Kooperation mit der Ärztekammer Niedersachsen und dem Hausärzteverband zum Thema Impfen. Die Veranstaltung „Migrantenkinder“ richtete sich an Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Der MiMi-Chef, der für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz erhielt, bewertet das große Interesse der Mediziner am Verstehen ausländischer Patienten als „eine schöne Entwicklung in Richtung Normalität“ angesichts der 18 % Ausländer, die in Deutschland leben. Noch vor 20 Jahren hätten Ärzte weniger nach Hilfe gesucht, wenn der Patient nicht richtig Deutsch sprechen konnte.

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