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Nationale Kohorte: Ärzte sollen zur Teilnahme am Großprojekt ermuntern

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Nach einigen mittelgro­ßen Kohortenstudien in Deutschland mit zusammen bis zu 120.000 Teilnehmern, ist die Nationale Kohorte mit 200.000 Probanden durchaus groß zu nennen. Bis zu 30 Jahre lang sollen Lebensgewohnheiten und Erkrankungsverläufe untersucht werden.

Anfang 2014 soll die gemeinsame Langzeitstudie von Helmholtz-Einrichtungen, Universitäten, Leibniz-Instituten und dem Robert Koch-Institut starten, nach langjähriger Vorbereitung mit Machbarkeitsstudien, zwei Pre-Tests und einem im Herbst noch folgenden Pilotprojekt für den letzten Feinschliff.

Untersucht wird die Entstehung chronischer Krankheiten inklusive subklinischer Vorstufen. Ein Ziel ist auch, Risikovorhersagemodelle für chronische Erkrankungen und personalisierte Präventionsstrategien zu entwickeln. „Die Ergebnisse dieser Studie werden neue Möglichkeiten zur Prävention, Vorhersage und Früherkennung der wichtigsten Volkskrankheiten ermöglichen“, erklärt der Vereinsvorstand der Nationalen Kohorte auf seiner Internetseite.

Das Mammutprojekt sieht vor, über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren Männer und Frauen im Alter von 20 bis 69 Jahren zu ihren Lebensgewohnheiten zu befragen und medizinisch zu untersuchen. 18 Studienzentren sind dafür ausgewählt worden. Sie sind zugleich für die Rekrutierung der Probanden über die regionalen Einwohnermelderegister per Zufallsstichprobe zuständig.

Testlauf: Jeder Zweite mit einem auffälligen Befund

Beispielsweise wird das Leibnitz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen 10 000 Probanden betreuen. Institutsleiter Professor Dr. Wolfgang Ahrens bittet bereits die Mediziner der Stadt, „durch Aufmunterung ihrer Patienten“ die Studie zu unterstützen. Der Testlauf in der Hansestadt hatte bei der Hälfte der eingeschlossenen 200 Probanden auffällige Labor-, Blutdruck- und EKG-Befunde ergeben, berichtet Dr. med. Dr. jur. Natasha Schlothauer im „Bremer Ärztejournal“.

Hinsichtlich Ethik und Datenschutz wurde die Nationale Kohorte heftig öffentlich pro und kontra diskutiert. Ein Ethik-Kodex schreibt jetzt ein „hohes Schutzniveau zugunsten der Teilnehmer“ vor. Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig; jederzeit können einzelne Untersuchungsteile abgelehnt werden.

Recht auf Nichtwissen auch bei entdecktem Tumor?

Zudem bleibt es dem Einzelnen überlassen, ob er über Ergebnisse der Untersuchungen informiert werden will. „Auch das Recht auf Nichtwissen wird gewahrt“, heißt es im Kodex. Wie mit der Entdeckung von Tumoren umgegangen werde, sei noch nicht abschließend geklärt, schreibt jedoch Dr. Schlothauer.

Für vier von fünf Probanden ist bei der Erstbefragung und -untersuchung ein 2,5-Stunden-Studienprotokoll zur Erfassung des körperlichen und geistigen Status vorgesehen. Die anderen 20 % durchlaufen einen 4-Stunden-Test mit weitergehenden Untersuchungen. Zusätzlich sind bei einer Teilstichprobe MRT-Aufnahmen von Herz, Gehirn oder dem ganzen Körper vorgesehen.

Von allen Teilnehmer werden zudem Blutbestandteile, Urin, Speichel, DNA sowie Nasensekret und eine Stuhlprobe gewonnen. Die Lagerung des Materials erfolgt in einer zentralen Biobank am Helmholtz-Zentrum München und zum Teil zusätzlich in den regionalen Zentren. Gewebeproben von Teilnehmern mit Krebserkrankungen werden in einer zentralen Tumorgewebebank im Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg gespeichert.

Der Erstuntersuchung folgen regelmäßige Befragungen per E-Mail, Telefon oder Internet. Nach fünf Jahren sollen sich die Teilnehmer wie eingangs erneut in einem der Studienzentren umfassend untersuchen lassen. Darüber hinaus wird es Nachbeobachtungen über 10 bis 20 Jahre geben.

Finanziert wird die prospektive, multizentrische Studie mit bis zu 70 Millionen Euro von den Helmholtz-Zentren. Bis zu 140 Millionen Euro übernehmen Bund und Länder im Verhältnis 75:25.

Grüne: Gesunde Menschen werden zu Patienten gemacht

Unumstritten ist das Großprojekt wie gesagt nicht. Die Bundestagsabgeordnete Biggi Bender warnt davor, dass aus den Studiendaten individuelle Risikoprofile erstellt werden könnten, die dann kommerziell für eine personalisierte Prävention vermarktet werden.

Kritik übt die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch daran, dass gesunde Menschen zu Patienten gemacht würden: „Das ist keine Bekämpfung von Volkskrankheiten, sondern die Neudefinition von Zuständen mit Interventionsbedarf und Krankheitswert und demzufolge ein Verlust an Gesundheit.“

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