Koalitionsvertrag Nephrologie: Wird „gut gemeint“ ab jetzt „gut gemacht“?

Der Koalitionsvertrag der schwarz/roten Bundesregierung war noch ganz frisch, als am 8. und 9. Mai die 33. Erfurter Dialysefachtagung im Kaisersaal der Thüringischen Hauptstadt stattfand. Die Teilnehmer erwartete ein vielfältiges wissenschaftliches Programm, aber vor dem Hintergrund einer neu beginnenden Legislaturperiode unter Führung der CDU/CSU spielten in diesem Jahr auch die Gesundheits- und Berufspolitik eine herausragende Rolle. Der Saal war trotz besten Frühlingswetters voll besetzt, als Dr. Christoph C. Haufe, neben Dr. Ulrich Paul Hinkel einer der Tagungspräsidenten, die Tagung mit den Worten „Momentan haben wir politisch schwierige Zeiten, die besser sein könnten“ eröffnete. Und er betonte, dass alle, die in Gesundheitsberufen arbeiten, sich nicht nur ihrer Arbeit widmen können, sondern sich auch irgendwo (berufs)-politisch behaupten müssen. Die DGfN habe das erkannt und zur Durchsetzung wichtiger gesundheitspolitischer Anliegen im vergangenen Jahr die Position einer Generalsekretärin geschaffen. „Wir haben lange darum gerungen, weil alle, die in der Nephrologie arbeiten, Dialysepflegekräfte, Ärzte und Techniker, auch in der Politik in Berlin schlagkräftig vertreten sein müssen.“ Die neue Generalsekretärin der Fachgesellschaft Dr. Nicole Helmbold, eine berufspolitisch erfahrene Ärztin, sagte zu ihrem Amtsantritt: „Ich möchte die Expertise und die Manpower, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind, zusammenbringen und so bündeln, dass die Nephrologie gemeinsam mit einer starken Stimme spricht. Nur so finden wir Gehör und werden von allen wesentlichen Bereichen, der Selbstverwaltung, der Gesundheitspolitik, der allgemeinen und der fachlichen Öffentlichkeit wahrgenommen.“ In Erfurt erläuterte sie ihre Analyse des Koalitionsvertrages in Bezug auf die Nephrologie.
„Verantwortung für Deutschland“, ein großes Wort für große Aufgaben
Die Vorhaben und von den Verhandlern gewählten strategischen Formulierungen zur Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien „streifen“ alle relevanten Themen: Von A wie Arzneimittel bis Z wie Zukunft eines Deutschen Zentrums für Nierengesundheit (DZNG). In ihrem Auftaktvortrag der Erfurter Tagung ging Dr. Helmbold auf einige der wichtigsten Themen wie Prävention, Ambulantisierung, Krankenhausreform, Gesundheitsberufe und Organspende ein und resümierte: Kaum Neues, wenig Konkretes, alles unter Finanzierungsvorbehalt. Dies sei allerdings auch eine Chance, weil so Gestaltungsspielräume blieben. Gleichzeitig verband sie mit dem Übergang der Verantwortung für die Gesundheitspolitik an die CDU/CSU die Hoffnung, dass die Gesundheitspolitik aus der größten Fraktion des Bundestages heraus wieder mehr Gewicht erfahren wird. Und dass die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (Juristin) mit ihren neuen Parlamentarischen Staatsekretären Tino Sorge (Jurist) und Dr. Georg Knippels (ebenfalls Jurist) von der Vorgängerregierung begonnene Vorhaben weiter vorantreibt.
Diese Hoffnung basiert darauf, dass Vieles von dem, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, einerseits mit Positionen der CDU übereinstimmt, die die Partei seit Jahrzehnten vertritt. Andererseits kann sie sich auf sinnvolle, bereits angeschobene Projekte stützen, diese wieder auf die Tagesordnung bringen (weil zum Teil im Gesetzgebungsverfahren im Bundestag „gestrandet“) und mit gegebenenfalls marginalen Veränderungen umsetzen. Das gilt für die Bereiche Ambulantisierung, Krankenhausreform und Gesundheitsberufe genauso wie für die Prävention − sofern man sich bei entsprechenden Gesetzesvorhaben einigen kann und jetzt durchaus vorhandenes Geld gezielt eingesetzt wird.
Das betrifft z. B. beim Thema Prävention die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), Stichwort „Pakt für den ÖGD“, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, den Ausbau der Strukturen in Apotheken für Präventionsleistungen (ehemals im Entwurf „Gesundes-Herz-Gesetz“ angedacht) oder auch das vom BMWF geförderte laufende Projekt „Etablierung einer Nationalen Biobank“ als Grundlage für Präventionsmedizin.
Genauer hingeschaut
Die Liste der notwendigen Veränderungen im Gesundheitswesen, auch derer, die nicht alle im Koalitionsvertrag erwähnt werden, ist lang, und der Teufel liegt wie immer im Detail. Vieles sei eher vage formuliert oder erweise sich bei genauerem Hinschauen zwar als Vision, aber nicht als konkreter Plan, zeigte die Generalsekretärin in ihrer Analyse.
So findet sich z. B. im Koalitionsertrag unter dem Stichwort Prävention die „Stärkung freiwilliger Angebote auf kommunaler Ebene für vulnerable Gruppen“. „Aber es gibt keine klaren Ansatzpunkte für die Prävention der CKD. Unsere Idee eines Nationalen Nierenplanes oder eines DMP CKD passt nicht in das, was formuliert wurde. Einzige und vermutlich beste Möglichkeit, um über die CKD ins Gespräch zu kommen wird das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit BIÖG sein“, vermutet Helmbold. Noch im Februar 2025 erhielt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) diesen neuen Namen. Bleibt abzuwarten, welche Wirkung von der Umbenennung ausgehen wird.
Ambulantisierung
In Bezug auf die Ambulantisierung soll jetzt ein verbindliches Primärarztsystem durch Haus- und Kinderärzte mit einigen Ausnahmeregelungen (Gynäkologie, Augenheilkunde, chronisch Kranke) etabliert werden. Hier stehen Vorhaben zur Debatte wie die Ersteinschätzung über digitale Wege, Termingarantie über die 116 117 der KV oder Facharztzugang im Krankenhaus ambulant, die Entbudgetierung von Fachärzten in unterversorgten Gebieten, Zuschläge in untervorsorgten und Abschläge in überversorgten Gebieten sowie der Ausbau der Hybrid-DRG, der in der Nephrologie z. B. im Bereich der Shuntchirurgie interessant sein könnte. Beim Primärarztsystem müsse man die Ausgestaltung abwarten. Der angekündigte direkte Facharztzugang im Krankenhaus bei fehlenden vertragsärztlichen Kapazitäten werde sich jedoch schwierig gestalten, da auch die nur rund 145 nephrologischen Kliniken begrenzte Ressourcen aufweisen, so Frau Dr. Helmbolds Blick auf die Ideen bei diesem Thema.
Krankenhausreform
Beim schon seit langer Zeit diskutierten Thema Krankenhausreform rief Helmbold ins Gedächtnis, dass Krankenhäuser bereits 2022 die fehlende Investitionskostenfinanzierung durch die Länder beklagten, 2024 schon ca. 61 % der Krankenhäuser „rote Zahlen schrieben“ und die Krankenhausinsolvenzen zunehmen. Alle sind sich einig, dass es einer grundlegenden Reform bedarf; strittig sei aber nach wie vor das WIE. Mit dem 2024 nach zähem Ringen von Bund und Ländern beschlossenen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) stehen einige Veränderungen an, wie
- eine Vorhaltevergütung zur Verringerung des ökonomischen Drucks (Helmbold: „Wirksamkeit unklar“)
- der Einsatz von Mitteln aus dem Transformationsfonds für strukturelle Veränderungen (50 Mrd. Euro über 10 Jahre)
- Qualitätsvorgaben über Leistungsgruppen mit Mindestvorgaben und Mindestfallzahlen, die medizinische Leistungen abbilden und damit als Instrument einer leistungsdifferenzierten Krankenhausplanung dienen sollen. Hier relevant: „Allgemeine Innere Medizin“, „Komplexe Nephrologie“, „Nierentransplantation“.
Helmbold: „Die „Spezielle Kinder- und Jugendmedizin Schwerpunkt Kinder- und Jugendnephrologie“ wird voraussichtlich gemäß Koalitionsvertrag erst einmal wieder gestrichen.“ Bis Ende 2026 sollen die neuen Leistungsgruppen durch die Länder zugewiesen sein. Bezüglich der Finanzierung sieht das Gesetz vor, dass ein InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus)-Grouper gemäß § 21 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) entwickelt wird. Dieser Grouper liege seit Anfang dieses Jahres vor, berichtete Helmbold und fügt hinzu, dass er, bezogen auf die Komplexe Nephrologie, aber auch in anderen Bereichen noch erhebliche Schwächen und deutlichen Überarbeitungsbedarf habe. Diese Überarbeitung sieht der Koalitionsvertrag vor, zeigte sich die Generalsekretärin der DGfN erfreut.
Noch in diesem Sommer sollen neue gesetzliche Regelungen für die Krankenhausreform formuliert werden. Die Konvergenzphase sei von zwei auf drei Jahre verlängert worden. 2027 soll für die Krankenhäuser erlösneutral gestaltet werden, um die neuen Vergütungsregeln und die Vorhaltefinanzierung zu erproben und nachzujustieren. Dies sei alles auch für die Nephrologie hilfreich, betonte Dr. Helmbold.
Weitere geplante Veränderungen sind:
- Ärztliche Personalbemessung durch neues Instrument der BÄK,
- verringerter Verwaltungsaufwand durch verlängerte Prüfintervalle für Strukturprüfungen durch den MD sowie
- Leistungszentralisierung (Schließung oder Umwandlung von Standorten, um Überversorgung abzubauen). Dies könnte für die Nephrologie negative Folgen haben, da es in diesem Fachgebiet keine Überversorgung gebe, gab Helmbold zu bedenken.
Gesundheitsberufe
Erster, im Koalitionsvertrag zitierter Punkt unter Gesundheitsberufe lautete „Erhöhung von Wertschätzung und Attraktivität der Gesundheitsberufe“ – allgemeines Raunen ging durch den Saal. Zweitens sollen die Unterschiede zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft reduziert werden und drittens geht es um eine geeignete Personalbemessung im Krankenhaus.
Der Sachstand ist hier, dass das neu einzuführende Ärztliche Personalbemessungssystem der BÄK gemäß § 137m SGB V entwickelt und bereits in Erprobung ist. „Wir sind gespannt, wie das dann tatsächlich aussieht, wie viele Ärzte nach diesem Bemessungstool im Krankenhaus im nephrologischen Bereich arbeiten werden.“ Die Pflegepersonaluntergrenzen gemäß § 137i Absatz 4 SGB V (PpUG), allerdings ausschließlich für die stationäre Versorgung, sind für die Nephrologie unter dem Bereich Innere Medizin und Kardiologie geregelt: Untergrenze 10 Patienten: 1 Pflegekraft in der Tagschicht, 22:1 in der Nacht. 10 % der Pflegekräfte dürfen Hilfskräfte sein.
Ansonsten gebe es im Bereich der Pflege nicht viel Neues. Nachdem es die Gesetzgebungsverfahren in der vergangenen Legislaturperiode nicht auf die Zielgerade geschafft hätten, werden erneut erwähnt:
- die Stärkung der Eigenverantwortung
- der kompetenzorientierte Fachpersonaleinsatz – Stichwort eigenständige Heilkundeausübung
- das Gesetz zur Pflegekompetenz, Pflegeassistenz sowie zur Einführung der „Advanced Practice Nurse“ (Ersteres hat immerhin das Kabinett passiert und das Pflegefachassistenteneinführungsgesetz hat die 1. Lesung im Bundestag hinter sich gebracht) sowie
- die Stärkung der Selbstverwaltung mit Stimmrecht im G-BA.
Da das Kammersystem bisher nicht in allen Bundesländern umgesetzt worden ist, sei die Pflege bei Letzterem vielleicht auch noch nicht ideal aufgestellt, räumte Helmbold ein.
Eine weitere wichtige, nicht zuletzt politisch zu entscheidende Frage ist der zukünftige Umgang mit ausländischen Arbeitskräften. Hier ist der Plan, die DQR*-Anerkennungsverfahren zu vereinfachen, damit ausländische Pflegerinnen und Pfleger weiterqualifiziert und leichter ins deutsche System integriert werden können.
Auch zugunsten der Ärzte wird es keine nennenswerten Veränderungen geben. Es ist lediglich geplant, dass die ausländische Arztausbildung leichter anerkannt wird, das PJ besser vergütet wird (neue Vergütungsstruktur, mindestens BAFöG-Satz) und eine einheitliche Fehlzeitenregelung geschaffen wird.
„Die finanzielle Förderung der fachärztlichen Weiterbildung ist im Rahmen der Krankenhaus-Reform avisiert, ambulant allerdings leider nur für die Weiterbildung von Haus- und Kinderärzten. Dabei ist noch nicht ganz klar, wie die Finanzierung in den Krankenhäusern aussehen soll. In der letzten Verordnung zum Transformationsfond fand sich das nur sehr vage. Daraus kann man noch nichts ableiten.“
Organspende
Ein sehr wichtiges Thema, was uns alle und auch das politische Berlin in den letzten Jahren sehr bewegt habe, sei die Organspende. Dazu finden sich nur zwei sehr schmale Sätze im Vertrag: „…Wir wollen die Zahl der Organ- und Gewebespenden deutlich erhöhen und dafür die Voraussetzungen verbessern. Aufklärung und Bereitschaft sollen gefördert werden.“
De facto müsse man sagen, dass es vermutlich keinerlei Änderungen zu den Vorgaben der Vorgängerregierung geben wird. Die Lebendorganspende-Reform (Cross-over-Lebendnierenspende), die bereits das Kabinett passiert hatte, wird vermutlich genauso weiterverfolgt werden. Die Widerspruchslösung (bisher 1. Lesung im Bundestag und Anhörung im Gesundheitsausschuss) wird Gewissensentscheid bleiben, so Helmbolds Ausblick zur Organspendeproblematik in Deutschland.
Arzneimittelversorgung
Zwei, auch für die Nephrologie nicht ganz uninteressante Aspekte hob Helmbold in Bezug auf die Arzneimittelversorgung hervor: Die geplante Rückverlagerung von Produktionsstandorten kritischer Arzneimittel nach Deutschland und Europa sowie Zugang zu innovativen Arzneimitteln bei nachhaltig tragbarer Finanzierung. Allerdings, so schränkte die Vortragende ein, von den von der DGIM gemeinsam mit der DGfN benannten unverzichtbaren Arzneimitteln, insgesamt 604, für die Nephrologie 112 (https://www.dgfn.eu/dgim-liste.html), werden sicherlich nicht alle rückverlagert.
Deutsches Zentrum für Nierengesundheit (DZNG)
Last but not least griff Helmbold das von der DGfN schon 2021 im 10-Punkte-Plan zur Stärkung der Nephrologie geforderte Deutsche Zentrum für Nierengesundheit (DZNG) auf. Man wollte schon damals die Nephrologie gern unter dem Dach der vom BMWF geförderten Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung unterbringen. Man findet zwar im Koalitionsvertrag die Absicht „Mehr klinische Forschung zur Bekämpfung der großen Volkskrankheiten“, die jedoch sofort eingeschränkt wird. Denn es sollen nur die bereits bestehenden und im Aufbau befindlichen Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung gefördert werden. Damit sei klar, kein Deutsches Zentrum für Nierengesundheit, zumindest nicht jetzt.
WHO-Resolution zur Nierengesundheit
Deshalb appelliert Frau Dr. Helmbold an alle in der Nephrologie Tätigen, die Position der DGfN und die Bedeutung der CKD als Volkskrankheit in die Öffentlichkeit tragen: „Sonst wird sich in unserer politischen Wahrnehmung und damit, wie es mit unserem Fachgebiet weitergeht, nichts ändern.“ Sie rief abschließend dazu auf, die im Rahmen 78. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly – WHA, vom 19. bis 27. Mai 25) zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegte WHO-Resolution „Reducing the burden of noncommunicable diseases through promotion of kidney health and strengthening prevention and control of kidney disease“ zu unterzeichnen.
Diese Petition baut auf einer im Oktober 2024 von Guatemala bei der WHO eingereichten Resolution zur Nierengesundheit auf. Diese Resolution zielt darauf ab, Nierengesundheit zur globalen Priorität zu machen und Lücken in Prävention und Therapie zu schließen.
Die ISN-Petition erreichte schließlich insgesamt 21 025 Unterschriften und trug dazu bei, dass die WHO die globale Resolution im Rahmen der 78. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly – WHA) annahm.
Quelle: Vortrag von Dr. Nicole Helmbold, Generalsekretärin der DGfN, „Aktuelle Gesundheitspolitik“ im Rahmen der 33. Erfurter Dialysefachtagung am 08. Mai 2025