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Neue KBV-Vorgaben für die Arzneidatenbanken zum 1. Juli

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Die Zeit der für den Arzt kostenfreien Arzneimitteldatenbanken in den Arzt­informationssystemen (AIS) scheint vorbei zu sein. Die ab 1. Juli gültigen Vorgaben für die Software greifen in die Geschäftsmodelle mit Sponsoren und Werbung ein.

Die KBV macht ernst: Der Arzt soll bei seinen IT-gestützten Arzneimittelverordnungen ab dem 1. Juli „von verfälschten Preisvergleichslisten, Pop-ups mit indikationsbezogener Werbung und automatischen Häkchen bei aut-idem verschont bleiben“.

KBV und GKV-Spitzenverband haben durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz seit 2006 den Auftrag, die gesetzlichen Vorgaben an die Arzneiverordnungssoftware zu konkretisieren. Die KBV zertifiziert und überprüft die Praxisprogramme. Das AVWG schreibt dabei vor, dass in Praxen nur noch Software genutzt werden darf, die eine manipulationsfreie Arzneiverordnung gewährleistet, und die die Ärzte mit relevanten Informationen unterstützt (z.B. Verlinkung von einem Arzneimittel auf den Therapiehinweis des G-BA). Ab Juli gelten neue Anforderungen an die Software.

Neue Regeln für die Arzneiverordnungssoftware

Von der KBV zertifizierte Software für die Kassenarztpraxis muss folgende Vorgaben für ein manipulations­freies Verordnen einhalten.Ab dem 1. Juli 2012 gilt fürs Bedrucken von Rezepten:

  • Unzulässig sind Angaben wie „keine Substitution“, „kein aut-idem“, „das Medikament ist zuzahlungsbefreit“ oder Verordnungsbegründungen. Gestattet ist das Aufdrucken einer Menge, z.B.Tablettenanzahl.

  • Unzulässig sind hersteller- oder präparatbezogene Einstellungen zu aut-idem und Reimporten sowie Vorbelegungen mit Verordnungsbegründungen, die sich auf bestimmte Pharmazentralnummern (PZN) beziehen. In Fällen, in denen der Arzt den Austausch eines Medikaments in der Apotheke ausschließt, also ein Nec-aut-idem-Kreuz setzt, darf eine PZN aufs Rezept. Entscheidet der Arzt sich für einen Reimport, ist auf das Rezept entweder der Importeur oder der Zusatz „Importeur“ bzw. „Reimport“ zu drucken.

  • Werbung ist nur in Fenstern mit der Beschriftung „Werbung“ zulässig und darf nicht vom Verordnungsvorgang ablenken oder den Workflow (z.B. als Pop-Up-Fenster) unterbrechen. Sie ist von fachlichen Inhalten zu trennen.

  • Es darf keine Funktion hinterlegt sein, die direkt zum Ausstellen einer Verordnung oder einer Veränderung auf dem Rezept (z.B. Änderung des Aut-idem-Status) führt. Ein vom Arzt medizinisch begründet gesetztes Aut-idem-Kreuz speichert die Software in der Patientenhistorie. Bei der Folgeverordnung für denselben Patienten erscheint es automatisch auf dem Rezept. Nicht mehr zulässig sind Voreinstellungen, die bei bestimmten Herstellern oder Präparaten automatisch das Aut-idem-Häkchen setzen, sowie „Tagesfreischaltungen“, mit denen Produkte sponsernder Hersteller sofort freigeschaltet werden konnten, andere Produkte mit demselben Wirkstoff aber erst mit dem nächsten Update.

  • Der Arzt muss bereits in den Auswahl­listen erkennen können, welches Präparat rabattiert ist und welches nicht. Auch soll klar zu sehen sein, ob eine zur Substitution geeignete Rabatt-Arznei existiert.

  • Soweit die Arzneidatenbank im kollektivvertraglichen Bereich zum Einsatz kommt, sind kassenindividuelle Hinweise bei der Verordnung bestimmter Präparate – im Sinne einer Aut-simile-Substitution wird ein anderer Wirkstoff vorgeschlagen – nicht mehr erlaubt. Das soll Widersprüche mit regionalen Arzneimittelvereinbarungen vermeiden.

IT-Branche ist nicht glücklich mit dem Vorgehen

Branchenführer CompuGroup Medical Deutschland AG (CGM) verspricht allen Kunden von Albis, Medistar, TurboMed, CompuMed-M1 und DataVital, dass sie rechtzeitig das Update mit der neuen Arzneimitteldatenbank erhalten. Doch das Koblenzer Unternehmen kritisiert: „Die neuen Anforderungen schränken nicht nur die Möglichkeiten für Werbung in der Arztsoftware, sondern auch die Möglichkeit zur Übermittlung aktueller Produktinformationen, wie z.B. zu neu auf den Markt kommenden Generika oder Hinweise zu kassenspezifischen Substitutionsvorschlägen, erheblich ein.“

Die von vielen Anwendern als Arbeitserleichterung erstellten Makrofunktionen dürften nach den neuen KBV-Vorgaben nicht mehr genutzt werden – , „der praxisgerechte Arbeitsablauf wird gestört“. Für jedes Rezept, egal ob Erst- oder Wiederverordnung, sei nun stets die Arzneimitteldatenbank zu konsultieren; „Zeitverlust für den Arzt ist die Folge.“

„Da die Möglichkeiten der Gegenfinanzierung durch Informationsangebote der Industrie nun deutlich eingeschränkt sind, wird die Abgabe einer kostenfreien Arzneimitteldatenbank in absehbarer Zeit leider nicht mehr möglich sein“, teilt CGM auf Anfrage von Medical Tribune mit. Die neuen KBV-Anforderungen führten zu einem höheren Entwicklungsaufwand und einer umfangreicheren Pflege der Arznei-Informationen. Dies könne für die Anwender zu einer Kostenbelastung von etwa 500 Euro pro Jahr führen.

Die Kosten für eine werbefreie Arzneimitteldatenbank betragen nach CGM-Angaben heute monatlich rund 40 Euro plus Mehrwertsteuer. Der zusätzliche Entwicklungs- und Pflegeaufwand werde die Kosten schätzungsweise um weitere 30 bis 50 Euro pro Monat erhöhen.

CGM prüft, ob rechtliche Schritte gegen das Verfahren der Zertifizierung erfolgversprechend sind. Möglicherweise sei durch die Beschneidung der Herstellerinformationen, dem Verbot bestimmter Info-Angebote und die Regulierung der Programmabläufe auch das Recht der Ärzte auf Informationsfreiheit sowie die Pressefreiheit berührt.

Höhere Leistung der Praxis-PCs erforderlich?

Die KBV "manipuliere" auch geltendes Recht, indem sie – außer bei Nec-aut-idem-Verordnungen – den Rezeptaufdruck der Pharmazentralnummer (die ein Präparat eindeutig bestimmt) verbiete, obwohl die Arzneimittelverschreibungsverordnung die PZN-Angabe nicht ausschließe. „Somit kann diese handschriftlich jederzeit erfolgen, mittels PC gedruckt werden darf sie nicht!“

Die höheren Datenbestände, insbesondere zur Darstellung der Rabattverträge, sowie die Recherchen, die nun bei jeder Verordnung nötig würden, forderten vom Praxis-PC mehr Leistung, erklärt CGM. Einige Praxen könnten deshalb gezwungen sein, nachzurüsten.

Ständig Hinweise auf billigstes Präparat

Jens Naumann, Geschäftsführer der medatixx GmbH & Co.KG: „Im Prinzip verfolgt die KBV mit den neuen Zertifizierungsvorgaben zwei Ziele: Zum einen soll der Arzt so günstig wie möglich verordnen. Das heißt, dass der Arzt von seiner Software an allen möglichen und – wie wir finden – auch unmöglichen Stellen auf das billigste Präparat hingewiesen wird; es werden regionale Arzneimittelvereinbarungen eingeblendet, es erfolgen immer wieder Hinweise, was der Arzt wie und wo verordnen sollte. In der täglichen Praxis bedeutet das, dass z.B. ein Hausarzt, der rund 150 Rezepte täglich verschreibt, zu jeder Verordnung noch mehr Informationen als bisher erhalten wird, die den Zeitablauf der Praxis empfindlich stören können.

Zum anderen möchte die KBV Werbeaussagen oder auch Präparateinformationen durch die Pharmaindustrie möglichst weit zurückdrängen. Der Leidtragende dabei ist der Arzt, der unter den neuen KBV-Vorgaben leiden wird: Zeitverluste, Informationsflut und höhere Kosten dürften das Ergebnis sein.“

Die KBV hält auf ihrer Homepage eine „Praxis-Info“ zu den IT-Änderungen vorrätig. Ansonsten überlässt sie die Information der Anwender den KVen bzw. AIS-Anbietern.

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