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Notarzt wegen Bagatelle - das kostet Milliarden!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Wegen jedem Firlefanz muss heute der Notarzt ran, sogar wegen einer Stinkbombe! Dafür werden Milliarden verplempert, kritisiert MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering.

Neulich stand eine kleine Notiz in unserer Lokalzei­tung: Ein Lehrer hatte beim Betreten des Klassenraumes einen unangenehmen Geruch bemerkt. Kurzerhand evakuierte man mehrere Hundert Schüler, weil ein Gasaustritt befürchtet wurde. Bald aber stellte sich heraus, dass eine simple „Stinkbombe“, die ein Strolch durchs Fenster geworfen hatte, Ursache der atmosphärischen Trübung war.
So weit, so lustig.


Weiterhin wurde jedoch berichtet, dass eine Lehrerin und eine Sechzehnjährige wegen „Atembeschwerden“ ärztlicher Behandlung zugeführt werden mussten.


Wie ich die Schul- und Sicherheitsbehörden kenne, ist das gewiss mit großem Aufwand geschehen. Notarzt und Rettungswagen werden parat gestanden und die beiden mit Blaulicht in die nächste Klinik gefahren haben.

2500 Euro wegen einer einzigen Stinkbombe

Rechnen wir doch mal! Eine Nacht Überwachung im Krankenhaus für beide plus Fahrt im Notarztwagen verursachen mindestens 2500 € Kosten – und das auch nur, wenn sich die zwei ein Einsatzfahrzeug geteilt haben (was ich hoffe; wobei ich nicht weiß, ob dann doch zwei komplette Einsätze abgerechnet werden).


Zu meiner Schülerzeit hat man sich die Nase zugehalten, wenn eine Stinkbombe geplatzt war, ordentlich durchgelüftet und später seiner Mutter das Mittagessen verdorben, indem man Szenerie und olfaktorische Eindrücke genüsslich Revue passieren ließ.


Heute wird man sicherheitshalber in ein Klinikbett verfrachtet, natürlich mit Notarztbegleitung. Haben die beiden Damen mit der Darstellung ihrer gesundheitlichen Problematik übertrieben oder die Verantwortlichen mit den Konsequenzen? Ich musste schon miterleben, dass Kinder per Rettungswagen von einem Sportfest „geborgen“ wurden, weil sie sich eine kleine Schnittwunde zugezogen hatten.


Eine leichte Sprunggelenksdistorsion erforderte bei einem ähnlichen Einsatz die Alarmierung des Notarztes, genau wie der orthostatische Kollaps einer hoch aufgeschossenen Siebzehnjährigen in einer Bank. Obgleich sie liegend die Augen gleich wieder öffnete (kein Wunder!), wurde sie mit sanftem Nachdruck dazu gebracht, in den Rettungswagen einzusteigen und sich im Krankenhaus untersuchen zu lassen. Der Kollaps ereignete sich an einem Samstag, sonntags passierte in der Klinik nichts.


Am Montag stellte man per Langzeit-EKG und Langzeit-Blutdruckmessung fest, dass die junge Dame wohl wegen ihres niedrigen Blutdrucks und Überanstrengungen beim Shoppen mit der Freundin kollabiert war. (Wer je Stunden vor Umkleidekabinen herumgelungert hat, um jemandem mit Rat zum Thema Oberbekleidung zur Seite zu stehen, kann das gewiss nachempfinden). Am Dienstag, dem dritten Tag nach dem Kollaps, wurde das junge Mädchen auf seine dringende Bitte hin entlassen; man hätte eigentlich gern noch ein Belastungs-EKG gemacht. 1200 € Krankenhauskosten plus 1500 € Notarzteinsatz betrug die Rechnung an ihre gesetzliche Krankenkasse. Atemberaubend!

Wir Ärzte müssen Patienten für eine Flatrate behandeln

Politiker und Versicherte fragen sich, wo die Milliarden im System versickern. Wir Niedergelassenen erleben in jedem Quartal, wie das uns zugemessene Honorar um ein paar weitere Pünktchen beschnitten wird, und fragen uns das auch.


Wenn z.B., wie vor Kurzem geschehen, ein älter Herr in die Praxis kommt, um zu fragen, ob das leichte Muskelzucken, das hin und wieder in seiner Wade auftritt („Nein, Sie können nichts fühlen, heute ist es völlig in Ordnung, Frau Doktor!“) bedenklich sei, und auch andere Bagatellen zu Konsultationen führen, ist das nicht schuld an der Finanzmisere – schließlich arbeiten wir für eine Flatrate. Aber ein Beispiel dafür, dass kaum einer mehr seiner Gesundheit und seiner robusten Natur traut.

Traut denn keiner mehr seiner eigenen Gesundheit?

Versuchen wir doch mal eine Wärmeflasche, wenn wir gesündigt haben und Bauchweh davon kriegen. Schauen wir doch mal, ob unser fieberndes Kind mit Wadenwickeln, Ibuprofen-Saft und elterlicher Zuwendung wieder gesund wird. Warten wir einfach ab, ob die Muskelverspannung oder das schmerzende Gelenk sich beruhigen, wenn wir es mit Hausmitteln versuchen. Neunzehnmal im Jahr geht der Durchschnittsdeutsche zum Arzt.


Mindes­tens 50 % der Notarzteinsätze sind überflüssig, weil es doch nicht so schlimm ist, wie es geschildert wurde. Als Hausärztin würde ich mich freuen, wenn die Menschen wieder selbstsicherer würden. Sie müssen nicht jedes Drama mit dem Doktorbuch in der Hand in „So-helfe-ich-mir-selbst-Manier“ lösen. Aber ein kleines bisschen können sie sich unsere patenten Mütter und Großmütter zum Vorbild nehmen.

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