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Nous sommes aussi Charlie!

Autor: Dr. Günter Gerhardt

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Dr. Günter Gerhardt erlebt zunehmend Ausländerfeindlichkeit in seiner Praxis. Hier müssen wir gegensteuern, fordert der Kollege.

Wir zahlen das Kindergeld für die Kanaken!“ Diesen Satz musste ich mir neulich von einem Patienten in der Praxis anhören. Beileibe keine Ausnahme.


Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich zumindest beobachte einen zunehmenden Ausländerhass in der Praxis. Jetzt nach „Charlie Hebdo“, den Mordanschlägen kranker Gehirne in Paris, haben diese Anspielungen zugenommen.


„Der Islam ist eine Gefahr für uns“, sagte mir ein pensio­nierter Lehrer. Meine Erwiderung, dass hier eine kleine Minderheit eine Religion für ihren Fanatismus missbraucht, wurde mit einem „Ach was“ abgetan. Die Praxis war voll, ich habe nicht weiter nachgehakt – ein Fehler! Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor dem, was derzeit auch in Deutschland passiert.


Nach einer Fortbildungsveranstaltung beim Bier wurde darüber im Kollegenkreis heftig diskutiert. Leider mit dem beschwichtigenden Tenor: „Das sind doch nur vereinzelte Fanatiker. Die Muslime sind nicht die Gefahr.“ Richtig, aber so kommt es bei einem Großteil der Bevölkerung nicht an.


Selbst Patienten, die ich bislang als unpolitisch „unbeschriebene Blätter“ einstufte, haben in den letzten Tagen so harmlos klingende Sätze geäußert wie „Na ja, vielleicht war es für etwas gut, jetzt sieht doch die Politik, dass es so mit den Ausländern nicht weitergehen kann“. Das ist ein fruchtbarer Nährboden, hier kann schnell eine Saat – rassistische Umdeutung der Anschläge – aufgehen, die uns an Zeiten erinnern, die wir nur noch vom Hörensagen und aus Geschichtsbüchern kennen.


Die Ärzteschaft hat sich in der Zeit des Nationalsozialismus nicht mit Ruhm bekleckert. Es gab wenige Ausnahmen, die dann wie beispielsweise mein Vor-Vorgänger geteert und gefedert durch den Ort gefahren wurden. Die (organisierte) Ärzteschaft, z.B. der NS-Ärztebund, hat aktiv an den Verbrechen – der systematischen Ermordung von Kranken und sog. gesellschaftlichen Randgruppen – mitgewirkt.


Führende Vertreter der Ärzteschaft waren maßgeblich an der Vertreibung ihrer jüdischen Kolleginnen und Kollegen beteiligt. In der berühmt-berüchtigten Nürnberger Vereinbarung wurden die Ärztevereine aufgefordert, „jüdische und solche Kollegen, die sich der neuen Ordnung innerlich nicht anschließen können, zur Niederlegung ihrer Ämter in Vorständen und Ausschüssen zu veranlassen“. Am 1. und 2. April 1933 (!) wurde anlässlich der ersten gemeinsamen Vorstandssitzung der gleichgeschalteten Ärzteverbände stolz verkündet, dass sich die Entfernung der Ärzte ohne Schwierigkeiten habe erreichen lassen.


Die Ärzte – unsere Kollegen von damals – waren vorgeprescht. Die damalige ärztliche Selbstverwaltung betrieb den Ausschluss ihrer Kollegen in Eigenregie. Erst am 7.4.1933 kam das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“.


Ich bin der Meinung, dass wir hier etwas „wieder gutmachen“ könnten, indem wir uns an der Diskussion und Aufklärung in unseren Praxen und Wartezimmern sowie öffentlich in Foren und Medien beteiligen. Denn es äußern sich erschreckend viele unserer Patienten tendenziös ablehnend zu dem Thema Menschen mit Migrationshintergrund.


Dazu bedarf es einer Vorbereitung und Schulung. Was antworten wir auf so harmlos klingende Sätze wie „Die Ausländer schnappen uns die Arbeitsplätze weg“ oder – schon etwas deutlicher – „Früher hätte es so etwas nicht gegeben“?  Unsere Antworten müssen verstanden werden, sonst werden sie schnell als intellektuelles Geschwafel abgetan.


Noch ist Zeit, gegenzusteuern. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir auch tun. Wir sollten uns – gerade vor dem Hintergrund unserer jüngsten deutschen Geschichte seit 1914 (1. Weltkrieg, NS-Regime, DDR) – in Foren austauschen. So sollte jeder von uns aufklärend unterstützt werden für eine wo auch immer notwendig werdende Argumentation zu Fragen wie „Warum brauchen wir Zuwanderer, wir haben doch genug arbeitslose Deutsche?“.


Wir sehen und hören täglich Menschen und Meinungen, die unsere ganze bunte Gesellschaft widerspiegeln – Akademiker, Angestellte, Handwerker, Landwirte, Hartz-IV-Empfänger, Kinder und Jugendliche. Hören Sie genau hin und beteiligen Sie sich nach Ihren Möglichkeiten an der Diskussion.

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