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Plagiiert wird schon seit Jahrhunderten

Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: Julia Dannemann-Freitag

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Prominenten Doktoren wird vorgeworfen, bei ihrer Dissertation fremdes Wissen genutzt zu haben, ohne die Quelle korrekt anzugeben. Mancher Doktortitel wurde entzogen. Wie werden Plagiatsjäger eigentlich fündig? Auskunft gibt der Berliner Jurist und VroniPlag-Wiki-Aktivist Professor Dr. Gerhard Dannemann.

VroniPlag hat bei zahlreichen Doktorarbeiten teils erhebliche Plagiatsanteile aufgedeckt. Passiert dies im Auftrag von Universitäten?

Prof. Dannemann: Nein, es gibt keine engen Kooperationen. VroniPlag Wiki prüft nicht für Lehranstalten, aber die jeweilige Universität wird informiert über einen dokumentierten Fall. VroniPlag Wiki ist kein eingetragener Verein, sondern eine Internetplattform. Es gibt um die 50 User, die immer wieder bei der Dokumentation mithelfen, davon sind meistens zwischen 15 und 25 aktiv. 

Die Universitäten prüfen selbst?

Prof. Dannemann: Verschiedene Einrichtungen tun das, die Fehlerquote der Plagiatserkennungssoftware ist jedoch sehr hoch hinsichtlich falsch positiver und falsch negativer Befunde. Man sollte sich auf die Ergebnisse nicht verlassen. Da allerdings an medizinischen Fakultäten massenhaft plagiiert wurde, findet auch eine nicht perfekte Software relativ viel. VroniPlag Wiki verwendet übrigens gar keine Plagiatssoftware, jeder Mitarbeiter sucht, wie er möchte.

Wie beginnt eine Plagiatssuche?

Prof. Dannemann: Am Anfang steht der Verdacht, dass eine Arbeit eine andere plagiiert hat. Man kann die beiden in ein Textvergleichungstool einstellen, das in verschiedenen Farben übereinstimmende Textteile kennzeichnet. Das wird viel verwendet, vorausgesetzt, ein Vergleichsdokument ist bereits vorhanden. Viele VroniPlag-Wiki-Mitarbeiter suchen auch einfach über Google.

Und wie sind die vielen Fälle von Plagiaten in medizinischen Dissertationen aufgedeckt worden?

Prof. Dannemann: Ein sehr kluger Mitarbeiter von VroniPlag Wiki hat sich die Mühe gemacht, zunächst die elektronisch verfügbaren Dissertationen einer Fakultät paarweise automatisiert miteinander abzugleichen, also jede mit jeder. Auf diese Weise sind die offensichtlichen Fälle aus Münster und der Charité ans Tageslicht gekommen. Danach hat er noch 50 000 medizinische Dissertationen aus Deutschland abgeglichen. Hier steht die Auswertung ganz am Anfang.

Was sind Verdachts­momente?

Prof. Dannemann: Wenn Stilbrüche auftauchen, wenn etwa in medizinischen Arbeiten plötzlich ein Absatz mit vielen Anglizismen auftaucht, also mit schlecht übersetztem Englisch. Oder wenn in der Beschreibung des Forschungsstammes alle Werke mindestens fünf Jahre alt sind, zum Schluss aber zwei jüngere Quellen hinzugefügt sind. Da entsteht der Verdacht, es wurde zuerst abgeschrieben und dann noch etwas Aktuelles angefügt.

VroniPlag hat 152 Dissertationen öffentlich gemacht. Wo liegt die Hürde bei der Dokumentation?

Prof. Dannemann: Bei der Plagiatssuche werden alle Textpassagen sowie Grafiken und Tabellen gegenübergestellt, Quellen überprüft, es wird geschaut, ob Originale durch Umstellen oder Ersetzen von Wörtern verschleiert wurden. Dabei müssen immer zwei Mitarbeiter unabhängig voneinander geprüfte Arbeit und Original einsehen und die Übernahme einstimmig bewerten. Für die Veröffentlichung muss zudem eine kritische Masse an Plagiaten erreicht sein. In der Anfangszeit des Wiki waren 10 % der Seiten ein Anhaltspunkt für einen Grenzwert, heute sind es gut 20 %. Entscheidend ist aber auch, um welche Regelverstöße es sich handelt. Wurde nur zu eng paraphrasiert, die Quelle aber für den Leser im Blick behalten, oder wurde dreist das Kernstück einer Arbeit, vielleicht sogar die Analyse übernommen? Es gibt also keinen Automatismus für eine Veröffentlichung. Es wird auch nichts auf die Homepage gestellt, wo nicht alle objektiven Kriterien, die die Rechtsprechung für den Entzug des Doktortitels aufgestellt hat, erfüllt sind.

Sind die Fehler immer ausschließlich den Doktoranden anzulasten oder auch den Lehrkräften?

Prof. Dannemann: Sicher, Lehrkräfte machen auch Fehler. Es stellt sich gelegentlich die Frage, ob nicht der Professor den Doktoranden sogar angehalten hat, es mit den Zitaten nicht so genau zu nehmen. Es gibt Fälle in der Medizin, die lassen sich ohne Kollusion kaum erklären. In der Charité zum Beispiel gibt es eine Kette von sechs Arbeiten, bei denen voneinander abgeschrieben wurde. Die letzte Quelle dabei ist die Habilitationsschrift des Doktorvaters, der alle diese Dissertationen betreut hat.

Wer definiert, was ein Plagiat ist?

Prof. Dannemann: Die wissenschaftliche Gemeinschaft. Über drei Regeln besteht weitgehende Übereinstimmung. Erstens: Es sind alle Quellen zu benennen, und zwar an der Stelle, wo sie benutzt werden. Zweitens sind alle Übernahmen von Grafiken und Tabellen sowie von Texten, die man als Zitat markieren muss, zu kennzeichnen. Und drittens sind alle Belege, die nicht selbst überprüft wurden, mit dem Verweis „zitiert nach“ zu kennzeichnen.

Ist es heute mit „copy and paste“ am PC leichter zu kopieren?

Prof. Dannemann: Technisch sicher ja, aber schauen Sie mal bei de.historioplag.wikia.com vorbei. In dieser Datenbank werden Plagi-atsvorwürfe seit dem 13. Jahrhun-dert aufgelistet. Wissen Sie, warum Dissertationen in Deutschland veröffentlicht werden müssen? Das hat der Berliner Geschichtsprofessor Theodor Mommsen mit der Streitschrift „Die deutschen Pseudodoktoren“ von 1876 durchgesetzt, weil das Plagiieren in der Wissenschaft zu sehr um sich gegriffen hatte.


Das Gespräch führte Cornelia Kolbeck

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