Anzeige

Politik lagert Schutzausrüstung für nächste Krisen ein

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

In der Pandemie ist vor der Pandemie. In der Pandemie ist vor der Pandemie. © iStock/Iuliia Kanivets
Anzeige

Mit der Kampagne „Blanke Bedenken“ forderten nackte Hausärzte zu Beginn der Coronapandemie Maßnahmen zur Versorgung mit Schutzausrüstung und vor allem Unterstützung von der Politik. Masken, Kittel, Desinfektionsmittel fehlten ebenso wie politische Strategien. Was hat die Politik aus den Fehlern gelernt? Wie wird jetzt vorgesorgt?

„Ein einzelnes tödliches Virus kann plötzlich auftauchen und sich schnell in jedem Haushalt und jeder Gemeinschaft ausbreiten – ohne Rücksicht auf nationale Grenzen oder soziale und ökonomische Stellung“, schreiben Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „PNAS“ (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) und verweisen auf die Online-Datenbank „Spill-Over“. Hier werden bereits 887 Viren aufgelistet, die vom Tier auf den Menschen überspringen können und ein Risiko für Menschen darstellen. Kollaboration sei der Schlüssel im Kampf gegen das Virus, so die Wissenschaftler: Gemeinsam Daten sammeln, auswerten und Wissen schaffen.

Lehre aus Corona: Strukturen erhalten statt ausdünnen

Die Notwendigkeit besserer Vorsorge nach dem Motto „In der Pandemie ist vor der Pandemie“ ist auch hierzulande unstrittig. Deutlich wurde das z.B. auf dem Deutschen Ärztetag im Mai. Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt mahnte, eine der wichtigsten Lehren aus dieser Krise müsse sein, leistungsstarke Strukturen zu erhalten und auszubauen, statt sie auszudünnen und auf Kosteneffizienz zu trimmen. In einem Beschluss präzisierten die Delegierten die Notwendigkeiten. Dazu gehört das Stärken des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, eine bundesweit abgestimmte Klinikplanung und mehr länderübergreifende Kooperationen, das stärkere Berücksichtigen von Personalbedarf sowie Reservekapazitäten für Notfälle. Arztpraxen sollten auch besser unterstützt werden, u.a. durch die Förderung sinnvoller digitaler Anwendungen und den Ausbau der Infrastruktur.

Ähnliche Forderungen kamen schon 2020 von der KBV, um auf Pandemien und nationale Katastrophensituationen vorbereitet zu sein. „Grundsätzlich halten wir an den im Oktober 2020 im gemeinsamen Positionspapier mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung gemachten Handlungsbedarfen fest“, erklärt die KBV. Die niedergelassenen Ärzte müssten sich z.B. darauf verlassen können, dass ausreichend Schutzausrüstung bevorratet wird – die Praxen selbst seien nur für ihren täglichen Bedarf verantwortlich. Verwiesen wird zudem auf das im Mai beschlossene Positionspapier „KBV 2025“. Im Abschnitt „Stabilität des Sicherstellungsauftrags“ mit dem Zusatztitel „auch in Krisenzeiten“ wird die Rolle einer leistungsfähigen Selbstverwaltung unterstrichen.

Alles in allem erinnern die Forderungen an diejenigen vor der Pandemie. Die Umsetzung läuft bekanntermaßen eher schleppend. Neu ist das Verlangen des Ärztetages, feste Krisenstäbe der Bundesländer – inklusive der Landes­ärztekammern – zu etablieren und diesen klar definierte Aufgaben und Handlungsoptionen zu geben.

Es existieren zwar seit Jahrzehnten Instanzen und Pläne, die auf Gefahrenabwehr – auch Pandemiebekämpfung – ausgerichtet sind. Zu denken ist an den Katastrophenschutz. Richtig funktioniert hat das aber im jetzigen Ernstfall nicht, zumindest gab es erhebliche Anfangsschwierigkeiten und deshalb viel Kritik an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Der Minister hat daraus gelernt und forciert derzeit mit Kollegen die Planung für eine nächste Bedrohungslage. Ein Baustein ist die „Task Force Impfstoffproduktion“, initiiert von den Bundesministerien für Wirtschaft, Gesundheit und Finanzen in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt. Sie soll die Wertschöpfungskette vom Beschaffen von Rohstoffen bis zur Produktion und dem Abfüllen der Impfstoffe einschließlich der erforderlichen Impfnebenprodukte (Kochsalzlösung, Kanülen etc.) im Blick behalten und zusammen mit den betroffenen Unternehmen ggf. gegensteuern. Ziel ist der Aufbau einer hinreichenden Industriestruktur zur Versorgung der hiesigen Bevölkerung mit mRNA- und Vektor-Impfstoffen.

Sog. Pandemiebereitschaftsverträge sollen zudem das Vorhalten von 600 bis 700 Millionen Impfdosen sichern. Ausschreibungen würden „zeitnah“ auf den Weg gebracht, mit einer Laufzeit von fünf Jahren, so Spahn. Dazu werde bis September ein Zentrum für Pandemieimpfstoffe am Paul-Ehrlich-Institut gegründet.

Im Bereich der Masken hat der Bund schon vorgesorgt. Ihm stehen laut Bundesgesundheitsministerium rund 323 Mio. partikelfilternde Halbmasken (PfH) und rund 1,07 Mrd. OP-Masken zur Verfügung (Stand 28. Mai 2021). „So unterstützen wir im Notfall diejenigen, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen arbeiten“, betonte der Minister im November. Die Mindesthaltbarkeitsdauer der Masken betrage ein bis vier Jahre und werde ständig geprüft. Daneben sollen Medikamente, Schutzausrüstungen und Beatmungsgeräte als „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ vorgehalten werden. Bis Ende 2021 sollen 19 Standorten dafür entstehen.

In Gänze werden die Erfordernisse zum Vorbereiten auf die nächste Krise wohl erst nach dem Aufarbeiten der Pandemiefolgen in den verschieden Branchen deutlich werden. Das Aufarbeiten ist u.a. Aufgabe des Parlamentarischen Begleitgremiums COVID-19-Pandemie. Dass Bevorratung nötig ist, steht allerdings längst außer Frage. Dies unterstreichen auch Ärzte- und Klinikverbände. Das Kompetenzzentrum Hygiene und Medizinprodukte der KVen und der KBV hat zur Pandemieplanung detailliert beschrieben, wie sich die Praxen vorbereiten können.

Mit der Aktion „Blanke Bedenken“ machten 2020 nackte Hausärztinnen und -ärzte auf dramatische Defizite bei Schutzmaterial aufmerksam. Mitinitiator war der Herzberger Hausarzt Moritz Eckert. Er äußert sich heute kritisch zu den Vorsorgeplänen der Politik, speziell zum Lagern von Schutzausrüstung. Millionen Handschuhe oder Masken einzulagern sei das eine, das Material müsse allerdings im Ernstfall auch zu denjenigen kommen, die es brauchen. „Idealerweise werden fertige Pakete gepackt, die nur noch pro Arztpraxis auszuliefern sind“, so Eckert. Vielleicht bedürfe es dafür des Abschlusses von Exklusivverträgen mit der Post.

In der Anfangszeit der Pandemie sei wild irgendwelches Material in teils schlechter Qualität gekauft worden, auch von den Landkreisen, erinnert sich der Mediziner. Jetzt werde das zum Teil verschenkt, weil die Lagerfrist ablaufe. Notfalldepots dürften nur als „Zwischenlager“ fungieren. Material sollte besser halbjährlich ausgetauscht und im Normalbetrieb verbraucht werden, das spare teure Entsorgungskosten.

Es wird nicht langfristig und nicht komplex gedacht

Hausarzt Eckert kreidet der Politik an, in der Krisenvorbereitung nicht langfristig und komplex zu denken. Das zeige sich z.B. beim digitalen Impfausweis und der Versorgung mit Impfstoff. Freitags werde etwas entschieden, das montags Gültigkeit habe – ohne Vorlauf zum Reagieren einzuplanen. Das sei für Ärzte wahnsinnig zermürbend. Die Politik sollte mehr als bisher die Erfahrungen derjenigen beachten, die als Versorger an der „Front“ am meisten betroffen sind, meint der Kollege. Der Haus­ärzteverband und andere würden gerne Auskunft geben, doch leider würden sie nicht gefragt.

Medical-Tribune-Bericht

Anzeige