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Richtig Urlaub machen? Nur ohne Doktortitel!

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Urlaub von der Praxis macht man wohl besser inkognito. Dieses Fazit zieht Dr. Cornelia Tauber-Bachmann aus den erlebnissen bei einer Gruppenreise mit Sprechstunde.

Neulich habe ich an einer Gruppenreise teilgenommen. Nein, nicht an einer Gruppenreise, die mit „ärztlich begleitet“ beworben wird und bei der ein Arzt zum Selbstkostenpreis oder Nulltarif mitfährt, sondern an einer Bildungsreise. Mit meinem Mann wollte ich unter fachkundiger Reiseleitung interessante archäologische Stätten besuchen. Und zwar problemlos und ohne Verantwortungsstress.


Leider bin ich ausgesprochen schreibfaul, was Formulare und Anmeldebögen betrifft. Und so habe ich mich für die Reise einfach mit meinem Praxisstempel angemeldet: Name, Adresse, Telefon, Fax – alle Daten drauf, schnell und praktisch. Doch so gelangten schnurstracks auch Doktortitel und Facharztbezeichnung zu den Reiseorganisatoren.


Ich bin wohl nicht nur bequem, sondern offensichtlich auch noch naiv und so kam es, wie es kommen musste: Auf der Teilnehmerliste war ich mit meinen akademischen Namensanhängseln benannt. Bereits nach dem Vortreffen, an dem ich terminlich nicht teilnehmen konnte, ließ mir die Reiseleiterin über meinen Mann ausrichten, ich möge doch bitte eine kleine Ausstattung an Medikamenten für Notfälle mitnehmen.

"Trotz Fieber musste die alte Dame zum Sightseeing"

Klar, mach ich doch! Und so packte ich neben etwas Verbandszeug und Desinfektionsmittel auch die übliche kleine Reiseapotheke ein: etwas gegen Schmerzen und Fieber, Übelkeit, Kreislaufstörungen und Durchfall sowie ein „Allzweck“-Antibiotikum. Nicht zu viel, schließlich sollte der Koffer auch noch ohne Schulterzerrung zu tragen sein.


Schon beim Treffen am Flughafen konnte ich trotz ungeputzter Brille und früher Morgenstunde klar erkennen, dass mein Mann und ich eher zum jüngeren Teil der Reisegruppe gehörten. Die meisten Teilnehmer waren jenseits des Rentenalters, unternehmungslustig und gut drauf. Natürlich wurde ich beim ersten Abend im Hotel höflich, aber zielgerichtet gefragt, welcher Art denn mein Doktortitel sei, ah ja, Dr. med., welche Fachrichtung, ah ja, Allgemeinmedizin. Und es stellte sich bald heraus, dass ich die Einzige der Gruppe war, die für die medizinische Basisversorgung infrage kam.

Tja, und jetzt ahnen Sie schon, wie es weitergeht: Am 3. Tag begann die erste ältere Dame zu hus­ten und zu fiebern. Sie war freilich nicht bereit, im Bett zu bleiben und auf einen Tag „Besichtigungsprogramm“ zu verzichten. Da sie nur ein Schilddrüsenhormon einnahm – was für eine 74-Jährige heutzutage eine geradezu karge Medikation ist – und ansonsten in gutem Allgemeinzustand war, bestand ich nicht auf dem Ruhetag. Am Tag darauf ließ sich dann der Einsatz des Antibiotikums allerdings doch nicht mehr vermeiden und die Dame war bereit, wenigstens einen halben Tag Ruhe einzulegen und den Besuch von unterirdischen feuchten Gemäuern ausfallen zu lassen.

"Cola, Wasser und Schatten für die Toilettenvermeiderin"

Dafür kollabierte an diesem Tag eine andere ältere Lady direkt hinter mir. Trotz warmer Außentemperaturen und teils praller Sonne hatte sie absichtlich wenig getrunken, um nicht ständig auf die Toilette zu müssen. Gemeinsam mit dem Reiseleiter gelang es, die Dame davon zu überzeugen, dass der Flüssigkeitsverzicht keine gute Idee war: Mit Cola und Wasser päppelten wir sie im Schatten wieder auf.


Einen weiteren „Notfalleinsatz“ ersparte ich mir vermutlich tags dar­auf, als ich es neben mir plötzlich beim Bergaufgehen verdächtig dyspnoisch pfeifen hörte. Die überaus lebenslustige Asthmatikern zog es vor, unbekümmert mit ihrer – subjektiv wohl nicht so heftig bemerkten – Atemnot umzugehen. Aber ich konnte sie dann doch vom regelmäßigen Gebrauch ihres Salbutamol-Aerosols überzeugen.

"Extradankeschön streichelte meine Hausärztinnen-Seele"

Aller guten Dinge sind offensichtlich nicht drei, sondern vier: Ein klassischer Fall von akutem Ekzem nach Unverträglichkeit der verwendeten Sonnencreme konnte mit meinen mitgeführten Salbenresten zum Abklingen gebracht werden.
Alles in allem war das Patientenaufkommen aber deutlich geringer als zu Hause, sodass ich trotz meiner Interventionen auch noch den meis­ten Erläuterungen des Reiseleiters folgen und viele archäologisch bedeutsame Steine mit voller Aufmerksamkeit besichtigen konnte. Trotz unfreiwilliger Sprechstunden war es ein toller und anregender Urlaub – übrigens, alle meine „Reise-Patientinnen“ kamen beim Abschied extra auf mich zu, um sich persönlich zu bedanken. Und das streichelte natürlich meine Hausärztinnen-Seele.


Zu Hause packte ich das Verbandszeug und die restlichen Medikamente unbenutzt wieder in den Medizinschrank. Bis zum nächsten Mal! Aber vielleicht melde ich mich dann doch erst mal inkognito an.

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