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Schluss mit Regressen – ein schwieriger Wunsch

Autor: Dr. Günter Gerhardt

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MT-Kolumnist Dr. Günter Gerhardt über die Wünsche der Vertragsärzteschaft.

Haben auch Sie sich im November verwundert die Augen gerieben, als Sie den Brief der KBV zum Sicherstellungsauftrag in Händen hielten? „Es geht um Ihre Zukunft – bitte sagen Sie uns Ihre Meinung.“ Regina Feldmann und Dr. Andreas Köhler redeten Tacheles: „Entscheidende Voraussetzungen, um die ambulante Versorgung deutschlandweit sicherzustellen, sind derzeit nicht mehr gegeben. Aus der Gleichstellung von Ärzten bzw. Psychotherapeuten und Krankenkassen ist mehr und mehr ein Ungleichgewicht geworden.“


Das war doch mal eine Ansage! Und das Ergebnis? Ein zu erwartendes: „Ja, aber…“ Der Sicherstellungsauftrag soll bei der Selbstverwaltung bleiben, aber verknüpft mit Bedingungen. Der Wunschzettel wird angeführt von „festen und kos­tendeckenden Preisen für ärztliche Leistungen“. Kein neuer Wunsch, trotzdem ein guter.

»Bitte auf faule Kompromisse verzichten«

Allerdings sollte er jetzt wirklich mal in die Tat umgesetzt werden. In der Vergangenheit wurden zu oft faule Kompromisse und Sand in die Augen streuende Vertragsabschlüsse präsentiert. Liebe KBV, liebe KVen, habt bitte den „A... in der Hose“ und setzt Euch vorbehaltlos – auch mit unpopulären Maßnahmen – für Eure Mitglieder ein. Die Basis steht mit einem selbstbewussten „Mir san mir“ dahinter.


Ein geplanter Hausarzt-EBM ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung, aber wenn dabei von einem typischen und atypischen hausärztlichen Leistungsspektrum die Rede ist, dann warne ich: Obacht! Am grünen Tisch sollte man die Versorgungsrealität nicht außer Acht lassen und auf keinen Fall eine Spaltung in typische und atypische Hausärzte riskieren.


Auf dem Wunschzettel der Ärztinnen und Ärzte steht auch der Wegfall der Arzneimittel-Wirtschaftlichkeitsprüfungen, damit endlich Schluss ist mit dem Damoklesschwert Arzneimittelregress. Mit dieser Angst Patienten gut versorgen zu müssen, ist unwürdig und schier unmöglich. Nebenbei schreckt es unseren Nachwuchs ab, sich in eigener Praxis niederzulassen.

»Geprüft wird nur das Mehr, nicht das Weniger«

Mit der Verabschiedung des AMNOG und einer an den Wirkstoffen orientierten Wirtschaftlichkeitsprüfung keimte in vielen von uns die Hoffnung, dass damit die Richtgrößenprüfung entfällt. Das tut sie auch, aber nicht ersatzlos. Wir tragen weiterhin eine Mitverantwortung für die Kosten, die durch den Arzneimittelgebrauch entstehen.


Das ist eine Konsequenz aus dem Sachleistungsprinzip der GKV. Die Kassen bezahlen mit dem Geld ihrer Mitglieder und deren Arbeitgeber. Es wird unterstellt: Der Patient will das Beste für sich und der Arzt will das Beste für den Patienten. Das kann und will das System aber nicht zur Verfügung stellen. Es muss daher ein Konsens gesucht werden, auf welche Behandlungsalternativen ein gesetzlich Versicherter Anspruch hat. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung soll dabei helfen.


Mit ihr gewinnt jedoch ein arztfremder Faktor Einfluss auf die ärztliche Behandlung. Der Arzt wird nämlich gezwungen, sich mit seinen Entscheidungen im Durchschnitt zu bewegen, um nicht mit Prüfmaßnahmen überzogen zu werden. Als Behandlungsmaxime tritt neben den hippokratischen Eid und die Therapiefreiheit das Bestreben, sich mit den verursachten Kosten im Durchschnitt aufzuhalten – hoffentlich noch mit dem Wohl des Patienten kompatibel.


Der Fehler: Geprüft wird nur das Mehr, das über das Notwendige Hinausgehende. Das Weniger, das unter dem Ausreichenden Liegende, spielt keine Rolle. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist der Durchschnitt daher für den Arzt nur in einer Richtung Handlungsmaxime – gerade umgekehrt zum zivilrechtlichen Haftungsmaßstab.

»Hoffen auf ärztliche Mitglieder im Beschwerdeausschuss«

Von Vorteil ist: So wie bei der Bedarfsplanung die erforderliche Arztzahl durch die gegebene Arztzahl bestimmt wurde, sind die Partner der Selbstverwaltung bei der Richtgrößenermittlung auch vom gegebenen Verordnungsvolumen ausgegangen. Das erwarte ich nun ebenso bei der Möglichkeit einer auf die Wirkstoffauswahl und Wirkstoffmenge bezogenen Prüfung. Wovon werden die Selbstverwaltungspartner ausgehen, wenn sie sich auf diese Form der Prüfung einigen? Vom status quo!


Dies wird genauso für die Definition der Anwendungsgebiete gelten. Alles ist durch die Partner der Selbstverwaltung zu vereinbaren. Sie müssen sich an den Werten aus der Vergangenheit orientieren und damit letztlich an den aus der Durchschnittsprüfung bekannten (ggf. durch die Richtgrößenprüfung transformierten) Werten.


Es bleibt dabei: Ein Häufigkeitskriterium, der Durchschnitt, ist der maßgebliche Faktor für die Wirtschaftlichkeit. Die aus ärztlicher Sicht am Beschwerdebild des Patienten individuell auszurichtende Verordnungsentscheidung wird danach beurteilt, ob sie sich –
zusammen mit allen anderen Verordnungen des Arztes – in dem als wirtschaftlich vorgegebenen Durchschnitt der Verordnungsentscheidungen aller Ärzte des Vergleichskollektivs aufhält. Praxisbesonderheiten spielen weiter ihre Rolle, wobei die Partner der Selbstverwaltung Abweichendes vereinbaren können.


Fazit: Das für den Arzt unkalkulierbare Risiko der Arzneimittelpreisbildung entfällt – sicherlich ein Vorteil. Die grundsätzliche Problematik der Wirtschaftlichkeitsprüfung als Konsequenz aus dem Sachleistungsprinzip jedoch bleibt. Zum Glück gibt es die ärztlichen Mitglieder des Beschwerdeausschusses. Deren Pflicht ist es, einen von der Rechtsprechung zugestandenen Beurteilungsspielraum zu nutzen, um den Besonderheiten der ärztlichen Profession im jeweiligen Prüfungsfall die erforderliche Berücksichtigung zu sichern.

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