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Spitzenforschung Schnellere und einfachere Verfahren

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Nicht die Grundlagenforschung mache Probleme, es gebe aber wenige Patente und Produktion, die daraus folgten. Nicht die Grundlagenforschung mache Probleme, es gebe aber wenige Patente und Produktion, die daraus folgten. © Pichsakul – stock.adobe.com
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Deutschland spiele in der Kreisliga statt in der Spitzenforschung, klagt der Bundesgesundheitsminister über die Studienbedingungen im medizinischen Bereich. Das sei ein „erschreckender Befund“. Ein Medizinforschungs­gesetz könnte das ändern. Doch es gibt Kritik am Entwurf. 

Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digitalgesetz sind für Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach für die Digitalisierung in Deutschland und im Gesundheitssystem insgesamt ein Quantensprung, verbunden mit einem großen Nutzen für die Patienten. Versorgungsdaten sollen besser nutzbar, Doppeluntersuchungen und Fehldiagnosen vermieden werden. Ein drittes Gesetz mit Dringlichkeit ist laut Minister das Medizin­forschungsgesetz (MFG), mit dem die Medizinforschung als Standortvorteil hierzulande deutlich ausgebaut werden soll. 

BfArM als Anlaufstelle für Studiengenehmigung und Arzneimttelzulassung

Die aktuelle Situation bezeichnet Prof. Lauterbach als bestürzend. Deutschland spiele in der Spitzenforschung auf Kreisliganiveau: „In den Ländern um uns herum, beispielsweise Dänemark, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Krebspatienten in einer klinischen Studie mit neuen Medikamenten teilnehmen können, pro Kopf zehnmal so hoch wie in den Vereinigten Staaten – ganz andere Verhältnisse.“ 

Patienten seien in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt weitestgehend abgeschnitten von Studien zur Erprobung neuer Behandlungskonzepte, so der Minister. Nicht die Grundlagenforschung mache Probleme, es gebe aber wenige Patente und Produktion, die daraus folgten. In der Medizinforschungspolitik müssten sehr große Versäumnisse aufgearbeitet werden, betont der SPD-Politiker, denn sonst sei Deutschland auch nicht in der Lage, die neuen Verfahren der Künstlichen Intelligenz zu trainieren.

Der jetzt vorliegende MFG-Referentenentwurf basiert auf dem Pharmastrategiepapier „Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Pharmabereich in Deutschland“. Die Antragseinreichung für Studien bei den verschiedenen Behörden und das Auseinanderfallen der unterschiedlichen Verfahren wurden bei der Diskussion um eine neue Pharmastrategie insbesondere von den Arzneimittelherstellern als zeitintensiv und kostenaufwändig kritisiert. Deshalb sollen künftig alle Anträge an einer Stelle möglich sein, konkret beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). 

Die für die Zulassung von Arzneimitteln zuständigen Bundes­oberbehörden, BfArM und Paul-Ehrlich-Institut, sollen dazu ihre Arbeit besser koordinieren. Der ganze Antragsprozess soll auch deutlich beschleunigt und vereinfacht werden. 

AOK fürchtet höhere Kosten

Der Referentenentwurf des Medizinforschungsgesetzes sieht einen vertraulichen Erstattungsbetrag bei neuen Arzneimitteln vor. Bisher sind diese Erstattungspreise transparent. Der AOK-Bundesverband fürchtet, dass die Neuregelung zu erheblich mehr Bürokratie und zu zusätzlichen Ausgaben für die Krankenkassen führen wird. Krankenkassen müssten künftig zur Realisierung von Nacherstattungen zusätzliche Verwaltung aufbauen und erhebliche Liquiditätsverschiebungen einplanen. „Eine Verbesserung der Versorgung für die Versicherten bringen vertrauliche Preise nicht“, meint Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

Studienbewilligung kann sich bis zu zwei Jahre hinziehen

Für die Ärzte sind das positive Aussichten. „Wir erhoffen uns schon eine wesentliche Verbesserung der Bedingungen, klinische Forschung in Deutschland wieder durchführen zu können, mit beschleunigten Aktivierungsschritten“, kommentiert Prof. Dr. Michael Hallek, Onkologe am Uniklinikum Köln und Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit, die Pläne. „Zurzeit dauert es manchmal ein bis zwei Jahre, bis man eine Studie über die ganze Republik in den verschiedenen Ethikkommissionen und anderen Einrichtungen bewilligt bekommt.“ 

In der Onkologie sei Deutschland aufgrund seiner Bürokratie im Vergleich der westlichen Industrienationen auf einen der letzten Plätze gefallen, berichtet der Sachverständige. Er verweist auf eine Erhebung in Zusammenhang mit der Förderung der Nationalen Krebsforschungszentren durch den Bund. Danach liegt Deutschland, was die Aktivierung und die Durchführung klinischer Studien angeht, in der westlichen Welt auf einem der allerletzten Plätze und auch weit hinter den USA. 

Prof. Dr. Jens Scholz, Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands, zeigt sich hinsichtlich verfügbarer Studiendaten optimistisch. „Wir sind ja ganz froh, dass wir im Rahmen der Coronapandemie das Netzwerk Universitätsmedizin gegründet haben und dann an allen Universitätskliniken Datenintegrationsszentren, sodass wir zwischen allen 36 Standorten die Daten austauschen und uns in klinischen Studien zusammenschließen können.“ 

Die Frage sei, wie man klinische Studien zurück nach Deutschland holen könne, so Prof. Scholz. Der Vorteil für Studien hierzulande liegt für ihn darin, dass alle sozialen Schichten gleichermaßen medizinisch behandelt werden und sich damit bessere Studiengruppen ergeben. Das sei „eine wahnsinnig große Chance“, auch gegenüber den USA. Dass Patienten hier dazu bereit seien, ihre Daten für die Forschung zur Verfügung zu stellen, stärke ebenfalls den deutschen Standort.

Studienerleichterungen in der Pharmastrategie verankert

Beschlossen wurde die Nationale Pharmastrategie vom Bundeskabinett im Dezember 2023. Hinsichtlich klinischer Prüfungen ist vorgesehen:

  • Eine neue Bundesethikkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entscheidet über wichtige Forschungsanträge und bündelt Antragsverfahren.
  • Die Genehmigung von Anträgen für nationale Studien wird um 19 auf dann fünf Tage gekürzt.
  • Die Strahlenschutzprüfungen werden in das arzneimittelrechtliche Genehmigungsverfahren integriert.
  • Für klinische Prüfung werden Mustervertragsklauseln entwickelt.
  • Jenseits von Universitätsklinika können Studien durchgeführt werden.
  • Das BfArM wird als zentraler Ansprechpartner für die pharmazeutische Industrie künftig die Koordinierung und das Verfahrensmanagement für Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für fast alle Arzneimittel übernehmen.

Landesärztekammer kritisiert geplante Mammutbehörde

Etwas skeptisch zeigen sich Kritiker angesichts der „Mammutabteilung“, die beim BfArM entstehen soll. Damit verbunden wäre ein gewaltiger Bruch der institutionellen Unabhängigkeit, da das BfArM gleichzeitig die Genehmigungsstelle für Arzneimittelstudien und die Zulassungsstelle für Arzneimittel ist, mahnt die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz. „Vor diesem Hintergrund kann man sich leicht vorstellen, wie schnell die verbriefte Unabhängigkeit einer solchen Bundesethikkommission ein reines Lippenbekenntnis darstellt“, erklärt dazu Kammerpräsident Dr. ­Günther Matheis. Er ist überzeugt, dass eine bei der Genehmigungs- und Zulassungsbehörde BfArM angesiedelte Ethikkommission gar nicht unabhängig sein kann: „Sollte das Gesetz Realität werden, wird der Patientenschutz über kurz oder lang beeinträchtigt werden.“ Alle, insbesondere die Landesregierungen, seien nun gefordert, dem geplanten MFG in diesem Punkt zu widersprechen.

Für den vfa reichen die geplanten Maßnahmen nicht 

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) zeigt sich ebenfalls verhalten hinsichtlich Gesetzesdetails. Positiv sieht vfa-Präsident Han Steutel, dass die Bundesregierung die Umsetzung ihrer Pharmastrategie nun angeht und die Forschung in den Fokus nimmt. Der Referentenentwurf springe aber noch zu kurz, um Deutschland wieder in die internationale Spitzengruppe zurückzubringen. 

Steutel lobt: Laut Entwurf soll künftig über eine Strahlenschutzgenehmigung – wie sie z.B. bei Studien mit Verlaufskontrolle durch Computertomografie nötig ist – und parallel zur Genehmigung der zugrundeliegenden klinischen Studie entschieden werden – und zwar innerhalb eines Verfahrens. Alle anderen EU-Mitgliedstaaten gingen seit Jahren so vor. „Kritisch bleibt aber, dass Deutschland damit weiter auf ein Verfahren beharrt, das mit dem Bundesamt für Strahlenschutz eine Behörde mehr involviert als das andere Länder tun.“ 

Geplant ist auch, Standardvertragsklauseln als Hilfsmittel zu verwenden, um Vertragsverhandlungen zwischen Unternehmen und Kliniken oder Praxen abzukürzen. Hier sieht Steutel Änderungsbedarf: Das Gesetz sollte Grundlagen schaffen, die die Verwendung solcher Klauseln verbindlich machen und nicht nur auf sie hinweist; Spanien und Frankreich seien damit erfolgreich gewesen.

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