Sicherstellungsauftrag Sicher ist nichts!
Ethik schlägt Monetik! So zumindest lassen sich die Umfrageergebnisse verkürzt zusammenfassen, die vom Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von Ende November 2012 bis Anfang Januar 2013 unter 148 730 Vertragsärzten bundesweit zusammengetragen wurden. Rund 52 % haben geantwortet. Das Ergebnis nimmt der Revolutions-Rhetorik der vergangenen Monate den Wind aus den Segeln, rückt aber gleichzeitig das Zerrbild der Krankenkassen vom Arzt als geldgierigem Leistungserbringer in der Öffentlichkeit zurecht. Denn lediglich 6 % der Vertragsärzte wollen den unbedingten sofortigen Systemausstieg. Positiv gesehen heißt das: 92 % empfinden ihre Tätigkeit als sinnvoll und 86 % macht die Arbeit im Rahmen der GKV sogar Spaß. Auf den ersten Blick widerlegt die Studie den in den vergangenen Monaten immer wieder transportierten Eindruck, die niedergelassenen Mediziner in Deutschland würden kurz davor stehen, den Arztkittel an den Nagel zu hängen.
Klare Aussagen
Bei näherer Betrachtung wird dieses friedliche Bild allerdings eingetrübt. Denn 88 % wollen laut dieser „Urabstimmung zur Sicherstellung“ – so KBV-Chef Dr. Andreas Köhler – feste Preise und mehr therapeutische Freiheit (72 %) ohne Mengensteuerung oder Preisabsenkung (63 %). Entgegen der seit Längerem unterschwellig geführten Diskussion und angesichts der Ängste bei Berufseinsteigern ist das Thema Arzneimittelregress für 51 % der KV-Mitglieder dagegen nicht vorrangig. Für 40 % der Befragten entspricht das Einkommen ihren Vorstellungen. Bei 49 % stimmen Erwartung und Berufsalltag überein und auch die wirtschaftliche Situation wird von 47 % als „gut“ befunden. Dabei fällt im direkten Vergleich auf, dass die Hausärzte ihre wirtschaftliche Lage am besten bewerten (54 % gut oder eher gut). Bei den Fachärzten sind es lediglich 45 %, bei den Psychotherapeuten gar nur 38 %. Etwas skeptischer blicken jüngere und wirtschaftlich weniger etablierte Ärzte in die Zukunft. Ein Änderungsbedarf vor allem in der Honorarstruktur und -sicherheit wird mehrheitlich angemahnt. Aber nicht die reine Honorardebatte steht im Mittelpunkt, sondern der Wunsch, den Fokus auf das Patienteninteresse zu richten.
Eindeutige Wünsche
Interessant und für Außenstehende überraschend erscheint die Homogenität der Aussagen. Dies deutet auf eine große Geschlossenheit hin. „Hier sprechen die Ärzte!“, so formuliert es der verantwortliche Infas-Bereichsleiter Robert Follmer. Durch die direkte Teilnahme ohne vorgeschaltete Stichprobenauswahl mit einer derart hohen Rücklaufquote, davon fast 20 000 mit Freitextanmerkungen, sind die Zahlen auch „nicht als Prognose sondern eher als Referendum zu sehen“, analysiert Infas-Geschäftsführer Menno Smid. Den Aussagen komme deshalb ein besonderes Gewicht bei.
Ein „Weiter so“ gibt’s nicht mehr
Auch wenn über drei Viertel der Befragten den Sicherstellungsauftrag in der Verantwortung der ärztlichen Selbstverwaltung nicht in Frage stellen, verlangen wiederum zwei Drittel, dass sich die Rahmenbedingungen ändern müssen. Für lediglich 10 % ist die Systemtreue unverbrüchlich.
Feste und kostendeckende Preise für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen halten 93 % aller Umfrageteilnehmer für einen ausschlaggebenden Faktor, damit das gegenwärtige Versorgungssystem fortbestehen kann. 86 % stehen hinter dieser Forderung sogar „voll und ganz“.
Unabdingbar für die Mehrheit der Ärzte und Psychotherapeuten ist, dass über Form und Inhalt der ärztlichen und psychotherapeutischen Fortbildung nicht fachfremde Gremien und schon gar nicht die Krankenkassen entscheiden dürfen. 93 % wollen diese Aufgabe in den Händen der ärztlichen Selbstverwaltung aufgehoben wissen.
Dass eine wie auch immer berechnete Mengensteuerung ärztlicher Leistungen nicht zu einer Absenkung der Einzelleistungsvergütung führen darf, darüber sind sich 91 % der Umfrageteilnehmer einig. 85 % der Vertragsärzte stimmen zu, dass die diagnostische und therapeutische Freiheit in den Händen der ärztlichen Selbstverwaltung und damit bei den Ärzten und Psychotherapeuten liegen soll. 69 % unterstützen dieses Anliegen „voll und ganz“.
Um den Sicherstellungsauftrag beibehalten zu können, sollten ambulante Leistungen so weit wie möglich von Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten erbracht werden und nicht von Krankenhäusern. Dieser Aussage stimmen 83 % zu, 68 % „voll und ganz“.
71 % fordern, dass gegen Ärzte keine Regresse wegen Arznei- und Heilmittelverordnungen ausgesprochen werden sollten. „Voll und ganz“ unterstützen dieses Ziel 57 % der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten. Betrachtet man nur die Mediziner, ist die Zustimmung erheblich größer: 78 % der Hausärzte und 74 % der Fachärzte sagen „Ja“ zu dieser Forderung.
Signal für die Politik
KBV-Chef Köhler interpretiert die Befragungsergebnisse als klaren Auftrag, dass es „kein Weiter so“ geben kann. Vor dem Hintergrund, dass lediglich 10 % der Befragten alles so belassen wollen, wie es jetzt ist, zeige sich, dass die Unzufriedenheit bei den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten groß und weit verbreitet sei. Es müssten Änderungen der Rahmenbedingungen her, fordert Köhler. Er stützt sein Vertrauen auf die große Gemeinsamkeit der Aussagen. „Die Ärzte wollen mehr Zeit für ihre Patienten, mehr Würdigung ihres beruflichen Engagements und nicht nur mehr Geld für ihre Tätigkeit.“ Er sieht darin ein „stabiles Mandat für weitere Verhandlungen mit den Krankenkassen und ein klares Signal für die Politik“. Gerade in Zeiten einer bevorstehenden Bundestagswahl sollte der Hilferuf nicht ungehört verhallen.
Hans Glatzl
Eckdaten der Umfrage - eine solide Basis!
Bei der Befragung ging es um die Sicherstellungsauftrag, den die Kassenärztlichen Vereinigungen 1955 übernommen hatten - und damit um die grundsätzliche Frage, ob und unter welchen Bedingungen die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten die ambulante Versorgung im Rahmen der ärztlichen Selbstverwaltung in Zukunft gewährleisten können. Auslöser war eine zunehmende Kritik an den bisherigen Rahmenbedingungen und die Sorge der ärztlichen Selbstverwaltung, den gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung auf Dauer nicht mehr in gewohntem Umfang und bewährter Qualität leisten zu können.
Die Befragung wurde vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft Infas im Auftrag der KBV durchgeführt. Der Befragungszeitraum war von Ende November 2012 bis Anfang Januar 2013. Die Erhebungsunterlagen wurden an alle 148 730 Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten (selbstständig und angestellt tätig) versand. Ein Erinnerungsversand erfolgte Anfang Dezember 2012. Der Rücklauf besteht aus 79 258 auswertbaren Fragebögen. Davon wurden 19 213 Fragebögen mit ergänzenden offenen Angaben versehen.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (3) Seite 58-59
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.