Praxiskolumne Stimme weg, Hausärztin kaputt

Kolumnen Autor: Franziska Hegedüs

Was ist zu tun, wenn die eigene Stimme während der Patientenbehandlung versagt? Und wann ist eigentlich der Moment für die eigene Krankschreibung ? Was ist zu tun, wenn die eigene Stimme während der Patientenbehandlung versagt? Und wann ist eigentlich der Moment für die eigene Krankschreibung ? © Rawpixel.com – stock.adobe.com

Ich gehöre zu dieser Sorte Ärztinnen, die mit dem Kopf unterm Arm arbeiten geht. Es muss mir wirklich, wirklich hundeelend gehen, damit ich mich nicht in die Praxis quäle.

Kurz nach meiner Elternzeit nahm ich jeden noch so kleinen Infekt mit. Ich arbeitete mit Fieber, ich arbeitete mit Aphthen und hielt mich mit Flüssignahrung über Wasser, ich arbeitete mit Hustenattacken, die mich immer wieder zwangen, das Sprechzimmer zu verlassen. Ich blieb nicht meinetwegen zu Hause, aber wegen meines kranken Kindes – und war ich da nicht eh auch schon krank, habe ich mich natürlich angesteckt. Egal, Ibu rein, Maske und Fenster auf und los. 

Einmal fragte ich eine HNO-ärztliche Kollegin um Rat, um den monatelangen Reizhusten in den Griff zu bekommen. Sie sagte, sie klemme sich immer ein Bonbon an den Gaumen. Geht doch.

Das kleine Fünkchen Mitleid vom Team und von den Patientinnen und Patienten tat gut. Auch wenn es sich komisch anfühlte, jemanden krankzuschreiben, der objektiv viel gesünder ist als man selbst. Manche bemerkten das auch und entschuldigten sich fast.

Doch einmal ging es dann eben doch nicht. Ich hatte eine Laryngitis. Ich war so heiser, ich konnte die Patienten nicht mal im Wartezimmer aufrufen. Mitten im Gespräch bekam ich entweder keine Luft mehr oder hatte keine Stimme mehr oder brach in einen Hustenanfall aus. Die Patientinnen und Patienten waren sichtlich irritiert – aber sie dachten vermutlich: Sie muss es ja wissen. Meine MFA schickte mich schließlich heim. Ich folgte ihr im festen Glauben, am nächsten Tag wieder am Start zu sein.

Aber auch am nächsten Tag kam außer einem heiseren Krächzen kein Ton heraus. Und ich fragte mich – das nur am Rande – heimlich und ganz leise: Könnte ein Antibiotikum vielleicht die Krankheitsdauer verkürzen? Sollte ich es vielleicht doch versuchen? Ich muss doch schnell wieder fit sein? Die MFA bot mir schon an, noch schnell ein Rezept auf den Weg zu schicken. Ach, man käme so leicht an alles heran. Aber – was ich meinen Patientinnen und Patienten erzähle, gilt natürlich auch für mich. Virus braucht Ruhe, Bakterium Antibiose. Ich blieb bei Tee und ohne Stimme.
Doch so stimmlos wie ich eben war, wurde mir auf einmal wieder klar: Unser Beruf ist ein sprechender. Vielleicht vergessen wir das manchmal im Alltag, weil der Zeitdruck uns so irre einschränkt.

Dabei hat, wer zu uns kommt, manchmal tatsächlich nur das Bedürfnis zu reden. Die Person braucht dann eben gerade jemanden, der zuhört und mit ihr spricht. Aber der scheinbar einfachere Weg für uns, der Zeit zu sparen scheint und zum vermeintlich schnelleren Ergebnis führt, ist: etwas Handwerkliches zu tun. Labor, Sonografie, Röntgen. Da hat man etwas schwarz auf weiß, etwas Handfestes. Und das wiederum kürzt auch das nächste Gespräch enorm ab: „Sehen Sie, Sie haben nichts. Auf Wiedersehen.“

Dabei ist unsere Stimme so viel wichtiger als jedes technische Equipment unserer Praxis. Selbst im Notfall ist neben Akutmedikamenten das Beruhigen des Patienten oder der Patientin sowie der Angehörigen enorm wichtig. Reden spart Diagnostik, Medikamente, Facharztvorstellungen, Krankschreibungen, Missverständnisse – und mit all dem: Geld.

Das Sprechen ist die hausärztliche Wunderwaffe. Der Hausarzt von früher hatte kein Sonografiegerät, dafür hat er sich Zeit genommen und ist zum Hausbesuch gefahren, obwohl es den vielleicht gar nicht so dringend gebraucht hätte. Einfach um Patientin bzw. Patient und die Familie zu beruhigen. Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber eigentlich sind wir doch dafür Hausärztinnen und Hausärzte geworden – und nicht Radiologinnen bzw. Radiologen.

Unsere Stimme ist die Brücke zu unseren Patientinnen und Patienten. Sie hilft uns, nicht nur Diagnosen zu stellen, sondern auch Vertrauen zu schaffen, Mut zu geben und oft auch zu heilen. Setzen wir sie bewusst ein. Wie sehr ich mich gefreut habe, meine Stimme wieder zu haben.

Ihre 
Franziska Hegedüs