Anzeige

Straßenkinder in Deutschland: „Off Road Kids“ ist für sie da

Autor: Dr. Anja Braunwarth, Foto: thinkstock

Anzeige

Vernachlässigung, Gewalt, Missbrauch – das sind die häufigsten Gründe, warum Kinder von zu Hause weglaufen. Vorläufige Endstation ist dann nicht selten die Straße. Und genau von dort holt sie die Stiftung „Off Road Kids“ mit Erfolg wieder weg.

Jedes Jahr finden sich in Deutschland bis zu 2500 Kinder und Jugendliche im Alter über zwölf Jahre auf der Straße wieder. Aus etwa 300 von ihnen werden echte „Straßenkinder“, das heißt Minderjährige, die sich ohne offizielle Erlaubnis auf unabsehbare Zeit nicht an ihrem gemeldeten Wohnort aufhalten und de facto obdachlos sind.


Sie stammen aus allen Gesellschaftsschichten und sind zumeist vor Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch davongelaufen. Armut spielt als Ausreißmotiv kaum eine Rolle, auch schulische Probleme werden nur selten genannt.


Fast alle Straßenkinder sind Deutsche. Oft aus ländlichen Regionen kommend, fliehen sie in Großstädte, um in der Anonymität unterzutauchen. Doch dort fängt das Elend erst richtig an. Um zu überleben, müssen sie betteln, stehlen oder sich prostituieren.

Drogenkonsum nach spätestens vier Wochen

„Nach spätestens drei bis vier Wochen ist der Drogenkonsum garantiert“, berichtet Markus Seidel, Vorsitzender der Off-Road-Kids-Stiftung, im Gespräch mit Medical Tribune. Cannabis ist quasi immer der Einstieg, häufig kommt dann Alkohol ins Spiel, leicht endet das Ganze in der Polytoxikomanie. Dazu kommt, dass die Kinder oft nur unzureichend über Krankheiten wie Hepatitis C aufgeklärt sind und entsprechend wenig Vorsichtsmaßnahmen treffen.


Ziel der Stiftung „Off Road Kids“ ist es, die Kinder lange vor dieser Entwicklung aufzufinden und von der Straße zu holen – am besten in den ersten paar Tagen nach dem Ausreißen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gelingt das auch – dank engagierter Streetworker.

Telefonhotlines für die Kinder und die Eltern

Von derzeit vier Stationen aus (Berlin, Hamburg, Dortmund, Köln) schwärmen jeden Tag drei bis fünf von ihnen (immer zu zweit!) auf der Suche nach Straßenkindern aus. Darüber hinaus bietet die Stiftung überregional telefonischen Kontakt bzw. Beratung an, die auf Wunsch auch anonym erfolgt.


Rund um die Uhr und kostenlos können die Jugendlichen die „Notrufnummer“ wählen. Sie wird von den Sozialarbeitern in den Städten verteilt und durchaus auch von erwachsenen Obdachlosen an die Kids weitergegeben, „nicht zuletzt, weil sie durch die junge Konkurrenz um ihre Pfründe fürchten“, so Markus Seidel.

„Wir bieten Perspektiven und keine Fütterungen“

Für Eltern gibt es eine Hotline mit professionellem pädagogischem Beratungsservice. Darüber hinaus betreibt Off Road Kids zwei Kinderheime im Schwarzwald für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren ohne familiären Halt, die ausreichend motiviert sind, sich wieder in ein „normales“ (Schul-) Leben zu integrieren.


In den Stationen der Stiftung werden Einzelberatungen in geschütztem Rahmen angeboten. Essen, Kleidung oder Übernachtungsstellen gibt es dort nicht, denn das Leben auf der Straße soll nicht bequemer gemacht werden als das zu Hause. „Wir bieten Perspektiven und keine Fütterungen“, betont Markus Seidel. Im akuten Bedarfsfall werden die jungen Menschen an lokale Notschlafstellen vermittelt.

Die Reaktion der Familie ist unvorhersehbar

Seit 1994 hat Off Road Kids insgesamt knapp 3000 Jugendliche erfolgreich von der Straße geholt. Die Betroffenen können auch über weite Dis­tanzen zur Familie am Heimatort oder zum zuständigen Jugendamt begleitet werden.


„Wenn man sie kurz nach dem Ausreißen erwischt, gelingt es oft, sie – gegebenenfalls mit Unterstützung – wieder ins häusliche Umfeld zu integrieren“, berichtet der Stiftungsleiter. Allerdings sind die Reaktionen der Familie unvorhersehbar. Von überglücklich bis „Bleib mir weg mit dem Balg“ sind die Mitarbeiter von Off Road Kids alles gewöhnt.

Straßenkinder träumen von Normalität

Die Motivation der Kinder selbst zur Abkehr von der Straße ist hoch, sie träumen von „Normalität“ und Geborgenheit, möchten zur Schule gehen oder eine Ausbildung absolvieren. „Jugendliche, die weglaufen, sind nicht die mit deprimiertem Charakter, sondern unternehmerische Seelen“, erklärt Markus Seidel.


Und so nehmen sie in der Regel die Angebote von Off Road Kids dankbar an. Junge Suchtkranke erhalten Hilfe bei der Suche nach geeigneten Therapieeinrichtungen. Aber auch nach der Reintegration können sich die Kinder jederzeit an die Stiftung wenden, beispielsweise wenn sie erneut in eine schwierige Situation geraten und vielleicht Fluchtgedanken hegen. Für Eltern, Betreuer, Lehrer und Jugendämter gilt das Hilfeangebot genauso.

Ohne Spenden geht nichts:

Die Stiftung wurde 1993 auf Initiative von Markus Seidel gegründet. Der Journalist kam durch eine Fernsehreportage über Straßenkinder auf die Idee und war überrascht, auf wie viel Interesse und schließlich auch Unterstützung der Gedanke stieß.


Bis heute finanziert sich die Stiftung ausschließlich durch Spenden und Sponsoren. Etwa 1,5 Millionen Euro werden pro Jahr für den Unterhalt des Systems benötigt.


Quelle: Medical-Tribune-Bericht Bad Dürrheim

Anzeige