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Syrische Ärzte bauen Therapiehürden ab

Autor: Antje Thiel, Foto: Antje Thiel

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Das Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) Neumüns­ter hat eine eigene Flüchtlingsambulanz, in der zwei syrische Ärzte Patienten versorgen.

Die Flüchtlingsambulanz trägt den Namen "Einheit Integrierende Versorgung" (EIV) und wurde innerhalb kürzester Zeit konzipiert, bewilligt und umgesetzt. Der Ärztliche Direktor Priv.-Doz. Dr. Ivo Markus Heer berichtet: "Die Mittel in Höhe von zwei Millionen Euro wurden in Abstimmung zwischen Innen- und Gesundheitsministerium binnen zwei Wochen bewilligt, so etwas habe ich zuvor noch nie erlebt."

Immer mehr Flüchtlinge in der Notaufnahme

Diese Eile hatte einen guten Grund, denn die Zahl der Behandlungsfälle bei Flüchtlingen in der regulären FEK-Notaufnahme war dramatisch angestiegen: von 25 stationären und 46 ambulanten Fällen im Januar auf 108 stationäre und 204 ambulante Fälle im August 2015.

Die Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster gewährleistet zwar eine ärztliche Grundversorgung durch Honorar­ärzte. Doch der ärztliche Dienst ist in den Abendstunden oder am Wochenende nicht besetzt. Zu diesen Zeiten wenden sich Flüchtlinge mit gesundheitlichen Problemen an die Notaufnahme des benachbarten Krankenhauses.

Sprachbarriere verdreifacht die Behandlungszeit

Eine ziemliche Belastungsprobe für die Klinik, erklärt Dr. Heer: "Wir hatten auch schon vor der aktuellen Krise viel zu tun, doch angesichts der vielen Flüchtlinge war die Primärversorgung bei uns akut gefährdet."

Grund für die Überlastung war vor allem die Sprachbarriere: "Wenn die Patienten uns nicht verstehen, dauert die Behandlung dreimal so lange wie sonst." Die behandelnden Ärzte müssen erst einmal einen Dolmetscher anfordern, um überhaupt abschätzen zu können, wie dringlich das Problem ist. Ob der Patient stationär aufgenommen oder akut ambulant behandelt werden muss – oder ob er an den ärztlichen Dienst in der Erstaufnahmeeinrichtung verwiesen werden sollte.

Bereits wenige Wochen nach ihrem Start hat die "Einheit Integrierende Versorgung" mit den beiden syrischen Ärzten Dr. Munzer Shekho und Dr. Dilovan Alnouri die FEK-Notaufnahme deutlich entlastet. Beide Ärzte leben seit zwei Jahren in Deutschland und sprechen neben Arabisch, Kurdisch und Englisch mittlerweile sehr gut Deutsch.

Die gemeinsame Sprache verbindet

Dank ihrer Sprachkenntnisse können sie mit 90 % der Flüchtlinge in deren Muttersprache sprechen – so dauert die Behandlung dann auch nicht länger als bei einem deutschen Patienten. Derzeit suchen pro Wochenende rund 30 Flüchtlinge die EIV auf.

Die beiden Syrer sind erfahrene Fachärzte: Dr. Shekho ist Internist und betrieb in Syrien 13 Jahre lang eine eigene Praxis. Er floh im Sommer 2013 mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern über die Westbalkanroute nach Deutschland.

Sein Kollege Dr. Alnouri ist Allgemein- und Gefäßchirurg mit acht Jahren Berufserfahrung an einem großen Krankenhaus in Damaskus. Er reiste vor zwei Jahren mit dem Flugzeug nach Deutschland ein; seine Frau sowie sein Sohn und seine Tochter folgten sieben Monate später, als sein Asylantrag anerkannt war.

Beide Ärzte kennen die Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster aus eigenem Erleben, auch wenn diese vor zwei Jahren längst nicht so überfüllt war wie heute.

Grippe, akute Asthmaanfälle, Verdacht auf Tuberkulose

Die eigene Fluchtgeschichte hilft ebenso sehr bei der Behandlung der Flüchtlinge wie die gemeinsame Sprache: "Die Patienten sind sehr zufrieden, wenn sie uns ihre Probleme in ihrer Muttersprache erzählen können und wenn sie sehen, dass wir eine ähnliche Geschichte haben wie sie selbst", sagt Dr. Shekho. Er ist für die hausärztlichen Fälle zuständig. "Es gibt viele grippale Infekte, akute Asthmaanfälle, aber auch Menschen mit Verdacht auf Tuberkulose."

Sein chirurgischer Kollege sieht Menschen, deren Wunden nach Amputationen nur unzureichend nachbehandelt wurden und deshalb schlecht verheilen. Oder er untersucht Patienten mit unklaren Organbeschwerden, um herauszufinden, ob sie ambulant oder sta­tionär versorgt werden sollten. "Wir leisten hier in erster Linie medizinische Akutversorgung", erklärt Dr. Alnouri.

Auf lange Sicht möchte er gern wieder als Gefäßchirurg arbeiten – in Deutschland. Auch seine Frau ist Ärztin. Die Gynäkologin absolviert derzeit ein erstes Praktikum an der Universitätsklinik in Kiel.

"So wie es aussieht, dauert der Krieg im Mittleren Osten noch 30 Jahre", meint Dr. Alnouri. "Unsere Kinder wachsen nun hier in Sicherheit auf. In Syrien hingegen werden viele Kinder gekidnappt und in den Krieg geschickt."

"Wir möchten eine positive Rolle in Deutschland spielen"

Auch Dr. Shekho sieht die Zukunft seiner Familie in Deutschland: "Ich denke an die Sicherheit und die Ausbildung meiner Kinder. Meine Frau ist Apothekerin, wir möchten uns beide gern hier einbringen und eine positive Rolle in Deutschland spielen."

Eine solche positive Rolle haben Dr. Shekho und Dr. Alnouri bereits heute mit ihrer Arbeit in der EIV übernommen. Dass die beiden langfristig andere berufliche Pläne verfolgen, ist ihrem Chef Dr. Heer klar: "Der Job in der EIV ist nur ein Einstieg für die beiden, ihnen werden andere Ärzte aus den Reihen der Flüchtlinge folgen."

Gern würde er die Flüchtlingsambulanz erweitern und mehr ausländische Fachkräfte einstellen. Ärzte zu finden sei nicht schwer – ein dritter Arzt werde in Kürze seinen Dienst in der EIV antreten.

Appell an MFAs und Pflegekräfte, sich zu bewerben

Das Hauptproblem sei der Mangel an qualifizierten Pflegekräften, wie die stellvertretende Pflegedirektorin Nicole Giese bestätigt: "Wir bräuchten noch sieben Vollkräfte in der Pflege für die EIV. Dann könnten wir eine Versorgung rund um die Uhr sicherstellen."

Sie appelliert an Medizinische Fachangestellte ebenso wie an Pflegekräfte, sich zu bewerben. "Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind traumatisiert und erschöpft. Wenn sie von Ärzten und Pflegekräften mit einem ähnlichen Hintergrund behandelt werden, gibt ihnen das Sicherheit."


Quelle: Medical-Tribune-Recherche Neumünster

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