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Vom schrägen Alltag in der Landarztpraxis

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Ist der Ärztemangel nur erfunden? Im Kampf gegen den Mangel piesackt die KV Landärzte mit Praxisabgabekursen, doch erreichen wird sie nichts, kritisiert MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Es herrscht Ärztemangel im Land. Ich meine jetzt nicht Deutschland, sondern rede von Rumänien. Dort herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung. Die Jungen zieht’s in Massen ins Ausland, wo sie mehr verdienen. Sie sind auch bei uns herzlich willkommen. In Deutschland, einem weiteren (mutmaßlichen) Land mit Ärztemangel.


Hier herrscht er freilich nicht im Land sondern soll auf dem Land ausgebrochen sein. Zumindest wirbelt das Thema bei uns ordentlich Staub auf. Lokale Medien rufen schon mal den Notstand aus und Landes-KVen schicken ihre Macher nach vorn, um mit Aktionsprogrammen Jungmediziner in die Pampas zu locken.


Irgendwo habe ich bei diesem Thema so ein Kribbeln im Bauch. In solchen Fällen mache ich’s wie einst beim Schulaufsatz, ich schau mir zuallererst die Definitionen genauer an. Der Begriff Land dürfte klar sein: Wenig Menschen, dafür Landschaft satt. Sagen wir mal Mecklenburg-Vorpommern. Wenn unter den wenigen Menschen dann viele Ärzte  sind, welche die Landschaft satt haben, kommt es zum Ärztemangel.


Wobei das mit dem Mangel bei uns so eine Sache ist. Da hat ja jeder eine andere Vorstellung. Wenn bei uns ein Facharzttermin etwas dauert, ist gleich ein großes Geschrei. Wenn man aber sieht, wie zur Zeit im Balkanstaat nur noch ein Arzt auf 50 000 Bewohner kommt, sollten wir über unsere Probleme hier bitte nur sehr leise jammern.

»Was ist nur aus dem 
Land der Entdecker geworden?«

Mich hat das Thema bisher eigentlich nicht sehr beschäftigt. Denn es sind bei uns im Hausarztbereich doch sehr begrenzte Problemzonen. Und wie weit man da mit gut gemeinten Aktionen eingreifen kann, ist schwer abzuschätzen. Was kann der Gröhe denn groß machen, wenn  Mediziner partout nicht in Feuchtgebieten rumstapfen oder nachts Hausbesuche machen wollen an irgendeinem verwaisten Stadtrand? Soll man ihnen das etwa verübeln?


Zum Thema passend schickt mir seit einiger Zeit „Meine KV“ in immer kürzer werdenden Abständen ganz spezielle Post. Sie fordern mich darin fürsorglich auf, einen Kurs zu besuchen. Einen sogenannten Praxisabgabekurs, in dem mir beigebracht werden soll, wie ich meine Landpraxis am besten verscherbeln könnte. So werde ich wenigstens regelmäßig aufs Älterwerden aufmerksam gemacht.


Ich sah mich jedenfalls mal schnell auf ihrer Homepage nach potenziellen Nachfolgern um. Das hätte ich mir freilich sparen können. Ich werde also weiter fleißig arbeiten, so lange, bis man mich gewaltsam entfernt. Von den jungen „Bewerbern“ für eine Niederlassung in Bayern suchen nämlich etwa 200 Prozent eine Praxis in einem Münchner Nobelviertel. Von den restlichen sind einige ganz wenige gerade mal so risikofreudig, sich immerhin weiter als einen Steinwurf von ihrer noch zu erbenden Traumimmobilie niederzulassen.


Was ist nur aus dem Land der Forscher und Entdecker geworden! Ich habe daraufhin im Netz ein bisschen über „Ärztemangel“ recherchiert. Ganz vorne standen übrigens Bangladesch und Mecklenburg-Vorpommern. Aber im Osten der Republik macht man wenigstens was dagegen. Kürzlich hat ein Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ darüber berichtet. Er hatte einen Landarzt begleitet und eine aufregende Story darüber geschrieben. Durch die Geschichte tobt ein Jahrhundertsturm. Äste fliegen durch die Luft als der Held nachts ausrückt. Und norddeutsch unterkühlt kommentiert er seine Arbeit mit so Sätzen wie: „Eigentlich geht das Leben an mir vorbei.“


Kein Wunder, denk ich mir, denn der normale Alltag seiner Landarztpraxis sieht, von außen betrachtet, ziemlich schräg aus. Fünfzehnstundentage, große Entfernungen, viele Hausbesuche, dazu zählt er mit 51 Jahren auch nicht mehr zum medizinischen Nachwuchs. Er ist erst kürzlich von Hamburg Richtung Osten gezogen. Freiwillig wohlgemerkt. „So viel arbeiten, wie ist das?“, fragt am Schluss der Reporter. Er bekommt als Antwort: „Auslaugend.“


Wenn unser Held aus der Geschichte dann abends im Dunkeln nach Hause irrt, gehen ihm vielleicht die Argumente der Dauerdiskussion noch mal durch den Kopf. Es sind wohl die Überlastung und die damit fehlende Lebensqualität. Wenn man jüngere Kollegen fragt, beklagen sie sich vor allem über die ständig zunehmenden Notdienste, weil auf dem Land immer mehr die Älteren dafür wegfallen. Und wenn man jetzt eine Praxis erwirbt – wer garantiert, dass sie später einmal abgelöst wird? Siehe oben. Das waren aber jetzt genügend negative Schlagzeilen.

»Junge Ärzte zieht es nur in Münchner Nobelviertel«

Als es mich damals samt Familie nach Berchtesgaden verschlug, hatte ich anfangs auch ein mulmiges Gefühl. Womöglich würde mir die Münchner Freiheit samt Feinstaubbelastung fehlen. Aber wie das Leben halt so spielt, konnte ich sehr schnell auf beides verzichten. Meine Tochter schickte mir letztes Jahr eine aufmunternde Geburtstagskarte mit dem Text: „Es gibt Situationen im Leben, da kann man keinen Rückzieher machen!“ Zu sehen ist darauf eine zottelige Promenadenmischung beim Bauchplantscher vom Steg in einen See. Manches Mal musst du einfach nur springen, sollte dies wohl heißen. Ohne Wenn und Aber.


Der Kollege oben hat genau dies gemacht. Ich drücke ihm die Daumen für eine weiche Landung. Sollte es ihm als Landarzt aber nicht gefallen, kann er es ja einmal in einer anonymen Betonsilolandschaft versuchen. Vielleicht legt die KV dort ein Unterstützungsprogramm auf, das Flachbildschirme bezahlt. Damit man Landschaftsfilme in bester Auflösung erleben kann. War ja nur ein Vorschlag. Machen wir also erst mal weiter wie bisher. Mindestens bis zum nächsten Brief von der KV.

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