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Von Geistheilern und Touristen mit Gichtzehen

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Lieber läuft ein Tourist mit Flipflops durch Berchtesgaden, als sich seine Gichtzehe von einem Schulmediziner behandeln zu lassen. Dies nimmt MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner zum Anlass für eine Betrachtung des Gebarens von Geistheilern & Co.

Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Italienische Eisdielenbesitzer reden immer nur über das Wetter. Politik, Berlusconi, Wirtschaftskrise – alles nebensächlich. Stattdessen diskutieren sie permanent den Wetterbericht aus dem Internet für die nächsten vier Wochen rauf und runter. Dabei reiben sie nervös mit Daumen und Zeigefinger. Denn ihr Wohlergehen in Germania steht in den Wolken geschrieben.


Ein verregneter Sommer – und sie haben die Krise. Meine Praxis liegt direkt neben einer Eisdiele. Dieser Tage gönnte ich mir wieder mal einen Schwung gekühlter Kohlenhydrate. Rossano, der Chef, begrüßte mich höchstselbst im Garten des Genusstempels und fragte freundlich: „Wie geht’s, dottore? Was für ein schönes Wetter!“

»Im Ernstfall gehen auch Geistheiler zum Arzt«

Am Nebentisch saß ein Fremdling. Ich nenne ihn jetzt wertneutral mal so. Selbst unter all den Touristen fiel er noch auf wie ein verlaufenes Huhn. An den Füßen trug er nämlich Flipflops. Und dieses Schuhwerk ist bei uns in den Bergen so üblich wie Wanderstiefel beim Wiener Opernball. Er hatte bisher friedlich an seiner Cola genuckelt. Jetzt, beim Wort „dottore“ aber drehte er sich um. Dann streckte er mühevoll ein Bein aus und hielt es sehr entschlossen über meine Coppa Toskana. Wie lange nur würde das gut gehen?


„Da könn’ se ja gleich mal gucken, wat das ist!“ Er redete nicht gerade leise, sodass um uns herum die Leute die Ohren spitzten. Vielleicht sollte ich gleich hier im Garten praktizieren. Coram publico. Wer weiß, ob das nicht ausbaufähig ist. Die Diagnose war jedenfalls leicht zu stellen: Eine Gichtzehe konkurrierte farbenfroh leuchtend mit meinem Himbeereis. Daher also die Flipflops! „Wat sind se denn für’n Doktor?“, fuhr er fort, mich zu konsultieren. In dieser seltsamen Sprache. Vielleicht hätte ich sagen sollen, ich bin Hausarzt oder Praktischer Arzt.


Aber ich mag einfach keine Füße über meinem Eisbecher. Also sagte ich boshaft: „Ich bin Schulmediziner!“ Bingo! Schon drehte er sich weg. Mit so jemandem wollte er nichts zu tun haben. Mit einem Schulmediziner! Einem von diesen fiesen Typen, die heutzutage noch impfen und Antibiotika verschreiben. Denn es gibt doch genügend fortschrittlichere Geschäftsmodelle. Auch wenn diese bereits im Mittelalter praktiziert wurden.


Kürzlich war bei einem allgemeinärztlichen Kollegen ein „Geistheiler“ als Patient. Keine Ahnung, warum man sie so nennt. Er war jedenfalls Geschäftsmann im Handauflegen. Eskortiert wurde er von einer auserwählten Entourage. Drei, vier junge Leute, sie sprachen ein perfektes Englisch, wirkten kultiviert, waren gut gekleidet; es steckt offenbar einiges Geld in dieser Organisation.


Er hatte auch nicht viel Zeit. Gerade so viel, um sich behandeln zu lassen. Denn am nächsten Tag musste er bereits weiterjetten zu einem Auftritt vor viel Publikum, vulgo Patienten. „So einen Zulauf kann sich ein bayerischer Schulmediziner nie und nimmer erarbeiten,“ sagte mein Freund. „Ehrlich nicht!“ Die Betonung lag auf „nicht“.

»Handauflegen infiziert jetzt auch Schulmediziner«

Diese Geschichte entbehrt nicht einer gewissen Komik. Geistheiler sucht Hausarzt auf! Da haben wohl jemanden seine guten Geisterchen ziemlich hängen lassen. Geschäftsschädigend. Wirft kein gutes Licht auf die Kollegen der Finsternis. Interessanter aber ist die Erkenntnis daraus, dass Gesundbeter und Schamanen, wenn der Ernstfall sie selbst betrifft, eben auch auf Nummer sicher gehen.


Das heißt, sie verlassen sich wie jeder geistig gesunde Kranke auf die moderne Medizin und konsumieren liebend gerne Teufelszeug der forschenden Pharmaindustrie. Dazu vertrauen sie eben auch dem Fachmann. Oder glaubt vielleicht jemand im Ernst, dass im Notfall auch nur einer dieser Druiden im Telefonbuch nach dem nächs­ten Meister der Magie sucht? Nach dem Motto: „Kollege, mir geht’s nicht gut. Leg mir doch grad mal schnell die Hand auf!“


Dabei ist dies kein Einzelfall. Es gibt viel zu viele seltsame Heilige auf der Welt. Neuerdings sind sogar Schulmediziner von diesem spirituellen Virus infiziert. „Schulmedizin setzt auf Krebs-Heilung durch Handauflegen“, kann man im Internet lesen. Diese Schulmediziner können sogar, wen wundert’s, Wunder erklären. Sie behaupten einfach – es kann ihnen ja keiner das Gegenteil beweisen – solch alte Rituale wie Handauflegen führten zu Neuverschaltungen im Gehirn. Dadurch wird irgendwas gestärkt und was anderes geschwächt, oder umgekehrt. Den Schaltplan möchte ich seh’n. Für mich sind da keine neuen Schaltungen entstanden, sondern alte Sicherungen durchgebrannt.


Von mir aus kann jeder seinen Patienten glücklich machen, grad so, wie die zwei es miteinander aushandeln. Wenn sich der Patient besser fühlt, weil er betatscht wird, von wem auch immer, meinetwegen! Und wenn jemand seine homöopathischen Tröpfchen braucht, dann gebt sie ihm, in Gottes Namen. Auch wenn das nächste Molekül der Grundsubstanz bei einer D30-Verdünnung Lichtjahre entfernt ist. Sei’s drum. Aber dann bitte geschüttelt, nicht gerührt.

»Es ist nicht schlimm, Schulmediziner zu sein«

Entscheidend ist doch, ob aus menschlichen Gesten, aus traditionellen Ritualen, aus überlieferter Heilkunst, deren Wirksamkeit nicht beweisbar ist, ein lukratives Geschäftsmodell gemacht  wird. Welches in der Praxis nur funktioniert, weil der Patient dem Arzt vertraut.


Also, was lernen wir daraus? Es ist gar nicht so schlimm, sich sein Leben lang Schulmediziner schimpfen lassen zu müssen. Als altmodisch und manchmal ziemlich läs­tig zu gelten. Schließlich war Albert Schweitzer einer von uns. Da kann so viel nicht falsch sein. Er hat die bösesten afrikanischen Geister, die dort „Tropenkrankheiten“ heißen, erfolgreich bekämpft. Allerdings nicht durch Handauflegen, sondern mithilfe der guten alten Schulmedizin. Und die Gichtzehe eines Touristen hätte er mit links kuriert.

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