
„Den Acker erben Sie, Herr Doktor“ Was das aktuelle BGH-Urteil zu Patientenzuwendungen für die ärztliche Praxis bedeutet

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über folgenden Fall zu entscheiden: 2016 schloss ein älterer Patient mit seinem langjährigen Hausarzt sowie seiner Haushälterin und deren Tochter einen notariellen Vertrag. Darin verpflichtete sich der Arzt zur weiteren Betreuung – medizinisch wie organisatorisch. Im Gegenzug sollte er nach dem Tod des Patienten ein Grundstück erhalten. Zusätzlich regelte ein Testament, dass die Haushälterin den restlichen Nachlass erhalten sollte.
Nach dem Tod des Patienten 2018 wurde es juristisch heikel: Über das Vermögen des Arztes war 2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter wollte das Grundstück für die Insolvenzmasse einziehen und klagte gegen die Erbin, die den Nachlass verwaltete.
Das Oberlandesgericht Hamm entschied allerdings 2024: Der Arzt dürfe das Grundstück nicht erhalten, weil das sog. berufsrechtliche Zuwendungsverbot verletzt worden und deshalb das Vermächtnis unwirksam sei.
Nach § 32 Absatz 1 der Berufsordnung für Ärzte (hier: Westfalen-Lippe) dürfen Medizinerinnen und Mediziner keine Geschenke oder sonstigen Vorteile fordern, sich versprechen lassen oder annehmen, wenn dadurch der Eindruck entsteht, dass ihre ärztliche Unabhängigkeit beeinflusst werden könnte. Diese Regel soll dazu dienen, das Vertrauen in die Integrität der Ärzteschaft zu wahren und Interessenkonflikte zu vermeiden.
Berufsrecht ist das eine, Zivilrecht das andere
Doch wie stark ist dieses Verbot? Der BGH hat eine Linie gezogen:
- Ein berufsrechtlicher Verstoß macht ein Testament oder Vermächtnis nicht automatisch unwirksam. Es richtet sich ausschließlich an die Ärztin oder den Arzt – nicht an die Patientin oder den Patienten und deren/dessen Wunsch, frei über das Vermögen zu verfügen.
- Berufsrechtliche Regeln binden nicht automatisch die Zivilgerichte. Sie begründen auch kein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB, das eine zivilrechtliche Regelung nichtig machen würde.
Testierfreiheit hat Verfassungsrang
Besonders betont der BGH die Testierfreiheit – also das verfassungsrechtlich garantierte Recht, frei zu entscheiden, wem man nach dem Tod etwas vererbt (§ 14 Abs. 1 Grundgesetz). Diese Freiheit darf nur durch formelle Gesetze eingeschränkt werden, nicht durch Satzungen oder Berufsordnungen. Das heißt: Auch wenn z. B. ein Arzt ein Geschenk nicht hätte annehmen dürfen, bleibt der letzte Wille der Patientin oder des Patienten rechtlich wirksam, solange kein Gesetz dem direkt widerspricht.
Oberlandesgericht muss sich den Fall nochmals anschauen
Der BGH hat die Sache dennoch nicht abschließend entschieden. Das Verfahren wurde ans Berufungsgericht zurückverwiesen. Das OLG Hamm hat zu prüfen, ob das Vermächtnis gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Das wäre etwa dann der Fall, wenn
- der Arzt Druck auf den Patienten ausgeübt hätte,
- eine Ausnutzung von Krankheit oder Abhängigkeit vorläge oder
- der Gegenwert für das Geschenk in krassem Missverhältnis zur Leistung des Arztes stünde.
Was bedeutet die BGH-Entscheidung für Sie als Ärztin oder Arzt?
- Grundsätzlich haben Patientinnen und Patienten das Recht, Ärztinnen und Ärzte im Testament zu bedenken. Das ist nicht verboten.
- Die Annahme eines solchen Geschenks ist jedoch problematisch. Auch wenn zivilrechtlich nichts dagegen spricht, verstoßen Sie unter Umständen gegen die Berufsordnung. Im schlimmsten Fall drohen Sanktionen wie Rügen oder Geldbußen.
- Je höher der Wert der Zuwendung (Grundstück, Häuser, hohe Geldbeträge etc.), desto genauer wird geprüft – sowohl berufsrechtlich als auch zivilrechtlich wegen einer möglichen Sittenwidrigkeit.
- Lassen Sie sich im Zweifel rechtlich beraten – am besten schon vor der Annahme einer Zuwendung. Informieren Sie Ihre Ärztekammer, um früh die berufsrechtliche Einschätzung einzuholen. Dokumentieren Sie Gespräche mit der oder dem Kranken, besonders wenn es um persönliche Zuwendungen oder letztwillige Verfügungen geht. Sie tun gut daran, in solchen Fällen äußerste Zurückhaltung und Transparenz zu zeigen.
Insa Stoidis-Connemann, Steuerberaterin in Leer
Quelle: BGH-Urteil vom 2. Juli 2025, Az.: IV ZR 93/24