
Kliniken auf Krieg vorbereitet Was können wir von Israels resilienter Gesundheitsinfrastruktur lernen?

Deutschland diskutiert, wie Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen besser auf Krisen wie Pandemien, Naturkatastrophen und Krieg vorbereitet werden können. So wies Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach jüngst darauf hin, dass eine funktionierende Gesundheitsversorgung genauso wichtig für die Landesverteidigung sei wie die Bundeswehr. Die Landesärztekammer Hessen sieht das offenbar ähnlich und will Medienberichten zufolge künftig Schulungen anbieten, um Ärztinnen und Ärzte auf Kriegsszenarien vorzubereiten. Die Stadt Köln informierte darüber, dass sie im Stadtteil Meerheim eine unterirdische Intensivstation nach israelischem Vorbild plane. Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick nach Haifa.
Geschützt vor Angriffen: 2.000 Klinikbetten im Parkhaus
Das Rambam Universitätsklinikum in Haifa verfügt über eine unterirdische 2.000-Betten-Notfallklinik, die größte dieser Art auf der Welt. Regulär hat die Klinik 1.100 Betten und steht als einzige Klinik zur Tertiärversorgung und mit einem Level-1-Traumazentrum für rund drei Millionen Menschen im Norden Israels zur Verfügung. In Rambam sind mehr als 30 % der Mitarbeitenden muslimische Araberinnen und Araber. Jüdische und muslimische Teams arbeiten hier Hand in Hand.
„Wir setzen alles daran, unsere Patientinnen und Patienten in jeder Situation zu versorgen“, sagt Prof. Dr. Michael Halberthal, seit 2019 Generaldirektor von Rambam und seit 2014 Vorsitzender des klinikeigenen Ausbildungszentrums für Trauma, Notfall- und Großschadenslagen (MCS). Die Entscheidung, eine unterirdische, vor konventionellen und nicht konventionellen Angriffen geschützte Klinik zu bauen, sei 2006 im zweiten Libanonkrieg nicht etwa seitens der Politik getroffen worden, sondern vom Klinikmanagement. Damals habe es das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ noch nicht gegeben und in der Nähe der Klinik seien Raketen eingeschlagen.
Heute kann die Klinik ihr Parkhaus mit 1.500 Pkw-Stellplätzen auf drei Ebenen mit jeweils über 20.000 qm Fläche in 72 Stunden in ein vollwertiges Krankenhaus mit Intensivstation und OPs verwandeln. „Bei der Planung haben wir regional gedacht“, sagt Prof. Halberthal. „Zusätzlich zu den eigenen Patientinnen und Patienten können wir im Notfall mehrere Hundert weitere aus umliegenden Krankenhäusern aufnehmen.“
Die Inbetriebnahme erfolgt nach festen Ablaufplänen. Nachdem die Parkdecks vollständig geräumt sind, wird gereinigt und desinfiziert. Betten, medizinische Geräte, Trennwände etc. werden aus dem Lager geholt und aufgebaut. Alles ist modular, farblich kodiert und passgenau. Im Fall einer notwendigen Inbetriebnahme helfen Soldatinnen und Soldaten beim Aufbau. Videos zeigen, dass dies nach einem ziemlichen Gewusel aussieht, aber offenbar planmäßig funktioniert.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass das Parkhaus für die Kliniknutzung gebaut wurde, sodass Anschlüsse für Sauerstoff, Strom und IT in Wänden und Decken integriert sind. Auch an einen Kindergarten für 600 Kinder wurde gedacht. Wer rund um die Uhr in der Klinik arbeitet, brauche Gewissheit, dass der Nachwuchs in guten Händen ist, erläutert Prof. Halberthal. Die Klinik kann drei bis vier Tage autark arbeiten. Vorgesehen ist, dass Ambulanzwagen unterirdisch eintreffen und bei Bedarf Patientinnen und Patienten zunächst in einer Schleuse von möglichen Schadstoffen dekontaminiert werden.
Das hört sich kostspielig an. Prof. Halberthal verrät die Zahlen: „Die Klinik hat 140 Millionen US-Dollar gekostet. Davon kamen 30 % aus öffentlichen Geldern.“ Für die weiteren 70 % musste Rambam selbst aufkommen. In Israel springen bei solchen Projekten oftmals Philanthropen ein. Sammy Ofer, ein inzwischen verstorbener israelischer Milliardär und Reeder, spendete für die Notfallklinik, die 2014 fertiggestellt wurde und nach ihm benannt ist.
Gesundheitswesen in Israel
- Bevölkerung: 10,05 Mio. (2025), Basisversicherung für alle, vier Krankenkassen
- Lebenserwartung: Ø 83,63 Jahre
- Gesundheitsausgaben: 7,2 % des BIP (2023)
- rund 1 % der Finanzierung aus ausländischen Spenden
Die Ressourcen sind knapp: Es gibt Personalnot, einen Mangel an Klinikbetten und medizinischer Ausrüstung. Gleichzeitig gilt Israels Gesundheitswesen als eines der effizientesten weltweit, insbesondere weil es früh auf den Einsatz von Digital-Health-Anwendungen gesetzt hat.
Entscheidungen folgen festgelegten Protokollen
Auch andere Kliniken in Israel haben unterirdische Notfallbetten. Doch dies ist nur ein Teil der resilienten Infrastruktur. Wesentlich ist, dass Krankenhäusern, dem Rettungsdienst, Ministerien, Armee, Heimatschutz und Kommunen bekannt ist, was im Krisenfall zu tun ist.
Wie in Studien und Fachartikeln nachgelesen werden kann, folgen Entscheidungen festgelegten Protokollen. Im Krisenfall übernimmt die National Emergency Authority (NEMA), eine Unterabteilung des Verteidigungsministeriums. NEMA ist in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium für das übergreifende Notfallmanagement zuständig. Die wichtige Koordination zwischen den zivilen Einrichtungen und der Armee läuft über das Heimatschutzkommando (Pikud HaOref).
Darüber hinaus haben die Krankenhäuser eigene Notfall- und Krisenteams, die sich wiederum mit NEMA und dem Heimatschutz abstimmen. Auch die Bevölkerung wird einbezogen. Notfall-Apps, Schulprogramme und Übungen sorgen dafür, dass auch Zivilisten wissen, wie sie sich im Ernstfall zu verhalten haben.
Krisenszenarien mit Stromausfall, Cyberangriff oder einem sog. Massenanfall von Verletzten (MANV) werden regelmäßig bis ins Detail geübt. „Ohne Trainings geht nichts“, sagt Prof. Halberthal und berichtet, dass im Rambam interne Übungen fast jeden Monat stattfinden. Darüber hinaus gebe es ein- bis zweimal im Jahr große nationale Trainings. Jedes Krankenhaus in Israel sei dazu verpflichtet. Die Protokolle seien im gesamten Land gleich, müssten jedoch nach den lokalen Gegebenheiten angepasst werden.
Kurse in den USA, Frankreich, China und Indien gegeben
„Unsere Philosophie ist es, dass wir unser Wissen und unsere Erfahrungen teilen“, lädt Prof. Halberthal zum Austausch ein. Sein Team im MCS habe in den letzten Jahren Kurse in vielen Ländern weltweit gegeben, auch in den USA, China, Indien und Frankreich. Sie seien offen für Kontakte und gemeinsame Brainstormings mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Letztlich würden auch sie davon lernen. Aufschluss darüber, was es braucht, damit Gesundheitssysteme resilient sind, geben auch die Autoren einer aktuellen Untersuchung zum 7. Oktober 2023.1
An nur einem Tag wurden 1.200 Menschen ermordet und mehr als 9.000 verletzt. Für ein Land mit zehn Millionen Einwohnern eine immense Belastung. Der Schlussfolgerung der Autoren zufolge ist ein koordinierter, zentralisierter Ansatz im Krisenmanagement zentral. Dazu brauche es klare Kommunikationswege für den schnellen Informationsaustausch zwischen Einsatzkräften, eine nationale Steuerung präklinischer Ressourcen für den raschen Einsatz des Rettungsdienstes sowie ein systematisches Management von Primär- und Sekundärevakuierungen, um Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen. Ein Blick nach Israel kann sich also für deutsche Gesundheitspolitikerinnen und -politiker sowie Klinikverantwortliche lohnen.
Quelle: 1. Jaffe E et al. Int J Public Health 2024; 69: 1606907; DOI: 10.3389/ijph.2024.1606907