Hausarztverträge Weg mit der Kontrolletti-Mentalität!

Gesundheitspolitik Autor: I. Dürr

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Im Wahljahr 2013 stand beim 11. Baden-Württembergischen Hausärztetag der rasch zunehmende Hausärztemangel im Fokus. Unter dem Motto „Dringend gesucht: Hausarzt!“ hatte man dieses Mal die gesundheitspolitischen Sprecher der großen Parteien zur Podiumsdiskussion geladen. Sie sollten auf Herz und Nieren geprüft werden, wie sie zur Zukunft der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) und zum Konzept eines Primärarztsystems stehen. Bis auf die FDP standen dann auch alle Politiker Rede und Antwort. Nicht immer zum Vergnügen der anwesenden Hausärzte.

Die Hausärzte in Baden-Württemberg haben dank der flächendeckenden HzV-Verträge bessere Voraussetzungen als in anderen Bundesländern. Das mache es zwar attraktiver, sich als Hausarzt im Südwesten niederzulassen, dennoch würden auch im Ländle schon in naher Zukunft Hausärzte fehlen, machte Dr. med. Berthold Dietsche, der Landesvorsitzende des Hausärzteverbands, das Problem deutlich. Wie um seine Worte zu unterstreichen, streifte parallel dazu Martin Buchwald, Bürgermeister der Schwarzwaldgemeinde Neuweiler, durch den Saal und machte mit einer gelben Schärpe behängt darauf aufmerksam, wie dringend er für seine Bürger einen Hausarzt sucht.

Viele Fragen an die Politik

Dietsche forderte deshalb die Vertreter aller politischen Parteien auf, sich klar zum Ausbau einer bundesweiten Hausarztzentrierten Versorgung zu bekennen. Um die Diskussion zu befeuern, hatte man vorab bereits einen entsprechenden Fragenkatalog an die Parteien versandt. Als entscheidenden Wahlprüfstein sehen die Hausärzte dabei die Positionen der Parteien zum § 73 SGB V. Und die größte Baustelle dabei ist die von der schwarz-gelben Koalition eingeführte Refinanzierungsklausel, wonach die HzV nicht teurer sein darf als die Regelversorgung im Kollektivvertrag. Dieser unliebsame Absatz 5a im § 73b habe die Fortentwicklung der Hausarztverträge in anderen Regionen erheblich behindert und müsse deshalb so rasch wie möglich wieder ausradiert werden, so die Forderung, die von lautstarken Jubelrufen aus dem hausärztlichen Publikum untermauert wurde.

Da machte es sich ganz gut, dass als Erste Hilde Mattheis, die stellvertretende Sprecherin der AG Gesundheit der SPD-Bundestagfraktion, dazu Farbe bekennen durfte. Denn Frau Mattheis stellte sich klar hinter diesen Wunsch. Die SPD stand und stehe an der Seite der Hausärzte und wolle die HzV stärken, und das werde auch nach 2013 so bleiben. Schließlich sei es auch die ehemalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gewesen, die die richtigen Schritte auf dem Weg zum Hausarzt als Lotsen im Gesundheitssystem eingeleitet habe. Und der Lotse brauche eine gute Grundlage, um seine Funktion erfüllen zu können. Einer Verpflichtung der Patienten zu Hausarztverträgen steht sie kritisch gegenüber. Die Patienten sollten selbst darüber entscheiden können, man müsse sie eben von dem Angebot überzeugen. Wie ein Bekenntnis zum Primärarztsystem klang dies nicht.

Hausärzte reden sich selbst schlecht

Das Problem mit dem fehlenden hausärztlichen Nachwuchs führt die SPD-Abgeordnete vor allem darauf zurück, dass es dem Berufsbild bei den Studierenden an Attraktivität mangele. Die Vorstellung vom Hausarzt, der rund um die Uhr zur Verfügung steht, schrecke viele junge Leute ab, denn es entspreche nicht mehr ihrer Lebensplanung. Um die Situation zu verbessern, müssten mehr und besser finanzierte Lehrstühle für Allgemeinmedizin an den Universitäten eingerichtet werden und die Ärzte müssten ausreichend honoriert werden. Von den Kommunen erwarte sie mehr Flexibilität. So könnte sie sich vorstellen, dass Gemeinden im Rathaus eine voll ausgestattete Hausarztpraxis vorhalten, die dann tageweise besetzt werden könnte. Letzter Punkt stieß allerdings bei großen Teilen des Publikums auf Unverständnis und Hohn: Wer wolle schon einen Hausarzt, der nur vier oder acht Stunden in der Woche für seine Patienten da ist?

Grüne auf Schlingerkurs

Noch etwas gereizter wurde die Stimmung allerdings, als Birgitt Bender, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, das Wort ergriff. Zwar sprach auch sie sich dafür aus, die ihrer Meinung nach unsinnige Refinanzierungsklausel aus den HzV-Verträgen wieder zu streichen. Doch verband sie dies gleichzeitig mit dem Vorschlag, dann auch die Verpflichtung der Krankenkassen abzuschaffen, überhaupt Hausarztverträge mit dem Hausärzteverband abschließen zu müssen. Zwang und die Einschaltung von Schiedsstellen seien nicht immer der richtige Weg. Der Hausärzteverband sei besser beraten, die Kassen mit seinen Angeboten zu überzeugen. Grundsätzlich sollte sich das gesamte Gesundheitssystem am Nutzen für den Patienten ausrichten, so die Grünen-Sprecherin. Darüber hinaus sprach sie sich für mehr kooperative Versorgungsformen aus, mit denen sich die Attraktivität des Hausarztberufs verbessern lasse. Auch müsse nicht unbedingt jeder aus dem Berufsleben ausscheidende Hausarzt ersetzt werden. Bei entsprechender Qualifikation könnten auch andere Gesundheitsberufe etliche Aufgaben übernehmen und so die Hausärzte entlasten.

Mit diesem Zick-Zack-Kurs provozierte Frau Bender natürlich den heftigen Widerspruch nicht nur der anwesenden Hausärzte, sondern auch den des mit auf dem Podium sitzenden Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt. Er brandmarkte diese Verknüpfung als politischen „Kuhhandel“ zugunsten der Krankenkassen. Die Verpflichtung der Krankenkassen zur HzV habe nichts zu tun mit der Verpflichtung der Patienten. Die Erfahrung habe aber gezeigt, dass man die meisten Krankenkassen dazu zwingen müsse, den Patienten eine Alternative anzubieten. Falle dieser Stachel im Kollektivvertragssystem jedoch weg, würden die Kassenchefs schnell wieder in den Schlaf versinken. Der Hausärzteverband hingegen strebe eher noch eine Ausweitung der Selektivverträge bis in die Kliniken an, um so die Sektorengrenzen zu überwinden.

CDU will abwarten

Da wegen des gleichzeitig stattfindenden FDP-Bundesparteitags kein liberaler Vertreter nach Stuttgart gekommen war, durfte Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, den Abschluss der Politikerrunde machen und den geballten Zorn der Hausärzte auf sich ziehen. Zunächst einmal erinnerte er daran, dass es die Große Koalition und nicht allein die SPD gewesen sei, die den § 73b eingeführt hatte. Dann riet er den Hausärzten unter aufbrandenden Buhrufen, ihren Beruf nicht dauernd schlechtzureden, sondern positiv darüber zu sprechen.

Was die HzV in Baden-Württemberg erreicht habe, sei beeindruckend. Man müsse aber noch die vollständige Evaluation abwarten, um ein endgültiges Urteil treffen zu können. Die Erfolge im Ländle bestätigen aber auch, dass solche Verträge aus Überzeugung und nicht wegen Zwang geschlossen werden sollten. Dennoch halte die CDU/CSU an der Verpflichtung der Krankenkassen zur HzV fest. Die Verantwortung für die Refinanzierungsklausel schob Spahn dem Bundesversicherungsamt zu, das mit dieser Wirtschaftlichkeitsprüfung leider vieles wieder kaputt mache. Wenn ein Vertrag allerdings belegen könne, dass er wirtschaftlicher sei oder aber eine höhere Qualität der Versorgung erbringe, könne man auch über den bei den Hausärzten so umstrittenen Absatz 5a reden. So weit sei man aber im Moment noch nicht. Zum Ende seiner Ausführungen zeigte sich Spahn aber durchaus offen für die Position der Grünen, die Refinanzierungsklausel zu streichen, wenn dafür die Kassen nicht weiter zu Hausarztverträgen gezwungen werden würden.

HzV braucht Luft zum Atmen

Mehr Freunde im Saal brachte ihm diese unerwartete Flexibilität allerdings nicht ein. Im Gegenteil fühlte sich Dr. Christopher Hermann, der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, zu einem harschen Statement herausgefordert. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Protagonisten des alten Zustands uns ständig Knüppel zwischen die Beine werfen“, wetterte er gegen die Gesundheitspolitik und die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Der Zentralismus, der dort propagiert würde, sei kontraproduktiv und ein Grund für die Überbürokratisierung und den Vertrauensverlust in das bestehende System. In Baden-Württemberg mache man bei dieser „Kontrolletti-Mentalität“ nicht mehr mit. Wenn aber im Jahr 2014 die derzeitigen HzV-Verträge in Baden-Württemberg ausliefen und die Refinanzierungsklausel noch existiere, würden die Hausarztverträge stranguliert. "Wir wollen unseren Weg konsequent weitergehen, aber dafür muss man uns auch die Luft zum Atmen lassen", forderte er unter dem zustimmenden Applaus der Hausärzte.

Was die Zukunft der Hausarztzentrierten Versorgung anbetrifft, hängt also vieles vom Wahlausgang im September ab und davon, welche Parteien dann miteinander die Regierung bilden werden. Die SPD sieht sich als verlässlicher Partner der Hausärzte. Jens Spahn von der CDU zeigte sich zumindest in manchen Punkten kompromissbereit. Und die Grünen-Politikerin Bender gab allen „grünen“ Hausärzten noch einen Rat mit auf den Nachhauseweg: Wer mit der derzeitigen Position der Grünen zur HzV nicht einverstanden sei, der müsse sich in den basisdemokratischen Parteigremien eben zu Wort melden.▪

Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (7) Seite 71-75
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Auf dem Podium stellten sich die gesundheitspolitischen Sprecher von CDU, Grünen und SPD den kritischen Fragen der Hausärzte (von links nach rechts: Dr. med. Frank-Dieter Braun (Moderator), Jens Spahn, Birgitt Bender, Dr. Christopher Hermann (AOK), Hilde Mattheis, Ulrich Weigeldt (DHÄV) Auf dem Podium stellten sich die gesundheitspolitischen Sprecher von CDU, Grünen und SPD den kritischen Fragen der Hausärzte (von links nach rechts: Dr. med. Frank-Dieter Braun (Moderator), Jens Spahn, Birgitt Bender, Dr. Christopher Hermann (AOK), Hilde Mattheis, Ulrich Weigeldt (DHÄV)