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Wie wird wohl die heutige Therapie morgen beurteilt?

Autor: Dr. Günter Gerhardt

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Immer mehr Warnmeldungen zu Arzneien erreichen Ärzte, teils auch von solchen, die man bereits jahrelang verordnet hat. Sind die Medikamente gefährlicher geworden?, fragt sich MT-Kolumnist Dr. Günter Gerhardt.

IQWiG lässt zwei Arzneien durchfallen. Diese Überschrift in der Presse hat mich mich aufhorchen lassen und ich habe mich an die Recherche dieses zu Unrecht unpopulären Themas gemacht. Ein Satz vorneweg: Ich bin der Meinung, dass wir uns mit dem Thema Arzneimittelversorgung unserer Patienten sehr wohl beschäftigen sollten, auch und gerade wenn es sich um teure Innovationen handelt.


Es scheint – auch in den Reihen einiger KVen – schick geworden zu sein, dieses Thema mit „Pharmaindustrie – Nein danke“ abzuhaken, als wenn damit das Thema vom Tisch wäre. Leider verschrecken manche selbst ernannte Experten mit ihren Drohgebärden die Kollegenschaft dermaßen, dass diese vor lauter Regressangst nur noch billig verordnen. Dagegen spricht zunächst nichts, doch wir sollten als Ärzte nicht vergessen, warum wir den Beruf gewählt haben.

»Mehr Therapiesicherheit für Arzt und Patienten«

Zurück zu den durchgefallenen Arzneien. Was ist da passiert? Einer neuen Arznei wurde ein Zusatznutzen nicht anerkannt, weil es mit einem Mittel verglichen wurde, das in Deutschland nicht mehr zuge­lassen ist, es allerdings zum Zeitpunkt der Studie war, die nun dem IQWiG vorgelegt wurde. Die Experten der Fachgesellschaft verstehen die IQWiG-Entscheidung nicht und verweisen darauf, dass das hierzulande nicht mehr (wohl aber in Frankreich, England, Belgien, Portugal und Spanien) zuge­lassene Vergleichspräparat immer noch das weltweit am meisten eingesetzte Medikament ist, dagegen das Mittel, das das IQWiG vorgesehen hat, in vielen Ländern gar nicht mehr erhältlich ist.


Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier nicht langweilen. Aber es kann doch nicht sein, dass auf diese Art und Weise ein oder kein Zusatznutzen, letztlich für unsere Patienten, festgestellt wird. Selbst wenn eine Innovation Patienten und Ärzten eindeutige Vorteile beschert, kann es sein, dass sie durchfällt, weil dem IQWiG die Vergleichstherapie missfällt. Das klingt doch sehr nach Kontrolle gemäß der Devise „Sparen auf Teufel komm raus!“ Die Interessen des Patienten und der Anspruch des Arztes bleiben außen vor.

»Die Informationsflut ist nicht zu verarbeiten«

Wir in unseren Praxen bekommen das kaum mit. Dafür werden wir mit einer Flut an Informationen zu neuen Sicherheitsrisiken mit Arzneimitteln überschüttet: Zwischen dem 2. Januar und dem 11. März dieses Jahres gab es 14 Rote-Hand-Briefe, 15 Drug-Safety-Mails der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie Stellungnahmen der pharmazeutischen Industrie zu den Rote-Hand-Briefen.


Was ist los mit den Arzneimitteln, die wir oftmals seit Jahrzehnten unseren Patienten verordnet haben, mit denen wir Erfahrungen gesammelt haben und deren Nutzen, aber auch deren potenzielle Risiken wir aus den Fachinformationen und eigenem Erleben kennen? Sind diese Arzneimittel gefährlicher geworden? Müssen wir Ärzte uns fahrlässigen Umgang mit Arzneimitteln vorwerfen lassen? Oder haben Arzneimittelbehörden bei der Zulassung früher geschlafen und sind nun in der europäischen Zulassungsbehörde EMA kollektiv aufgewacht, um uns eines Besseren zu belehren?


Diese Informationsflut ist jedenfalls nicht zu verarbeiten und führt zu erheblicher therapeutischer Verunsicherung. Wir müssen uns fragen: Was soll das ganze Theater; wird damit tatsächlich eine erhöhte Arzneimittelsicherheit erreicht? Unsere Aufgabe ist es, unseren  Patienten geeignete Therapien anzubieten, die Kriterien wie Wirksamkeit, angemessenes Risiko und Wirtschaftlichkeit miteinander vereinbaren.


Wir können unsere Patienten nicht fortwährend mit Umstellungen überraschen, die unsere früheren Therapieentscheidungen ad absurdum führen und auf Unverständnis stoßen müssen. „Der Doktor experimentiert mit mir“, so der Eindruck des Patienten. Nocebo-Effekte sind damit vorprogrammiert. Es kommt zu einer Verunsicherung darüber, was überhaupt noch verordnet werden kann – und wie die Verordnung von heute wohl morgen beurteilt werden mag. Welche Hiobsbotschaften werden uns demnächst erreichen?


Eine Lösung kann nur darin bestehen, dass sich unsere Interessenvertretung, die Kassenärztliche Vereinigung, im Dialog mit allen Beteiligten dieser Problematik annimmt. Das Ergebnis muss lauten: Mehr praxis­taugliche Therapie­sicherheit für Ärzte und Patienten!

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