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AWMF Wissenschaftlichkeit nur als Unterpunkt?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Medizinstudierende lernen im Studium, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und wie biologische Prozesse ablaufen. Wissenschaftliches Arbeiten steht bisher nur selten auf dem Lehrplan. Medizinstudierende lernen im Studium, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und wie biologische Prozesse ablaufen. Wissenschaftliches Arbeiten steht bisher nur selten auf dem Lehrplan. © NDABCREATIVITY – stock.adobe.com
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Für die Patientenversorgung ist es von großer Bedeutung, Studien lesen und interpretieren zu können, medizinische Leitlinien anzuwenden, Registerdaten zu erfassen und Statistiken zu verstehen. In der Ärzteschaft hapere es jedoch genau an dieser Wissenschaftskompetenz, kritisieren die Fachgesellschaften der AWMF.  

Wissenschaftliche Kompetenz werde im Medizinstudium nicht ausreichend gefördert, sagt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF). Sie problematisiert, dass Ärzt:innen in der Versorgung deswegen Forschungsbefunde nicht richtig lesen können. Medizinische Fakultäten gehörten zwar vielfach zu den Gründungsmitgliedern europäischer Universitäten, bemerkte in einer Pressekonferenz AWMF-Präsident Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede. Trotzdem würden Arbeitstechniken wie wissenschaftliches Denken und Handeln im Studium der Humanmedizin und der Zahnmedizin nicht vermittelt.

In anderen universitären Fächern wie Biologie oder Psychologie sei das hingegen schon der Fall. 

Der Begriff Ambiguitätstoleranz spiele im Studium der Psychologie eine große Rolle, so der Professor. Würden hier Inhalte vermittelt, werde zugleich gelehrt, dass diese Inhalte nicht unbedingt in Stein gemeißelt seien: „Sie sind der Stand der Forschung aus der Vergangenheit in der Gegenwart. Es kann sich aber alles in Zukunft ändern. Und wenn man ehrlich ist, gilt das auch in der praktischen Medizin.“ 

Als Wissenschaftler könne man sagen, man agiere erst, wenn Tatsachen klar seien. Aber als Arzt müsse man eben gleich eine Entscheidung treffen, erklärt Prof. Treede. Nicht nur an Universitätskliniken, sondern auch in landärztlichen Praxen müssten die dort Tätigen in der Lage sein, den aktuellen Stand der Wissenschaft aus Leitlinien, Übersichtsartikeln und klinischen Studien selbstständig zu ermitteln und anzuwenden. Tatsächlich stoße man aber immer wieder auf Ärztinnen oder Ärzte, die Aussagen darüber treffen, woher z.B. die Bauchschmerzen kommen, wofür jeder Beleg fehlt – und „wo man auch ein bisschen die Selbstkritik vermisst“.

Flut an medizinischem Wissen macht kritische Analyse nötig

Die AWMF hat bereits 2008 mangelnde Wissenschaftskompetenz in der Ärzteschaft publik gemacht. Im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin wurden schließlich entsprechende Anforderungen formuliert. Es sei schon gelungen, dort den Erwerb der Wissenschaftskompetenz als Ausbildungsziel zu verankern, so der AWMF-Präsident. Man würde sich aber wünschen, dass auch in der Präambel der Weiterbildungsordnung die Pflege der Wissenschaftskompetenz als verpflichtendes Grund­element verankert werde. Praktische Kompetenz bedeutet für ihn auch, einen wissenschaftlichen Text „nach allen Regeln der Kunst“ mit Fragen und Antworten verfasst zu haben. In Zukunft komme es mehr auf die Fähigkeit zur Ausübung der evidenzbasierten Medizin an als auf im Studium erworbenes Faktenwissen. 

Eine extreme Informationsflut an medizinischer Fachliteratur mache es heute notwendig, dass Medizinstudierende und Ärzt:innen lernen, neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie zu identifizieren und auch kritisch zu analysieren und einzuordnen im Kontext des Patienten, bestätigt Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Julia Eckel, Referentin für „Wissenschaftlichkeit im Medizinstudium“ im Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung, Universitätsmedizin Mannheim (UMM). Man gebe den Studierenden damit zugleich Werkzeuge an die Hand, mit denen qualifizierte Promotionen entstehen können. 

„Ich würde mir wünschen, dass man vom ersten Semester an die Grundlagen lernt und dann immer weiter, tiefer in die Wissenschaftlichkeit vordringen kann, in die Stärkung wissenschaftlicher Kompetenz im Medizinstudium“, bestätigt Christian Baxmann, Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung; Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). Das werde von Medizinstudierenden ja seit Jahren gefordert. 

Wie diese Fähigkeiten erlernt werden können, zeigt beispielhaft das Mannheimer Reformierte Curriculum für Medizin (MaReCuM). Hier ist die Vermittlung von wissenschaftlichen Kompetenzen seit vielen Jahren integriert. Gelehrt wird zu Literaturrecherche und guter wissenschaftlicher Praxis, zur kritischen Beurteilung von wissenschaftlicher Evidenz und zu wissenschaftlichem Schreiben. Das Curriculum beinhaltet zudem Laborpraktika, Versuchsplanung, die Themen Bio­mathematik, Epidemiologie und evidenzbasierte Medizin in der Klinik. Am Ende steht ein Leistungsnachweis per Forschungsarbeit, wo die Studierenden zeigen müssen, dass sie wissenschaftlich denken und arbeiten können. Erfreulicherweise, so Dr. Eckel, seien zwei Drittel der Studierenden motiviert, ihre wissenschaftliche Arbeit im Rahmen einer Doktorarbeit zu vertiefen. 

Was die Verankerung von Wissenschaftskompetenz in der Breite im Medizinstudium betrifft, zeigt sich die Referentin optimistisch. Zwei Drittel der Modell- und Reformstudiengänge hätten schon verpflich­tende Module zum wissenschaftlichen Arbeiten.

Regelstudiengänge müssten ein bisschen aufholen. Aber die neue Approbationsordnung werde kommen und die Forschungsarbeit zur Pflicht machen.

„Wir brauchen eine Kompetenz der Wissensgenerierung und der Informationsbewertung“, bestätigt Prof. Dr. Erika Baum, Vorsitzende der Ständigen Kommission Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre der AWMF. Bisher ginge es um Wissenskompetenz, um „ethische, wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen ärztlichen Handelns“. Es müsse auch Handlungskompetenz vermittelt werden, wie es z.B. im Mannheimer Studiengang passiert.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina fordere zu Recht eine bestmögliche, wissenschaftlich fundierte Versorgung von Patient:innen, die Generierung wissenschaftlicher Innovationen und deren zügige Umsetzung in der Praxis, so Prof. Baum. Die Musterweiterbildungsordnung von 2018 sei inzwischen in allen Landesärztekammern umgesetzt, allerdings unterschiedlich. „Und da müssen wir zu unserem großen Bedauern sagen, ist Wissenschaftlichkeit nur in einem kleinen Unterpunkt neben ethischen Grundlagen als Wissenskompetenz angegeben, nicht als Handlungskompetenz.“ Letztere werde „aber eine zentrale Rolle spielen in der Zukunft, wenn wir eine gute Versorgung haben wollen“. 

Quelle: Pressekonferenz AWMF

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