Anzeige

Zweitmeinung wird selten genutzt

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Beratungsoption bei planbaren Eingriffen überzeugt noch nicht. Beratungsoption bei planbaren Eingriffen überzeugt noch nicht. © fotolia/auremar
Anzeige

Laut Gesetz können Patienten seit 2015 bei Indikation zu ausgewählten planbaren Eingriffen auf Kassenkosten eine zweite ärztliche Meinung einholen. Der Gesetzgeber will damit die Zahl unnötiger Operationen eindämmen. Doch die Zweitmeinung wird bisher von den Patienten eher selten nachgefragt.

Das zeigt z.B. ein Modellprojekt der AOK Bayern, das Peter Krase, Ressortleiter für das Leistungsmanagement der Kasse, im Arbeitskreis "Ärzte und Juristen" der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) vorstellte. In Kooperation mit der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg bietet die Kasse an Krebs erkrankten Versicherten ein digitales Zweitmeinungsverfahren an. Doch obwohl fast 90 % der Versicherten eine zweite Meinung für wichtig erachten, haben in den letzten drei Jahren lediglich 300 Versicherte der AOK Bayern von ihr Gebrauch gemacht – und das trotz aufwendiger Informationsmaßnahmen.

Indikationen werden erst im Herbst vom G-BA festgelegt

Die Juristen und Ärzte des Arbeitskreises sehen die Zurückhaltung als ein Indiz dafür, dass die meisten Patienten in Deutschland trotz des verbrieften Rechts auf eine Zweitmeinung auf die Aussage ihres ersten Arztes vertrauen.

Regelung im Gesetz

§ 27b Abs. 5 SGB V besagt u.a.: Der Arzt, der die Indikation für einen planbaren Eingriff stellt (bei der der Gemeinsame Bundesausschuss die Gefahr der Mengenausweitung sieht), "muss den Versicherten über das Recht, eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einholen zu können, aufklären und ihn auf die Informationsangebote über geeignete Leistungserbringer" (zugelassene bzw. ermächtigte Ärzte und Einrichtungen sowie Krankenhäuser) hinweisen. Die Aufklärung muss mündlich und so rechtzeitig erfolgen – in der Regel mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff –, "dass der Versicherte seine Entscheidung über die Einholung einer Zweitmeinung wohlüberlegt treffen kann". Der Arzt hat auf das Recht auf Kopien der Befundunterlagen aus der Patientenakte, die für die Zweitmeinung erforderlich sind, hinzuweisen. Die Kosten fürs Zusammenstellen trägt die Krankenkasse.

Dr. Ilona Köster-Steinebach, Referentin Gesundheitspolitik bei der Verbraucherverband Bundeszentrale, hält andere Ursachen für wahrscheinlich. Sie geht davon aus, dass die Patientenbedürfnisse zu kurz kommen, u.a. durch die Beschränkung der Zweitmeinung auf planbare Eingriffe. Außerdem seien die Indikationen bisher noch nicht festgelegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss werde voraussichtlich erst in der zweiten Jahreshälfte Beschlüsse dazu fassen.

Darüber hinaus sei für die Expertise besondere Erfahrung der Ärzte nötig. Doch wie sollen Patienten diese erfahrenen Ärzte finden können und wird es möglich sein, zeitnah Termine zu vereinbaren? Dr. Köster-Steinebach verweist darauf, dass nach § 27b Abs. 4 SGB V die Kassenärztlichen Vereinigungen und Landeskrankenhausgesellschaften inhaltlich abgestimmt über jene Leistungserbringer informieren sollen, die ohne Interessenkonflikte zum Erbringen einer unabhängigen Zweitmeinung geeignet und bereit sind. Solange aber durch den G-BA die Richtlinien nicht vorgegeben sind, tut sich diesbezüglich nichts.

Krankenkassen als Vorreiter

Viele gesetzliche Krankenkassen bieten trotz fehlender Richtlinie des G-BA bereits im Rahmen von Satzungsleistungen die Möglichkeit an, eine Zweitmeinung einzuholen. In Nordrhein-Westfalen z.B. bietet nach Angaben der Verbraucherzentrale rund die Hälfte der 62 Krankenkassen das Zweitmeinungsverfahren an, vielfach für Eingriffe an Wirbelsäule, Hüfte, Knie und Schulter. Jede dritte Kasse offeriert es auch Krebspatienten.

Auf ein weiteres Problem wies Univ.-Professor Dr. Edmund A. M. Neugebauer in der SIQ!-Konferenz 2017 hin: "Belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit, zum Nutzen und zu Risiken von Zweitmeinungsverfahren liegen bislang weder national noch international vor." Der Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung e.V. (DNVF) fordert deshalb eine "wohlüberlegte, vorsichtige Indikationsliste für die Einholung einer Zweitmeinung bei planbaren Eingriffen mit wissenschaftlicher Begleitforschung und Evaluation".

Die Nutzenbewertung/Evaluation müsse zwingend unabhängig erfolgen. Zudem sei aus Akzeptanzgründen und zur Sicherung der notwendigen Expertise eine Mitwirkung des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer und des DNVF erforderlich, so der Wissenschaftler.

Einfach-, Doppelbefundung und Telekonsil im Vergleich

Er berichtete darüber, dass derzeit mit verschiedenen Partnern ein Zweitmeinungsprojekt in Brandenburg in Planung ist. In diesem sollen drei Patientengruppen hinsichtlich des Nutzens der Doppelbefundung verglichen werden: Patienten ohne Zweitmeinung, Patienten, die eine telekonsiliarische Zweitmeinung wünschen, sowie Patienten, die eine zweite Meinung in der Regelversorgung wünschen. Das Projekt wird extern evaluiert. Die Ergebnisse sollen 2019 vorliegen.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht 

Anzeige