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EBM 2020: Abwertung von Leistungen mit Gesprächen kompensieren

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Plaudern Sie bis zur Plausi-Grenze. Plaudern Sie bis zur Plausi-Grenze. © iStock/jacoblund
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Mehr Gespräche, weniger Medizintechnik, so lautet der implizite Auftrag für die EBM-Reform. Damit Ihr Team diesen Job mindestens genauso neutral erledigen kann, wie die Reform unterm Strich ausfallen sollte, müssen Sie ein paar Abrechnungsfinessen beherrschen.

Mit der EBM-Reform zum April 2020 sollten nach dem Willen des Gesundheitsministers zuwendungsintensive Leistungen besser vergütet werden. Das dafür notwendige Finanzvolumen wollte er aus Abwertungen im medizintechnischen Bereich generieren. Der Bewertungsausschuss hat diese Auflage per Beschluss umgesetzt. Doch nun obliegt es den Praxen, diese zuwendungsintensiven Leistungen auch zu erbringen. Um dabei keine Verluste einzufahren, müssen die Praxen die Abrechnung der erbrachten Leistungen strategisch anpassen.

Neue Grundpauschalen führen erstmal zu Verlusten

Hausärzte starten nämlich mit einer Hypothek in die Reform: Abgewertet wurden die Grundpauschalen nach Nr. 03001 um 11 auf 225 Punkte, nach der Nr. 03002 um 8 auf 142 Punkte, nach der Nr. 03003 um 8 auf 114 Punkte, nach der Nr. 03004 um 9 auf 148 Punkte und nach der Nr. 03005 um 11 auf 200 Punkte. Ebenfalls reduziert wurde bei der Nr. 03040, und zwar um 6 auf 138 Punkte. Unverändert geblieben sind die Chroniker-Zuschläge nach den Nrn. 03220 (130 Punkte), 03221 (40 Punkte) und 03222 (10 Punkte).

Unter Berücksichtigung der Abwertung bei der Grundpauschale nach Nr. 03040 führt das bei einer Praxis mit 1000 Behandlungsfällen zu einem Honorarverlust

  • von 1868 Euro bei der Altersgruppe nach Nr. 03001,
  • von 1538 Euro bei den Altersgruppen nach den Nrn. 03002 und 03003,
  • von 1648 Euro bei der Altersgruppe nach Nr. 03004 und
  • von 1868 Euro bei der Gruppe nach Nr. 03005.

Da in einer hausärztlichen Praxis vor allem Patienten zwischen dem 19. und dem 75. Lebensjahr zu erwarten sind, liegt der durchschnittliche Verlust durch die Abwertung der Grundpauschalen in der Musterpraxis bei 1593 Euro.

In diversen Veröffentlichungen, leider auch vom haus­ärztlichen Berufsverband, wird der Eindruck erweckt, dass der „automatische“ Honorarverlust bei den Grundpauschalen genauso automatisch durch die Höherbewertung der Gesprächsleistung nach Nr. 03230 kompensiert wird. Das ist allerdings nicht so. Im Gegenteil: Wer sich als Hausarzt auf solche Automatismen verlässt, wird nicht zu den Gewinnern der Reform gehören und damit streng genommen auch nicht den gesetzlichen Auftrag erfüllen.

Umverteilt wurde zugunsten des Gesprächs: Die Leistung nach Nr. 03230 ist jetzt mit 128 Punkten um 38 Punkte höher bewertet. Bei einer Auszahlung zum Orientierungspunktwert entspricht das einer Anhebung des Fallwertes um 4,18 Euro oder bei unserer Musterpraxis mit 1000 Fällen einem Umsatzplus von 4175 Euro. Das klingt gut und würde – mit Blick auf die zuvor genannten Verluste – tatsächlich zu einem Mehrumsatz von 2500 Euro führen (können). Leider ist diese Umverteilung aber eine Mogelpackung!

Die Leistung nach Nr. 03230 hat weiterhin ein (internes) Budget. Das wurde zwar von bisher 45 Punkten auf 64 Punkte angehoben, erlaubt aber weiterhin streng genommen nur einen Ansatz bei der Hälfte der Patienten in unserer Musterpraxis, also in 500 Fällen. Das würde zu einem Mehrumsatz von 2088 Euro und damit – bezogen auf den o.g. durchschnittlichen Verlust – zu einem kargen Gewinn von 495 Euro führen. Davon müsste man noch die auch im haus­ärztlichen Medizintechnikbereich beschlossenen Abwertungen abziehen und käme so bestenfalls auf ein Nullsummenergebnis.

Keine Lösung bietet auch der Beschluss des Bewertungsausschusses vom 1. April 2017, mit dem das bis zu diesem Zeitpunkt praktizierte „totale“ Budget beim Ansatz der Nr. 03230 aufgehoben wurde. Seither kann die Nr. 03230 zwar unbegrenzt angesetzt werden, wenn der Inhalt erfüllt wurde. Eine Vergütung zum Orientierungspunktwert ist aber nur im Rahmen des internen Budgets gewährleistet. Mehr Gespräche nach Nr. 03230 werden nur quotiert ausgezahlt und ändern nichts am finanziellen Ergebnis. Im Gegenteil: Man kann in diesem Fall Opfer eines anderen „Budgets“ werden, das den Leistungsumfang eines Hausarztes zeitlich begrenzt.

Gesprächsleistungen und ihre neuen Bewertungen im hausärztlichen Bereich
EBM-Nr.LeistungslegendeEuroMinuten
01100Unvorhergesehene Inanspruchnahme zwischen 19 und 22 Uhr, an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 7 und 19 Uhr21,530
01101Unvorhergesehene Inanspruchnahme zwischen 22 und 7 Uhr, an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 19 und 7 Uhr34,390
01102Inanspruchnahme an Samstagen zwischen 7 und 14 Uhr11,100
01740Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms gemäß Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme12,757
01747Beratung gemäß der Richtlinie des G-BA über das Ultraschallscreening auf Bauchaortenaneurysmen9,014
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, erforderlich aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung14,0610
35100Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände21,2114
35110Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen21,2114
Ein positives finanzielles Ergebnis kann nach der Honorarreform ab April 2020 nur erzielt werden, wenn alle Komponenten – bei gleichzeitiger Beachtung der Plausibilitätszeiten – zum Ansatz kommen.

Ausgleich über die Nr. 03230 funktioniert nur begrenzt

Denn eine Praxis muss bekanntlich mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Zeitvorgaben und einem Honorarregress rechnen, wenn die Addition der den einzelnen Leistungen im Anhang VI.3 zugeordneten Zeiten an mehr als drei Tagen die Grenze von zwölf Stunden und im Quartal von 780 Stunden überschreitet. Um das interne Budget der Nr. 03230 auszuschöpfen, muss man durchschnittlich zwölf Leistungen an einem Tag erbringen. Daraus resultieren zwei Stunden im Tagesprofil. Bei 24 Ansätzen sind es schon vier Stunden, auf die sich andere Leistungen im Tagesprofil aufsummieren. Eine Kollision mit dem zuständigen Prüfgremium der Kassenärztlichen Vereinigung ist dann nicht ausgeschlossen – und das, obgleich man überhaupt kein höheres Honorar erzielt hat.

Augenmerk auf alternative Gesprächsleistungen

Trotz solch ärgerlicher Prüfungen der KVen sollte man sich nicht von seinem Versorgungsauftrag abbringen lassen. Insbesondere dann, wenn es um den Ansatz anderer zuwendungsintensiver Leistungen geht, die entweder aufgewertet wurden oder im Tagesprofil ohne Zeitvorgaben belegt sind. So wurden etwa die psychosomatischen Leistungen nach den Nrn. 35100 und 35110 um 41 auf 193 Punkte (+4,50 Euro) angehoben. Die Plausibilitätszeit sinkt sogar von bisher 16 Minuten auf 14 Minuten. Aufgewertet wurden auch die Aufklärungsgespräche zum Ultraschall-Screening des Bauchaortenaneurysmas um 25 Punkte oder 2,75 Euro und zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms nach Nr. 01740 um 1 Punkt. Beide Leistungen sind zwar nur einmalig berechnungsfähig, werden aber extrabudgetär vergütet. Die Plausibilitätszeiten liegen bei sieben bzw. vier Minuten. Nimmt man nun noch die Gespräche zur Unzeit nach den Nrn. 01100 bis 01102 hinzu, die zwar unverändert vergütet werden, aber keine Plausibilitätszeit haben, wäre zwar die Breite der Gesprächsleistungen, mit denen Hausärzte von der Reform profitieren könnten, bereits erschöpft. Bei Nutzung des kompletten Spektrums – unter Berücksichtigung der Zeitvorgaben und ihrer Auswirkungen – ist allerdings ein positives finanzielles Ergebnis ab April 2020 für die haus­ärztliche Praxis möglich.

Medical-Tribune-Recherche

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