Anzeige

Neue Gender-Regeln: EBM jetzt mit w, m, d, x

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Insbesondere Vorsorgeleistungen sind von den neuen Gender-Regeln im EBM betroffen. Insbesondere Vorsorgeleistungen sind von den neuen Gender-Regeln im EBM betroffen. © Leonid – stock.adobe.com
Anzeige

Ab Oktober 2019 soll auf allen vertragsärztlichen Formularen, auch Überweisungen oder Notfallabrechnungen, neben den Kürzeln w (weiblich) und m (männlich) auch das Kürzel d für divers oder x für unbestimmt eingetragen werden. Damit einher gehen neue Detailvorgaben im EBM und mehr Bürokratie.

Anlass der Formularbestimmung, über die KVen gerade informieren, sind die im Personenstandsgesetz seit dem 18. Dezember 2018 neu formulierten §§ 22 Absatz 3 und 45b. Demnach kann der Personenstand von Neugeborenen außer als „weiblich“, „männlich“ oder „ohne Angabe“ auch mit der Angabe „divers“ ins Geburtsregister eingetragen werden. Ebenfalls können Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung ihren Personenstandseintrag ändern oder streichen lassen.

Deshalb wurde bereits in Nummer 4.2.1 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM die Kennzeichnung „d“ für das diverse Geschlecht auf der elektronischen Gesundheitskarte ergänzt. Dennoch müssen die Niedergelassenen nun noch eine differenzierte Kennzeichnung auf jedem vertragsärztlichen Formular vornehmen. Ursache dafür sind mehrere Beschlüsse des Bewertungsausschusses.

Vorsorge-Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr

Mit der neuen „Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme“ ist seit dem 19. April 2019 festgelegt, dass die Aufklärung zur Darmkrebsvorsorge nach Nr. 01470 EBM bereits ab dem 50. Lebensjahr vorgenommen und berechnet werden kann. Anspruch auf eine Vorsorgekoloskopie haben Männer ab dem 50. Lebensjahr, bei Frauen besteht dieser erst ab dem 55. Lebensjahr.

Bewertungsausschuss zeigt ein ungewohntes Tempo

In einer Fußnote zu diesem Beschluss wurde deshalb eine „Regelung für den Leistungsanspruch bei Versicherten mit Varianten der Geschlechtsentwicklung bei geschlechtsunspezifischem Leis­tungsinhalt, der jedoch mit einem geschlechtsbezogenen Anspruch verbunden ist“ in Aussicht gestellt. Eine Anpassung des EBM wurde für den 30. September 2019 angestrebt.

Allein diese Zeitschiene ist bemerkenswert. Während der Bewertungsausschuss es bisher nicht geschafft hat, die neuen Abrechnungspositionen für die TSVG-Honorare zu kreieren, die ab dem 1. September 2019 berechnet werden können, legt er bei einem eher nebensächlichen Abrechnungs-Sachverhalt ein ungewohntes Tempo vor.

Handlungsbedarf sehen die Kassen- und KV-Vertreter im Ausschuss insbesondere bei der Berechnungsfähigkeit geschlechtsspezifischer EBM-Leistungen ohne geschlechtsorganbezogenen Inhalt, wie dies beim Ultraschallscreening auf Bauch­aortenaneurysmen nach den Nrn. 01747 und 01748 EBM der Fall ist. Diese Leistung kann nur bei Männern ab dem 65. Lebensjahr erbracht und berechnet werden.

Bei Inter- oder Transsexualität soll diese Leis­tung auch dann berechnungsfähig sein, wenn der Eintrag im Personalausweis oder Reisepass nicht der Geschlechtszuordnung der Anspruchsberechtigten in der jeweiligen EBM-Ziffer entspricht. Konkret bedeutet dies, dass ein transsexueller Versicherter mit der personenstandsrechtlichen Zuordnung zum weiblichen Geschlecht ein Anrecht auf ein Bauch­aortenscreening oder eine Darmkrebsvorsorge-Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr geltend machen kann, wenn ein männlicher geschlechtsorganbezogener Befund, wie das Vorhandensein von Testes und/oder einer Prostata, vorliegt.

Bei einer notwendigen Harnröhren- und Blasenspiegelung wird der Ausschuss noch konkreter: Bei überwiegend interner Lage der Urethra und einer Urethralänge von bis zu 8 cm können laut Beschluss nur die Nrn. 08311 oder 26311 EBM (Urethro(-zysto)skopie der Frau) berechnet werden, bei einer Urethralänge von mehr als 8 cm und/oder nicht überwiegend interner Lage der Urethra ist dagegen die Nr. 26310 anzusetzen (Urethro(-zysto)skopie des Mannes).

Wer bezahlt die Voruntersuchungen?

Abgesehen von der bürokratischen Mehrbelastung bei den Formularen wurde im Bewertungsausschuss zudem übersehen, dass bei solchen Untersuchungen Voruntersuchungen notwendig sind, die zu der geforderten organbezogenen Geschlechtszuordnung führen. Diese Leistungen müssen anscheinend gratis erbracht werden.

Damit nicht genug: Voraussetzung für die organbezogene Berechnungsfähigkeit geschlechtsspezifischer EBM-Leistungen ist eine medizinische Begründung samt Angabe des ICD-10-Kodes für Intersexualität (Q56) oder Transsexualität (F64.0).

Die in der Praxis zu erwartende Zahl derartiger Versicherter dürfte allerdings gering sein. Laut Bundesamt für Justiz gibt es in Deutschland rund 18 000 trans- oder intersexuelle Menschen. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität geht von 20 000 bis 80 000 Menschen aus. Da stellt sich schon die Frage, ob die Mitglieder des Bewertungsausschusses nichts Wichtigeres zu tun haben, als sich mit solchen Abrechnungs-Spitzfindigkeiten zu beschäftigen.

Medical-Tribune-Bericht

Anzeige