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Gemeinschaftspraxis: Welche Risiken drohen durch Abfindungsregeln bei Ausstieg?

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Es ist ratsam, die bestehenden Abfindungsregeln einem Stresstest zu unterziehen, bevor der Ernstfall eintritt. Es ist ratsam, die bestehenden Abfindungsregeln einem Stresstest zu unterziehen, bevor der Ernstfall eintritt.
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Bei der Gründung einer Gemeinschaftspraxis versucht man, zukunftsfeste Regelungen zu treffen – auch für den Fall des Ausstiegs eines Partners aus dem Unternehmen. Doch hier lauern konfliktreiche Fußangeln, wie der Wiesbadener Rechtsanwalt Dirk R. Hartmann aufzeigt.

Die Mehrzahl der ärztlichen Praxen wird heute als Berufsausübungsgemeinschaft oder Medizinisches Versorgungszentrum geführt. Dabei steht hinter jeder BAG und jedem MVZ eine Trägergesellschaft. Das kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) sein oder eine Partnerschaftsgesellschaft. Oder – seltener – eine Kapitalgesellschaft, die dann etwa als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder als eingetragene Genossenschaft (e.G.) auftritt. Allen Trägergesellschaften liegt ein Gesellschaftsvertrag zugrunde.

Durch Kündigung, Erreichen einer bestimmten Altersgrenze oder durch Tod scheidet ein Gesellschafter aus. Damit wird ein Anspruch auf Abfindung in Relation zu seinem Gesellschaftsanteil fällig. Der Ausscheidende bzw. dessen Erben haben dabei natürlich ein Interesse an einer hohen Abfindung möglichst bald nach dem Ausscheiden, für den verbleibenden Arzt ist dagegen eine niedrige Abfindung in möglichst langjährigen Raten attraktiv.

Deswegen finden sich in Gesellschaftsverträgen von BAG oder MVZ häufig Regelungen zur Bemessung der Abfindung, und damit verbunden zum Praxis-Bewertungsverfahren. Kritisch kann es werden, erklärt Rechtsanwalt Dirk R. Hartmann, wenn diese Regelungen unwirksam sind. Denn dann finden die gesetzlichen Regelungen Anwendung. In diesem Sachverhalt steckt allerdings Sprengstoff.

Ein Beispiel: Eine BAG in einer Kleinstadt am Rand des Ruhrgebietes. Hausarzt A ist 15 Jahre älter als sein Kollege B und möchte aussteigen. Beide sind mit Gesellschaftsanteilen von 50 % beteiligt. Im Gesellschaftsvertrag ist geregelt, dass sich die Abfindung auf der Grundlage der Buchwerte der Praxis berechnet. Anfangs entsprachen die Buchwerte noch den Anschaffungskosten, die A und B seinerzeit aufgewandt haben. In unserem vereinfachten Beispiel 300 000 Euro.

Das Problem: Die Praxis kann diese Werte jährlich steuerlich abschreiben, sodass die anfangs hohen Buchwerte (da später keine Anschaffungen mehr dazugekommen sind) jährlich sinken, obwohl der tatsächliche Praxiswert umgekehrt gestiegen ist. Bei anfänglichen Buchwerten mit 300 000 Euro und einer angenommenen jährlichen Abschreibung von 10 % über zehn Jahre würde nach zehn Jahren ein Buchwert von einem Euro festgestellt.

Die Buchwertklausel im Gesellschaftsvertrag kann also dazu führen, dass der Buchwert der Praxis jährlich sinkt, während ihr tatsächlicher Wert aber steigt. In unserem Beispiel würde der aussteigende Arzt eine Abfindung in Höhe von 0,50 Euro erhalten!

Eine Abfindungsregel kann sogar sittenwidrig sein

Das findet auch das Gesetz sittenwidrig. Genauer gesagt: Klauseln in Gesellschaftsverträgen gelten als sittenwidrig, wenn sie einen Gesellschafter sozusagen zwingen, in der Gesellschaft zu verbleiben, weil er sich den Ausstieg nicht leisten kann. Und das Gesetz bietet auch eine Faustformel, wann das der Fall ist: wenn der berechnete Wert des Unternehmens unter die Hälfte des Verkehrswertes des Unternehmens rutscht. Dann verliert die entsprechende Klausel ihre Wirksamkeit.

Klauseln, die die Berechnung des Praxiswertes nach der Ärztekammer-Methode oder dem modifizierten Ertragswertverfahren vorsehen, bringen weniger rechtliche Risiken mit sich. Sie führen nicht zu einem Abfallen der Werte. Aber auch bei diesen Regelungen kann eine Prüfung alter Verträge vor dem Hintergrund neuer Konstellationen sinnvoll sein. Denn auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Die Klausel führt nicht zu einem extrem niedrigen, sondern zu einem sittenwidrig hohen Praxiswert.

Verkehrswert orientiert sich an fiktivem Käufer

Die gesetzlichen Regelungen, die im Zweifel zum Tragen kommen, sehen vor, dass eine Abfindung nach dem „wahren Wert“ der Praxis zu bemessen ist. Der wiederum bestimmt sich nach dem Verkehrswert, der sich daran orientiert, was ein fiktiver Käufer für die Praxis bezahlen würde. Der Wert wird im Streitfall von einem Sachverständigen ermittelt. Dafür bedient sich auch dieser einer Bewertungsmethode. Die Rechtsprechung hält das modifizierte Ertragswertverfahren für sachgerecht, hat aber gegen die Anwendung anderer Bewertungsmethoden keine Einwände.

Für unseren Beispielsfall heißt das also: Dem aussteigenden Arzt B steht eine Abfindung nach den gesetzlichen Regeln zu. Das ist gut für ihn. Der verbleibende Arzt B hat damit jedoch nicht gerechnet und kann sogar in seiner Existenz bedroht sein.

Medizin- und Gesellschaftsrechtler Hartmann rät Ärzten deswegen, frühzeitig ihre Verträge zu prüfen, ob darin Klauseln zur Abfindung enthalten sind. Es sei für alle Beteilig­ten von Vorteil, die Regelung einem Stresstest zu unterziehen, um einmal den rechtlichen Bestand zu klären und um zu ermitteln, welche wirtschaftlichen Folgen sie hat.

In manchen Fällen könne es auch sinnvoll sein, eine neue Regelung zu erarbeiten, um die Interessen des Ausscheidenden und des Verbleibenden auszugleichen. So könnten etwa Ab- oder Zuschläge vereinbart werden, abhängig davon, ob ein Nachfolger gefunden wird. Oder es könnte eine Ratenzahlung aufgenommen werden, die bis zu einer Dauer von fünf Jahren rechtlich zulässig ist.

Die Schwierigkeit für Ärzte, ihre kommende finanzielle Situation richtig einschätzen zu können, verschärft sich dadurch, dass bei der Bemessung des Praxiswertes keine mathematische Formel zur Anwendung kommt. Die gegebenenfalls gerichtlich bestellten Sachverständigen arbeiten nach eigenem Ermessen. Zwei Sachverständige können also durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ohne dass einer von ihnen falsch liege.

Es könnten auch zwei vergleichbare Praxen, die eine in der Eifel, die andere in München, gleich bewertet werden – auch wenn sich ihre realen Verkaufsmöglichkeiten enorm voneinander unterscheiden. Diese müssen hier nämlich nur bedingt berücksichtigt werden. Und auch die Problematik, ob überhaupt ein Nachfolger gefunden wird, fließt dabei nicht oder nur zum Teil ein.

Und wenn die Abfindungsregel in Kombination mit Nachfolger-Mangel dazu führt, dass der Zurückbleibende die Abfindung gar nicht erwirtschaften kann? Viele BAG wurden gegründet, als niemand ahnte, dass es mal schwierig sein könnte, einen Arzt als Partner oder auch nur in Anstellung gewinnen zu können.

Die vielen offenen Fragen provozieren Konflikte

Das vorläufige Fazit von Rechtsanwalt Hartmann: Auch wenn Gesetz und Rechtsprechung Leitplanken vorgeben, bergen die Fragen im Zusammenhang mit Abfindungsregelungen, den entsprechenden Klauseln in Gesellschaftsverträgen und den Praxis-Bewertungsverfahren mehrere Unbekannte. In welchen Grenzen darf sich z.B. eine Abfindungsklausel zum Vor- oder Nachteil einer der Gesellschafter bewegen, bis sie als sittenwidrig gilt? Wie damit umgehen, wenn die Klausel zwar eigentlich nicht sittenwidrig ist, aber doch den Verbleibenden an existenzielle Grenzen stößt?

Sicher ist, die Fragestellungen hierzu sind sehr individuell. Hartmann rechnet mit vermehrten Konflikten in den nächsten Jahren. Umso wichtiger, dass Ärzte, die hiervon betroffen sein könnten, sich frühzeitig mit ihrer individuellen Konstellation vertraut machen.

Medical-Tribune-Bericht

Dirk R. Hartmann: Rechtsanwalt, Fach­anwalt für Medizin­recht, Mediator Wiesbaden

Dirk R. Hartmann: Rechtsanwalt, Fach­anwalt für Medizin­recht, Mediator Wiesbaden © Tanja Nitzke
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