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Primärversorgungszentren Praxen werden HÄPPI

Niederlassung und Kooperation Autor:  Michael Reischmann

Auch in den nächsten Jahren werden Hausarztpraxen ohne Nachfolger schließen. Wie lässt sich dann die Primärversorgung aufrechterhalten? Auch in den nächsten Jahren werden Hausarztpraxen ohne Nachfolger schließen. Wie lässt sich dann die Primärversorgung aufrechterhalten? © New Africa - stock.adobe.com
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Auch in den nächsten Jahren werden Hausarztpraxen ohne Nachfolger schließen. Wie lässt sich dann die Primärversorgung aufrechterhalten? Mit interprofessioneller Zusammenarbeit, lautet die Antwort des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Ein Konzept dafür liegt vor. Teile davon sind heute schon umsetzbar, Wichtiges bleibt noch zu regeln.

Zusammen mit der Universität Heidelberg hat der HÄV das Versorgungskonzept „Haus­ärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, kurz HÄPPI, entwickelt. Es ist über die HÄV-Homepage abrufbar. Dort heißt es auch: Der HÄV Baden-Württemberg plant die Pilotierung von ers­ten HÄPPI 2024 – wissenschaftlich begleitet von einem externen Institut. Hierüber spricht man mit „innovativen Krankenkassen“, die gewillt sind, das finanziell zu unterstützen. 

„Einige Elemente des HÄPPI-Konzepts können bereits heute umgesetzt werden“, erklärt HÄV-Pressesprecher Vincent Jörres. Daher könne dieses auf funktionierenden Strukturen aufbauen. „Es wird nicht die eine HÄPPI-Praxis geben, sondern unterschiedliche Auslegungen. Die Kerngedanken dabei sind immer die Versorgung im Team, mehr haus­ärztliche Steuerung und effizientes Praxismanagement.“ Im Folgenden einige Inhalte dazu.

Kooperation

Die HÄPPI-Gründung erfolgt durch mindestens eine Hausärztin oder einen Hausarzt, die/der als „hausärztliche Direktion“ agiert. Diese kann allerdings Leitung und Koordination an geeignete Teammitglieder übertragen. Zum „Kernteam“ gehört „zusätzlich mindestens eine Person eines nicht-ärztlichen, akademischen Gesundheitsberufs (z.B. akademisierte VERAH® oder Physician Assistant)“. Ergänzend kann u.a. eine Praxismanagerin, ein Praxismanager hinzukommen.

Für die interprofessionelle Kooperation werden beispielhaft Kommunen, Gesundheitskioske, Apotheken, Therapieberufe, Sozialarbeiter und Fachärzte, etwa Psychiater, genannt. Kernteam und Kooperationspartner besuchen gemeinsame Qualitätszirkel, bei denen aktuelle Themen besprochen und Best Practices herausgearbeitet werden. Das HÄPPI-Team hält ebenfalls regelmäßige Treffen und Fallbesprechungen ab.

Mit Arbeitsabläufen, die auf Digitalisierung und Delegation basieren, will man die Versorgung effizienter machen. Als Beispiel werden automatisierte Terminvereinbarungen erwähnt. Das qualifizierte Personal fungiert als vorsortierende Instanz fürs ärztliche Konsil. Beispielsweise benötige ein über das DMP gut eingestellter Diabetiker oder eine Patientin mit einer Bagatellerkrankung keine persönliche ärztliche Sichtung, sofern das zuständige nicht-ärztliche Teammitglied über die Fähigkeiten und Kenntnisse zur Einordnung des Sachverhalts verfüge, heißt es.
In dem Konzept werden neun Praxis-Tätigkeitsbereiche betrachtet (Labor, Hausbesuch, Schulungen/Beratungen, Formularwesen usw.) und für jeden aufgeführt, welches Teammitglied für welche Tätigkeit qualifiziert oder bevorzugt in Betracht kommt (s. Tabelle).

Sogar an künstliche Intelligenz als „digitales Teammitglied“ wird gedacht. Tools für Abrechnung, Anamneseerhebung und Ersteinschätzung, Sprachtranskription, Diagnostik, Termin- sowie Qualitätsmanagement gebe es schon.

Zukunftsimpulse des HÄPPI

  • Berücksichtigung von Patient-Reported-Outcomes
  • Interprofessionelle hausärztliche Teamstruktur mit nicht-ärztlichen, akademischen Gesundheitsberufen und internen Regelungen zur Zusammenarbeit
  • Integration digitaler Konzepte, hybrider Versorgungsmodelle
  • Kooperation mit weiteren Akteuren im Gesundheitswesen auf Basis verbindlicher Regeln

Patient-Reported-Outcomes

Mit (digitalen) Fragebogen oder Interviews werden von Patienten z.B. Auskünfte zur Schmerzintensität, körperlichen Funktionsfähigkeit, emotionalen  Gesundheit, sozialen Teilhabe und allgemeinen Lebensqualität (sog. PROs) eingeholt, um die Auswirkungen von Krankheiten und medizinischen Interventionen auf das Wohlbefinden des Patienten besser zu verstehen. Das soll ein externes wissenschaftliches Institut übernehmen; es leitet die Ergebnisse der Befragung ans Praxisteam weiter.

Beispiele für Mitwirkung im Formularwesen
  Servicekraft MFA VERAH® akademisierter Gesundheitsberuf
(z.B. PA, akademisierte VERAH® )
akademisierter Gesundheitsberuf
(z.B. PA, akademisierte VERAH® )
AU-Bescheinigung 0 (x) 1 1 x
Erstrezept Heil- und Hilfsmittel 0 0 0 (1) 1
Folgerezept Heil- und Hilfsmittel 1 1 x x x
Befüllen von Medikamentenplänen 0 (x) x 1 1
Folgerezepte für Dauermedikation 1 x x x x

0 = keine Delegation möglich, x = qualifiziert, (x) = eingeschränkt qualifiziert, 1 = bevorzugte Ausübung

Quelle: HÄV, Konzeptpapier HÄPPI

Vergütung und Finanzierung

Die Vergütungsmodalitäten „sollten nicht an die Quantität von Leistungen geknüpft werden, sondern das Patientenwohl in den Mittelpunkt stellen“, heißt es vage. Die Finanzierungsberechnung für ein HÄPPI erfordere eine detaillierte Analyse von Kostenpositionen. Mit ersten Kassen werde über eine „monetäre Unterstützung“ innerhalb der HZV gesprochen. Daneben könnten weitere Kostenträger eingebunden werden.

Um die Delegation zu erleichtern, ist nach Ansicht des HÄV eine Neudefinition des Arzt-Patienten-Kontakts, wie er im EBM hinterlegt ist, notwendig. Der HÄV will hin zum Praxis-Patienten-Kontakt. Hierzu sei man schon länger im Gespräch mit Selbstverwaltung und Politik, teilt Pressesprecher Jörres mit. Wobei ein Praxiskontakt künftig auch ein Patienten-KI-Kontakt sein könnte. Das Konzeptpapier geht ausführlich auf die Digitalisierungspotenziale des Terminmanagements und des Praxis-Check-in bzw. -Check-out der Patienten ein. 

Damit das HÄPPI über das Pilotstadium hinauskommt, bedarf es neben der Regelung der Finanzen auch rechtlicher Bestimmungen. Der HÄV möchte die „Regelungen zur eingeschränkten Delegation des Bundesmantelvertrages der Anlagen 8 und 24“ durch eine Delegationsrahmenvereinbarung ersetzen.

Darin steht u.a.: Zur ärztlichen Arbeit gehört auch die Hilfeleistung durch nicht-ärztliches Personal, die vom Hausarzt oder ärztlichen Personal angeordnet und zu verantworten ist. Als nicht-ärztlich delegationsfähige Leistung wird alles angesehen, was nicht explizit durch einen Arztvorbehalt (höchstpersönliches Erbringen aufgrund der erforderlichen besonderen Fachkenntnisse) ausgenommen ist. „Wir erwarten von der Politik, dass sie uns auf unserem Weg, Delegation unter dem Dach der Hausarztpraxis neu zu denken und zu leben, unterstützt“, so die Co-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth.

Zudem darf man gespannt sein, wer letztlich für die Kernteams bereitsteht. Derzeit sind hierzulande etwa 3.000 Menschen in ein Physician-Assistant-Studium eingeschrieben. Die Gesamtzahl der PA-Abschlüsse betrug im Studienjahr 2021/22 rund 1.400. Und der vom HÄV unterstützte berufsbegleitende Bachelor-Studien­gang zur akademisierten VERAH ist noch jung. 2025 wird mit den ersten rund 100 Absolventinnen und Absolventen gerechnet.
Der Druck, solche Personen in die Hausarztpraxen zu holen, ist allerdings hoch. Nachfolgermangel, die demografische Entwicklung, Ambulantisierung und eine Work-Life-Balance, die zu mehr Anstellungen statt ärztlichem Unternehmertum führt, verschärfen das Kapazitätsproblem. Der Co-Bundesvorsitzende des HÄV Dr. Markus Beier verspricht: „Für Praxen, die stärker im Team arbeiten wollen, gibt es mit HÄPPI nun ein Konzept, um ihnen deutlich Druck von den Schultern zu nehmen.“

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