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Practica-Fortbildungskongress Wir können das besser!

Niederlassung und Kooperation Autor: Dr. Ingolf Dürr

Beim Berufspolitischen Oktoberfest im Hotel an der Therme in Bad Orb zeigte sich der Bundesvorstand des HHÄV kämpferisch und stellte ein richtungsweisendes Konzept für eine zukünftige Hausarztmedizin vor. Beim Berufspolitischen Oktoberfest im Hotel an der Therme in Bad Orb zeigte sich der Bundesvorstand des HHÄV kämpferisch und stellte ein richtungsweisendes Konzept für eine zukünftige Hausarztmedizin vor. © Ingolf Dürr
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Derzeit ist die Laune in der Ärzteschaft nicht gerade gut. Doch beim Berufspolitischen Oktoberfest anlässlich des Practica-Fortbildungskongresses in Bad Orb herrschte eher eine aufgeräumte Stimmung. Vielleicht lag das auch daran, dass der Berufsverband mit einem Konzept zur Verbesserung der ambulanten Versorgung Optimismus verbreitete.

Wenn die Blätter fallen und Nebel durch die Wälder zieht, dann fällt das kleine Kurstädtchen Bad Orb allmählich in den Winterschlaf. Wachgehalten wird es davor für eine knappe Woche nur noch durch die Practica, Deutschlands größtem Fortbildungskongress für Hausärztinnen und Hausärzte sowie ihre Praxisteams. Mehr als 1.000 von ihnen sorgen dann in dem Spessartstädtchen noch einmal für etwas mehr Leben.

Traditionell gehört zur Practica auch der Berufspolitische Abend, zu dem der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HHÄV) in Form eines zünftigen bayerischen Oktoberfests einlädt. Bei Weißwurst, Obazda, Brezeln und Bier stellt sich dann der HHÄV-Bundesvorstand den Fragen seiner Basis.

Und die waren in diesem Jahr zahlreich, denn die Herausforderungen für die Hausarztmedizin sind mannigfaltig und graben vielen Niedergelassenen die Sorgenfalten in die Stirn. Kurz zusammenfassen lässt sich das so: Es fehlt den Hausärzten an Zeit und Geld. Aber diesen Herausforderungen werde man sich stellen und versuchen sie zu lösen, versprach Dr. Christian Sommerbrodt, der Vorsitzende des veranstaltenden Hessischen Hausärzteverbands, gleich zu Beginn. Und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, eine der beiden Bundesvorsitzenden des HHÄV, ergänzte, man werde bei der Bundes­politik mit den hausärztlichen Anliegen durchdringen, denn die ambulante Versorgung fuße eben maßgeblich auf der Hausarztmedizin.

Entbudgetierung könnte bald in Gesetzentwurf auftauchen

Gleich zu Beginn sorgte aber erst einmal ein junger PJler für Heiterkeit im überfüllten, weiß-blau dekorierten Saal. Denn er gab bekannt, dass er gerne in die Allgemeinmedizin gehen und die Gelegenheit an diesem Abend nutzen wolle, eine Stelle angeboten zu bekommen – gerne auch auf dem Land. Danach konnte er sich unter dem Jubel des gesamten Saals kaum noch vor Angeboten retten.

Doch rasch wurde es wieder ernster, als nach dem Stand der Entbudgetierung des hausärztlichen Bereichs gefragt wurde. Dr. Marcus Beier, der weitere gleichberechtigte Bundesvorsitzende des HHÄV, erklärte dazu, dass man immer noch auf die Umsetzung der von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach mehrfach angekündig­ten Entbudgetierung warte. Möglicherweise komme die mit einem der geplanten neuen Versorgungsgesetze in den nächsten Wochen.

Wenn das nicht passiere, dann bestehe die reale Gefahr, dass Haus­ärzte vor allem in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin ihre Pforten schließen müssen, da dort die Honorarsituation extrem angespannt sei. Doch gleichzeitig müsse man beachten, dass die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen ein äußerst komplexes Unterfangen sei, denn man habe es mit einer komplizierten Honorarsystematik zu tun. So könnte nach aktuellem Stand eine Entbudgetierung und damit eine Abschaffung der MGV – was die Anpassung einer Vielzahl von Regelungs- und Fördermechanismen mit hoher Relevanz für die hausärztliche Versorgung zur Folge hätte – dazu führen, dass manche Kollegen in anderen Regionen als Hamburg oder Berlin sogar schlechter gestellt würden. Das müsse man unbedingt verhindern.

Genau deshalb habe man den Bundesgesundheitsminister aufgefordert, einen Krisengipfel einzuberufen, bevor sich die Lage in den Hausarztpraxen in diesem Winter noch weiter verschlechtert. Es brauche einen koordinierten und nachhaltigen Plan, wie die hausärztliche Versorgung stabilisiert werden kann, bevor es zu spät ist und die Menschen ohne wohnortnahe, haus­ärztliche Versorgung dastehen, forderte Prof. Buhlinger-Göpfarth.

Weitere Parallelstrukturen werden nicht gebraucht

Diese Themen müssen sehr zeitnah an einem Runden Tisch besprochen, beschlossen sowie umgesetzt werden, so die HHÄV-Bundesvorsitzenden. Um seinen Forderungen bei der Politik mehr Gehör zu verschaffen, plane der Verband demnächst eine eigene Protestkampagne mit Wartezimmeraktionen und digitalen Aktivitäten, kündigte Dr. Beier an.

Ein anwesender Hausarzt fragte, ob sein Eindruck richtig sei, dass es von der Politik durch den Aufbau von Parallelstrukturen, wie z.B. Apotheker, die impfen, Gesundheitslotsen oder Gesundheitskioske, die Patienten beraten sollen, beabsichtigt werde, die ärztliche Führungsrolle zu sabotieren und Hausärzte mehr und mehr zu substituieren. Prof. Buhlinger-Göpfarth antwortete darauf mit einem Zitat des ehemaligen Bundesvorsitzenden Ulrich Weigeldt: „Man muss nicht gleich Verschwörung annehmen, wenn Dummheit als Grund ausreicht.“ 

Tatsächlich würden solche Pa­rallelstrukturen die Hausarztpraxen nicht entlasten, sondern vielmehr oft zu noch höherem Koordinationsaufwand für die Hausärzte führen, wenn sie z.B. mit Patienten über unsinnige Ratschläge Dritter diskutieren müssten. Für Prof. Buhlinger-Göpfarth ist aber klar, dass Hausärzte nicht so leicht zu substituieren sind. Die Versorgung werde künftig eine Teamleistung sein. Und man wolle ja delegieren und auch substituieren. Aber solange Hausärzte die Verantwortung für die Patientenversorgung tragen, müsse die primärärztliche Leitung bei den Hausärzten liegen.

Dafür habe man in Baden-Würt­temberg ein „schlaues“ Konzept entwickelt, mit dem die Praxen entlastet werden könnten. Statt zusätzlicher Schnittstellen, die zur Zersplitterung der Versorgung beitragen und finanzielle Ressourcen verschwenden, schlägt der Verband das Konzept „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung interprofessionell“ (HÄPPI) vor.

HÄPPI sei ein zukunftsorientiertes Versorgungsangebot, das sich durch die kontinuierliche und versorgungssteuernde hausärztliche Koordination der umfassenden Grundversorgung auszeichne. HÄPPI stehe für eine interprofessionelle Versorgung in der Teampraxis mit einer Patientenzentrierung über digitale Rückmeldungen von Patienten zu durchgeführten Therapien. In HÄPPI würden digitale und analoge Vorortleistungen verknüpft. Behandlungsteams würden entlastet, die Qualität der medizinischen Betreuung werde verbessert. 

HÄPPI sorgt für deutlich bessere Laune

Und: HÄPPI sei Steuerung und Gatekeeping durch Vernetzung, nicht durch Zersplitterung der Versorgung. Bei HÄPPI müsse nicht alles immer über den Hausarzt laufen, es werde neue Workflows mit Delegation von Aufgaben geben. Aber: Bei HÄPPI bleibe der Hausarzt der zentrale Koordinator und eben nicht die Community Health Nurse, so Prof. Buhlinger-Göpfarth.

In den Gesprächen, die man mit der Politik und den Krankenkassen geführt habe, hätten sich diese aufgeschlossen gezeigt, das HÄPPI-Konzept zu unterstützen. Im Jahr 2024 wolle man deshalb zumindest in Baden-Württemberg mit HÄPPI starten. Mit HÄPPI könne man auch Investoren etwas entgegensetzen, die zunehmend auch in die Primärversorgung drängen wollten. Denn „Wir können das besser“, war sich der Bundesvorstand des HHÄV sicher. Vielleicht lag es nicht nur am HÄPPI-Konzept, sondern auch an der Bierzeltatmosphäre, dass bei allem Frust und Ärger, die Stimmung unter den Hausärzten in Bad Orb am Ende etwas optimistischer ausfiel. Man zeigte sich jedenfalls kämpferisch. 

Weißwurst, Obazda, Brezeln und Bier sind Bestandteil des bayerischen Oktoberfests. Weißwurst, Obazda, Brezeln und Bier sind Bestandteil des bayerischen Oktoberfests. © Ingolf Dürr
Eindrücke vom Vorstandstisch. Eindrücke vom Vorstandstisch. © Ingolf Dürr
Der Saal als Ort des Geschehens. Der Saal als Ort des Geschehens. © Ingolf Dürr
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