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Junge Ärzte anlocken Lukrativ arbeiten und schöner wohnen

Niederlassung und Kooperation Autor: Angela Monecke

Die Nachfolge in den Arztpraxen ist nicht nur ein Problem der Stadt Ahlen. Die Nachfolge in den Arztpraxen ist nicht nur ein Problem der Stadt Ahlen. © hkama – stock.adobe.com
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Der Hausarztschwund macht sich auf dem Land wie in der Großstadt bemerkbar. Was kann eine Kommune tun, die mit Nachbarn konkurrieren muss, welche in puncto Förderung oder Lebensqualität bessere Karten haben? Das IGES-Institut zeigt Optionen am Beispiel der westfälischen Stadt Ahlen auf. Die Hoffnungen ruhen allerdings auf der KV.

Ahlen im Münsterland hat ungefähr 53.000 Einwohner. Derzeit sind dort etwa zwölf Hausarztsitze unbesetzt. Schon im März 2022 war jeder zweite der 26 ansässigen Hausärzte 60 Jahre alt oder älter und blickte in Richtung Ruhestand. In den vergangenen Jahren wurden mehrere größere Hausarztpraxen wegen Nachfolgermangels geschlossen, stellt das Berliner IGES-Institut fest. Es wurde von der Stadt mit einer Bestandsanalyse und der Planung kommunaler Maßnahmen beauftragt. Das Gutachten von 2022 ist online verfügbar*.

Gründe, warum junge ­Hausärzte um die Stadt einen Bogen machen, könnten sozioökonomischer Natur sein: eine überdurchschnittlich hohe (Langzeit-)Arbeitslosigkeit, ein besonders hoher Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund (Verdoppelung seit 2011), ein etwas größerer Anteil älterer Einwohner als in NRW. Selbst die Hausärzte vor Ort bemängeln fehlende kulturelle und familienfreundliche Angebote. Die Innenstadt biete nur wenige Einkaufsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass im attraktiveren Raum Münster ebenfalls freie hausärztliche Sitze verfügbar sind. Und: Das Fördergebiet der KVWL schließt nicht nur Ahlen aus, sondern beginnt auch noch in Gemeinden benachbarter Regierungsbezirke, notiert das IGES.

Die befragten Hausärzte wiesen aber auch darauf hin, dass aus finanzieller Sicht die ambulante Arbeit in Ahlen durchaus attraktiv sei. Die meisten Praxen hätten eine überdurchschnittlich hohe Scheinzahl.

Für die Palliativversorgung müssen Ärzte vor Ort sein

Sie sprachen zudem von Kollegen mit Wohnsitz in Münster, die in der Region Ahlen praktizieren. Allerdings müsse es für Hausbesuche und Patienten mit palliativmedizinischem Versorgungsbedarf auch Ärzte geben, die sehr nah am Praxisstandort wohnen. Dass sie sich für Ahlen entschieden hätten, habe daran gelegen, dass sie entweder in der Region aufgewachsen waren oder es damals kaum Alternativen mit freien, bezahlbaren Sitzen gab. Diese Situation hat sich geändert.

Die befragten Hausärzte äußerten sich zudem zu möglichen Kooperationsmodellen, die sich das IGES für Ahlen dann genauer anschaute:

  • Zwei Hausärzte könnten z.B. in einer Gemeinschaftspraxis ein „Job-Sharing“ praktizieren. Der Standort habe hinreichendes Potenzial, sodass sich die Arbeitsteilung für beide rentieren würde.
  • Ein von der Stadt gegründetes und betriebenes MVZ könne funktionieren, wenn die Mediziner dort größtenteils von Verwaltungsaufgaben entbunden würden. Allerdings gebe es bei angestellten Ärzten in MVZ oft eine hohe Fluktuation, was nicht der langfristigen Arzt-Patienten-Beziehung diene. Bei einem privaten MVZ kam es zur Abwanderung der Hausärzte ohne Nachbesetzung.

Die „am meisten zu empfehlende Handlungsoption“ sehen die Gutachter im Bewerben eines Ansatzes, bei dem Wohn- und Arbeitsort auseinanderfallen: lukrativer Praxisstandort in Kombination mit einem (anderen) attraktiven Wohnort. Das sei von keiner speziellen Praxisform abhängig. So lasse sich z.B. für „Job-Sharing-Partnerschaft“ in einer Berufsausübungsgemeinschaft werben. Diese sei für individuelle Arbeitszeitmodelle gleichberechtigter Partner besonders geeignet. 

Unterstützen könne die Stadt das durch „Kontaktaufnahme zum ärztlichen Nachwuchs über akademische Netzwerke bzw. Partnerschaften“. Interessenten ließe sich Hilfe bei der Suche eines Praxisstandortes und einer Wohnimmobilie anbieten.

Dagegen sei die Gründung und der Betrieb eines MVZ durch die Kommune mit vielen Unwägbarkeiten verbunden und nur eine Ultima Ratio. Das IGES verweist u.a. auf sozial- und kommunalrechtliche Voraussetzungen, die einzuhalten sind, auf wirtschaftliche Risiken, die ungewisse Zustimmung des Zulassungsausschusses und die Begleitung des Gründungsprozesses durch Rechtanwälte, Steuer- und Finanzberater. Bundesweit hätten schätzungsweise nur zwei Dutzend Kommunen diesen Weg gewählt.

Auch die im Gutachten geschilderten Maßnahmen anderer Regio­nen seien überwiegend nicht direkt anwendbar, sondern eher als Orientierung geeignet. Mobilitätsangebote wie Patientenbusse seien keine passende Lösung. Die naheliegendste Option – Fördermaßnahmen von KV und Land – schlossen die Gutachter aus, weil Ahlen nicht im Förderverzeichnis der KV aufgeführt war und die Kriterien der Landesförderung zum Teil nicht erfüllte. Denn trotz des hohen Anteils alter Hausärzte und der Zunahme nicht- nachbesetzbarer Sitze, galt die Stadt zum Zeitpunkt des Gutachtens weder als hausärztlich unterversorgt noch von Unterversorgung bedroht.

Veränderte Sachlage muss neu bewertet werden 

Der IGES-Bericht ist fast ein Jahr alt. Welchen Empfehlungen ist die Stadt gefolgt? „Grundsätzlich sind die Handlungsmöglichkeiten einer Kommune begrenzt“, antwortet ein Sprecher auf MT-Anfrage. „Zudem ist die Sicherung der hausärztlichen Versorgung Aufgabe der Kassenärzt­lichen Vereinigungen. Seit Juni 2023 befindet sich die Stadt Ahlen im Förderverzeichnis der KVWL. Hierdurch ergibt sich eine veränderte Sachlage, die nun neu betrachtet und bewertet werden muss.“ 

Die Stadt spreche mit der KV, dem Gesundheitsamt des Kreises und den Hausärzten darüber, „ob und welche Ergebnisse aus dem Gutachten zielführend sein können“. Der IGES-Vorschlag, Ansätze zu forcieren, die im hausärztlichen Bereich Arbeitsplatz und Wohnort trennen, könne „eine – unter mehreren – sinnvolle Option sein“.

Ein im Gutachten genanntes Handicap der Stadt ist mit der Aufnahme ins Förderverzeichnis der KV also beseitigt. Die Körperschaft spricht hier von einem Frühwarnsystem. Das Verzeichnis zeige an, in welchen Kommunen es in naher Zukunft Probleme bei der ärztlichen Versorgung geben könne, etwa bei Altersstruktur und Versorgungsgrad. Ärzte, die sich in diesen Städten und Gemeinden niederlassen wollen, können vorab beim KV-Vorstand einen Antrag auf besondere Unterstützung stellen. Hierzu zählt etwa ein Darlehen für Praxisaufbau oder -übernahme, das später nur zu einem geringen Teil zurückzuzahlen ist. Der geförderte Arzt muss dafür mindestens drei Jahre tätig sein. 

Bestimmte Kosten wie für die Praxiseinrichtung werden ebenfalls übernommen, zudem Umsatzgarantien gewährt. Dass Ahlen im Förderverzeichnis geführt wird, zeige bereits Wirkung, so die KV: Erste Anträge seien bereits gestellt und bewilligt. Weiter ins Detail will sie „aus Datenschutzgründen“ nicht gehen.

* IGES-Gutachten online: t1p.de/iskdg

Quelle: Medical Tribune Beitrag

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