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COVID-19 Anerkennung als Berufskrankheit dauert

Praxismanagement , Team Autor: Cornelia Kolbeck

Allein von Januar bis Juni 2022 gingen 175.430 Anzeigen wegen Verdacht auf Berufskrankheit bei Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ein. Allein von Januar bis Juni 2022 gingen 175.430 Anzeigen wegen Verdacht auf Berufskrankheit bei Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ein. © JeromeCronenberger – stock.adobe.com
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Viele Menschen leiden über COVID-19 hinaus deutlich an Nachwirkungen der Erkrankung. Auch die Folgen von Post bzw. Long COVID auf die Sozialsysteme werden allmählich sichtbar.

Sabine K. ist Allgemeinärztin und Chefin eines großen Teams. Trotz frühzeitiger Immunisierung erkrankte sie zweimal an COVID, im September 2021 und im Februar 2022. Beide Erkrankungen verliefen nahezu symptomlos. Ende letzten Jahres begannen jedoch die bis heute mehr oder weniger intensiv anhaltenden Langzeitauswirkungen, die sowohl das berufliche als auch das private Leben der Ärztin beeinflussen. Sie leidet aus der Ruhe heraus unter Luftnot, sie ist schnell erschöpft, die Kommunikation fällt ihr zum Teil schwer wegen Wortfindungsstörungen, sie hat Schwierigkeiten beim Verfolgen komplexer Gesprächsinhalte. Auch die Erinnerung ist beeinträchtigt, was sich unter anderem auf die Termin- und Arbeitsplanung auswirkt. Ein häufiger Satz ist inzwischen: „Bitte erinnern Sie mich, ich vergesse es sonst.“

Ursächliche Therapie fehlt

Bis zu 15 % der Coronainfizierten entwickeln nach durchgestandener Infektion ein Post-Covid-Syndrom“, teilt Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), anlässlich der BÄK-Stellungnahme „Post-COVID-Syndrom (PCS)“ mit. Unter PCS werden alle längerfristigen Gewebeschädigungen und strukturellen sowie funktionellen Schädigungen der Organe durch COVID subsumiert. Eine ursächliche Therapie des PCS fehle und weil es bislang nur wenige PCS-Zentren gebe, sei es für viele Patienten schwierig, Anlaufstellen mit adäquater Diagnostik, Behandlung und Einschätzung der Ausbildungs- oder Berufsunfähigkeit zu finden. So beschreibt der Wissenschaftliche Beirat der BÄK die Situation nüchtern. Die Experten betonen, dass den Patienten passgenaue Therapie- und Reha-Konzepte angeboten werden müssen, um die Rekonvaleszenzphase zu verkürzen. 

Verzögerungen, von denen alle Vorgänge betroffen sind

Im Mai stellte die Medizinerin, die mit ihrem Team auch Coronatests anbot bzw. anbietet, schließlich bei der Berufsgenossenschaft für Wohlfahrtsdienst und Gesundheitspflege (BGW) einen Antrag auf Anerkennung ihrer Coronaerkrankung als Berufskrankheit (BK). Vor Kurzem traf nach einigen kurzfristigen Rücksprachen der bestätigende Bescheid ein. Zugleich wurde Dr. K. darüber informiert, dass die BGW nun auch noch automatisch prüft, ob Anspruch auf eine Rehabilitationsmaßnahme bestehe. Wartezeit auf dieses Ergebnis: unbestimmt. Von einem „eigentlich unzumutbaren Zustand“ spricht die Ärztin. 

Sie ist offenbar nicht die einzige Unzufriedene und die BGW ist sich dessen auch bewusst. „Die hohen Meldezahlen bedeuten ... ein Arbeitsaufkommen von nie dagewesenem Ausmaß“, heißt es zur Erklärung. Dies führte zu Verzögerungen, von denen alle Vorgänge betroffen seien. „Obwohl wir tun, was wir können, uns zwischenzeitlich personell verstärkt haben und unsere Prozesse stetig optimieren, lässt sich angesichts dieser außergewöhnlich hohen Meldezahlen eine verzögerte Bearbeitung nicht immer verhindern“, bedauert Jörg Schudmann, Hauptgeschäftsführer der BGW. 

Allein von Januar bis Juni 2022 gingen 175.430 Anzeigen wegen Verdacht auf Berufskrankheit bei Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ein, das waren 40 % mehr Anzeigen als im Vorjahreszeitraum. Der Großteil der BK-Anzeigen betrifft die BGW, denn Beschäftigte im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege können COVID als Verdacht auf eine Berufskrankheit anmelden. In anderen Berufen ist COVID als Arbeitsunfall anzuzeigen. 

Für COVID-19 kommt laut BGW eine Berufskrankheit nach Nr. 3101 der BK-Liste in Betracht. Diese umfasst „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“. 

Geprüft wird dann im konkreten Fall: Liegt ein positiver Erregernachweis vor? Sind mindestens leichte COVID-19-Symptome vorhanden gewesen? Arbeitet die Person in einer Tätigkeit mit erhöhtem Infektionsrisiko und hatte sie dabei während der Inkubationszeit direkten Kontakt zu einer wahrscheinlich oder bestätigt mit SARS-CoV-2 infizierten Person? Auf den Nachweis einer konkreten Kontaktperson kann inzwischen verzichtet werden, wenn es sich um einen größeren Ausbruch im Unternehmen handelt.

Häufigkeit von Langzeit­folgen bisher noch unklar

Die Häufigkeit von Long COVID könne noch nicht verlässlich geschätzt werden, so das Robert Koch-Institut. Je nach Datenbasis, Falldefinition und Studienmethodik (wie z.B. der Dauer der Nachbeobachtungszeit, der Anzahl der erfassten Symptome und Gesundheitsprobleme oder dem Vorhandensein einer Kontrollgruppe) kämen unterschiedliche Studien zu sehr unterschiedlichen Schätzungen. Verwiesen wird auf ein Umbrella Review von 23 Übersichts- und 102 Originalarbeiten. Danach variierte der Anteil von Long COVID in Studien mit Erwachsenen ohne Hospitalisierung zwischen 7,5 % und 41 %. Bei Erwachsenen, die wegen einer COVID-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden mussten, wurden bei 37,6 % gesundheitliche Langzeitfolgen berichtet. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise darauf, dass sich die Häufigkeit von gesundheitlichen Langzeitfolgen je nach Virusvariante unterscheiden könnte.

Antragsmenge im ersten Halbjahr höher als 2021

„Wenn eine Berufskrankheit vorliegt, unternimmt die BGW alles Erforderliche, um Erkrankten zu helfen und sie wieder ins Berufs- und Sozialleben zu integrieren“, heißt es. Das gelte auch bei möglichen Langzeitfolgen. Allerdings stammte diese Nachricht vom Januar, als die große Antragsmenge noch nicht absehbar war. 

131.757-mal wurde der BGW im ersten Halbjahr 2022 der Verdacht auf eine Berufserkrankung im Zusammenhang mit COVID-19 gemeldet, deutlich mehr als im gesamten Jahr 2021 (111.126 Meldungen). 

Die Zahlen gehen aus einer im Oktober veröffentlichten Erhebung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hervor. Gut 86.000 Berufskrankheiten wurden hiernach im ersten Halbjahr 2022 anerkannt, darunter etwa 75.000 wegen COVID-19. Die meisten Anträge betreffen die BGW-Branchen Kinderbetreuung mit 37.835 Verdachtsmeldungen, Pflege mit 34.628 und Kliniken mit 23.794 Meldungen.

Medical-Tribune-Bericht

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