Anzeige

Frauen in der Medizin fördern „Es gibt Hindernisse, mit denen man nicht gerechnet hätte“

Praxismanagement , Team Autor: Cornelia Kolbeck

Bei Führungspositionen stehen Ärztinnen oft in hinterer Reihe. (Agenturfoto) Bei Führungspositionen stehen Ärztinnen oft in hinterer Reihe. (Agenturfoto) © carebott/gettyimages
Anzeige

Viel wurde schon geschrieben über den schwierigen Weg zur Karriere von Medizinerinnen, doch noch immer haben Männer häufiger das Sagen. Neue Umfrageergebnisse im Bereich der Onkologie zeigen, was sich im Sinne von mehr Frauenpower ändern müsste.  

„Die Hämatologie/Onkologie ist sicher eines der innovativsten Fachgebiete in der gesam­ten Medizin und wir sind natürlich sehr interessiert, exzellent Ausgebildete zu gewinnen und in der Karriere zu begleiten“, sagt Prof. Dr. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Dies sei eine klare Aufgabe der Fachgesellschaft, auch mit Blick auf den demografischen Wandel und künftig steigende Zahlen bei Krebserkrankungen, aufwendigere Therapien und Verlaufskontrollen. Umfrageergebnisse des Marburger Bundes, nach denen 25 % der Kolleginnen und Kollegen ihren Beruf aufgeben wollten, seien jedenfalls „sehr bedenklich“, meint Prof. Einsele. 

Studie zur (Nicht-)Parität zeigt hinderliche Faktoren

Frauen machen inzwischen mit einem Anteil von 64 % deutlich mehr als die Hälfte der Medizinstudierenden in Deutschland aus. In Leitungspositionen dagegen sind Ärztinnen weiterhin sichbar unterrepräsentiert. Beschrieben wurde das bereits in den DGHO-Positionspapieren „Gegenwart und Zukunft der Medizinischen Onkologie“ sowie „Paritätische Positionierung von Frauen in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie“. Die Frage, welche karriereförderlichen und -hinderlichen Faktoren es gibt, war zuletzt Ausgangspunkt einer Umfrage unter Mitgliedern der DGHO, der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie.  

Die Leiterin des Studienteams Maike Busson-Spielberger M. A. präsentierte die Ergebnisse. Diese zeigen einen nahezu unveränderten Stand bei der Parität bzw. Nicht-Parität gegenüber den Vorjahren. Arbeitsorganisation, Arbeitszeitmanagement und Führungskultur würden die Karriereoptionen von Ärztinnen und teilweise auch von Ärzten in der Hämatologie und Onkologie immer noch nicht in einem wünschenswerten und ausreichenden Umfang unterstützen, so ihr Resümee. Die Hürden sind u.a. zu viele Überstunden, schlechte Organisation der Arbeitsabläufe, zu wenig Zeit für Fort- und Weiterbildung, Einschränkung durch Kinderbetreuung, aber auch fehlendes Führungskräftetraining und fehlende Unterstützung durch Mentorinnen und Mentoren.

Gewünscht werden deshalb von den weiblichen Befragten laut Umfrage: flexible Arbeitszeiten (64,7 %), Homeoffice für Forschung, Befundung, Arztbriefe (58,4 %) sowie die Möglichkeit der leitenden Tätigkeit und der Facharztweiterbildung in Teilzeit (63,3 % bzw. 44,8 %). Weitere Erfordernisse sind: 

  • zeitlich flexible Hol- und Bringzeiten in der Kinderbetreuung (70,5 %)
  • Kinderbetreuungsangebote durch den Arbeitgeber (60,7 %)
  • eine an die Schulferien angepasste Arbeitsplanung (49,5 %)
  • Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Alter von unter einem Jahr (33,8 %)
  • Tagespflege-Angebote für zu pflegende Angehörige (13,4 %).

Wie die Team-Leiterin ausführte, werde vieles davon zunehmend auch von den männlichen Kollegen gewünscht.

Aktuell werde der Weg zu Führungpositionen für Frauen häufig noch mit großer Zurückhaltung betrachtet, führte Prof. Dr. Katja Weisel, zweite Vorsitzende des DGHO-Arbeitskreises „Frauen in der Hämatologie und Onkologie“, aus. Es gebe z.B. Vorurteile dahingehend, dass Frauen bei Rückkehr aus der Elternzeit nicht mehr so leistungsfähig seien wie zuvor; manche Kolleginnen glaubten das sogar selbst. 

Nötig seien eine strukturierte Förderung sowie ermutigende Maßnahmen, auch durch die jetzt Führenden, um eigene Hemmnisse bewusst zu machen und zu überwinden. Als Hilfe auf dem Karriereweg nannte die Ärztin Habilitationsprogramme mit Freistellungen, unbürokratischen Überbrückungslösungen bei Schwangerschaft sowie die Fortführung der Tätigkeit zu gleichen Konditionen nach wie auch vor der Elternzeit, zudem mehr Kinderbetreuungs­angebote und Möglichkeiten zum Jobsharing. „Wir können nicht alles von heute auf morgen verändern, aber wir können Impulse geben und damit sowohl auf institutioneller als auch auf kollegialer Ebene zu Diskussionen anregen“, betonte die Ärztin. Die Fachgesellschaft wolle mit ihren Positionspapieren und evidenzbasierten Umfrageergebnissen konkrete Anleitungen und Anregungen zur Umsetzung geben. 

Maßnahmen zur Förderung von Parität aus Sicht der DGHO

  • Bereitstellung eines aktuellen und transparenten Gendercontrollings
  • Steigerung des Frauenanteils in den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und ihren Gremien
  • Fortbildungsangebote für Ärztinnen zu Netzwerken, Gremien, kollegialer Beratung und Expertinnendatenbanken
  • Frauen-Mentoring-Programm (Ausweitung, Intensivierung) 
  • Verbindliche Rückkehrvereinbarungen für Ärzt:innen, die Elternzeit ­antreten
  • Diskriminierungsfreie Neuformulierung der Weiterbildungsordnung mit Teilzeitoptionen
  • Etablierung von Teilzeitoptionen für leitende ärztliche und wissenschaft­liche Tätigkeiten
  • Fortbildungsangebote für Führungskräfte zu zeitgemäßem Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmanagement
  • Fortbildungsangebote zu Sensibilisierung gegenüber Alltagssexismus
  • Beachtung des Gebots zur öffentlichen Ausschreibung freier Stellen, ­insbesondere freier oder freiwerdender oberärztlicher Stellen
  • Fortbildungsangebote zu Geschlechterrollenbildern und unconcious bias

An einem Beispiel aus der Praxis verdeutlichte Prof. Dr. Maike de Wit, Mitglied im Vorstand der DGHO, aktuelle Hürden. Sie sei für kurzfris­tige Tauschaktionen in Bezug auf Dienste schon nahezu abgemahnt worden, berichtete die Chefärztin am Vivantes Klinikum und dem Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin „und man glaubt nicht von wem, nämlich von unserem Betriebsrat“. Jede Änderung des Dienstplans müsse vorab gemeldet und genehmigt werden, was natürlich z.B. bei einem erkrankten Kind gar nicht möglich sei. Wenn man es zu oft mache, könne das zu ernsthaften Konsequenzen mit Anrufung der Schiedsstelle führen. „Das ist etwas, was ich meinen Mitarbeitenden nur schwer kommunizieren kann. Es gibt Hindernisse an Ecken, wo man nicht damit gerechnet hätte.“ Prof. Dr. Diana Lüftner, 1. Vorsitzende des DGHO-Arbeitskreises „Frauen in der Hämatologie und Onkologie“, spricht sich für eine finanzielle Unterstützung von Frauen-Fördermaßnahmen aus: „Geld zieht immer.“

Nachteile durch flexible Arbeitszeitmodelle

Dies sieht auch Dr. Juliane Knust, Krebsspezialistin an der Universitätsmedizin Göttingen, so. Bisher würde vor allem belohnt, wenn man sein Team mit Vollzeitstellen besetze, da es in der Arbeitsorganisation am Einfachsten sei, wenn jemand 24/7 vor Ort sein könne. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen sei man wegen höherer Kosten im Nachteil. „Ich würde mir deshalb wünschen, dass es Anreizsysteme gibt, die in einem klaren finanziellen Vorteil für die Klinik münden“, so Dr. Knust. Würde sich etwas nicht lohnen, werde es nicht gemacht.

Gelobt wurde übrigens die Unterstützung für Frauenkarriereziele der DGHO durch die männlichen Kollegen. „Ohne diese wären wir heute nicht einmal da, wo wir jetzt sind“, betonte Prof. Weisel und verwies als Vorbild auch auf DGHO-Vorstand Prof. Dr. Carsten Bokemeier, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Diese Kollegen lebten die Unterstützung in ihren eigenen Arbeitsbereichen. Es gebe aber eben immer noch Licht und Schatten bei der paritätischen Besetzung von Stellen. „Wir brauchen noch mehr männliche Kollegen, die sich dazu bekennen und die Förderung auch proaktiv wollen – und nicht nur auf Anforderung reagieren.“

Quelle: DGHO-Pressekonferenz

Anzeige