Anzeige

RSV-Immunisierung Erstattungsfrage ungewiss

Verordnungen Autor: Michael Reischmann

2021 betrug hierzulande die Inzidenz einer RSV-Hospitalisierung 13,3 pro 1.000 Kinder im Alter bis zwei Jahre.  2021 betrug hierzulande die Inzidenz einer RSV-Hospitalisierung 13,3 pro 1.000 Kinder im Alter bis zwei Jahre.  © zilvergolf – stock.adobe.com
Anzeige

Fast jedes Kind macht in den ersten beiden Lebensjahren eine RSV-Infektion durch. In den meisten Fällen verläuft diese harmlos. Im letzten Winter hatten Kinderkliniken allerdings ungewöhnlich viele schwere Atemwegs­erkrankungen zu behandeln. Ob eine Immunisierung eine Wiederholung vermeiden kann, ist unklar. Denn die Erstattungsfrage ist noch unbeantwortet. 

Prof. Dr. Reinhard Berner ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden. Das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) begleitet ihn seit Jahrzehnten bei seiner Arbeit. Eine Erkrankungswelle wie im Winter 2022/23 habe er aber noch nicht erlebt, berichtet er. Die Zahl der schwer erkrankten Kinder habe seine Klinik – wie andere auch – an die Grenzen der Kapazitäten bei Geräten zur Atem­unterstützung sowie beim betreuenden Personal gebracht. Dass dies ein Nachholeffekt nach den Coronajahren war, klingt plausibel. „Aber es ist nicht so, dass es vorbei wäre“, ist der Arzt überzeugt. RSV bleibe ein relevantes Thema für die Kinderkliniken.

Macht ihm die Aussicht auf ein neues Arzneimittel zur passiven Immunisierung von Neugeborenen und Säuglingen oder die Impfung von Schwangeren, die selbst gebildete Antikörper über die Plazenta weitergeben, Hoffnung auf deutlich weniger Krankenhausfälle? Seine Einschätzung fällt nüchtern aus.

Das Pharmaunternehmen Sanofi kündigt für Herbst die hiesige Markteinführung des monoklonalen Antikörpers (mAK) Nirsevimab an. Obwohl das Produkt gespritzt wird, ist es kein Impfstoff, sondern ein Arzneimittel zur passiven RSV-Immunisierung. 

Nirsevimab muss nur einmal gegeben werden 

Es zielt darauf ab, den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern bzw. schwere Verläufe zu vermeiden. Ein Vorteil gegenüber dem seit 1999 verfügbaren Mittel Palivizumab ist, dass es nur einmal statt fünfmal gegeben werden muss. Der Schutz halte für mindestens fünf Monate. Für einen Einsatz von Nirsevimab als Primärprävention in der ersten RSV-Saison von Säuglingen spreche, dass 72 %, die RSV-assoziiert hospitalisiert werden, „gesunde Reifgeborene“ sind. 2021 betrug hierzulande die Inzidenz einer RSV-Hospitalisierung 13,3 pro 1.000 Kinder im Alter bis zwei Jahre. 

Allerdings tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kos­ten für ein Arzneimittel nur dann, wenn dieses eine Krankheit heilt, eine Verschlimmerung verhindert oder Beschwerden lindert. Präparate zur Primärprävention zielen jedoch darauf ab, bei Gesunden das Risiko zu reduzieren, überhaupt zu erkranken. „Aus diesem Grund werden Arzneimittel zur Primärprävention normalerweise nicht von der GKV erstattet“, teilt eine G-BA-Sprecherin mit.

Prof. Berner vermutet deshalb, dass sich der Einsatz von Nirsevimab wie bei Palivizumab nur auf Kinder mit bestimmten Risiken erstrecken wird. Bislang sind das z.B. Frühchen und Kinder mit chronischer Lungen- oder angeborener Herzerkrankung. Eine Immunisierung aller Neugeborenen – 2022 waren es hierzulande 739.000 – erscheint dem Kinderarzt aufgrund des absoluten Effekts nicht naheliegend. Die RSV-Hospitalisierungsrate wegen einer Infektion der unteren Atemwege sinkt laut ­HARMONIE-Studie von 1,5 % (ohne Intervention) auf 0,3 % bei Gabe des mAK bzw. bei sehr schweren Infektionen von 0,5 % auf 0,1 %. Relativ ergibt das eine Wirksamkeit von 83 % bzw. 76 %. 

Der G-BA deutet an, wie es weitergehen könnte: Für Palivizumab hat er einen Therapiehinweis beschlossen, der in Anlage IV der Arzneimittel-Richtlinie zu finden ist. „Solche Therapiehinweise konkretisieren das Wirtschaftlichkeitsgebot; sie sind von den Vertragsärzten zu beachten“, unterstreicht der G-BA. Die Hinweise betreffen Zulassung, Wirkung, Wirksamkeit, Risiken sowie Kosten und enthalten Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnung plus ggf. zu notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. 

Wie dem Therapiehinweis zu Palivizumab zu entnehmen sei, gehe der G-BA bisher zumindest für einen Teil der passiv zu immunisierenden Kinder davon aus, dass es sich bei der Gabe eines RSV-Antikörpers um eine „erstattungsfähige Sekundärprophylaxe“ handelt, teilt die Sprecherin mit. Daher werde Nirsevimab mit der Markteinführung dem AMNOG-Verfahren zugeordnet und bewertet werden. „Wann genau dieser Prozess startet, hängt vom tatsächlichen Markteintritt des Herstellers ab.“

Bei Markteinführung steht AMNOG-Verfahren an

Das BMG teilt auf Anfrage mit, dass es prüfe, „inwiefern es hinsichtlich der Erstattung von Arzneimitteln zur spezifischen Prävention übertragbarer Krankheiten (passive Immunisierung) gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt“. Zur Entwicklung der besten RSV-Präventions­strategie für gesunde Kinder werde derzeit von der STIKO die verfügbare Evidenz zu Impfungen und Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe aufgearbeitet. Das bilde die Basis für eine STIKO-Empfehlung – die aber nicht automatisch zu einer Leistungspflicht der GKV führt. 

Das BMG führt aus: Da sich neben Nirsevimab erste RSV-Impfstoffe zur aktiven Immunisierung von Schwangeren, über deren Antikörper das Neugeborene geschützt werden soll, im Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelbehörde befänden, könne „noch nicht vorhergesagt werden, welche Strategie zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Säuglingen empfohlen werden wird“.  Mit einer finalen Empfehlung sei 2024 zu rechnen. 

Doch auch bezüglich der Breitenwirkung einer alternativen Impfung von Schwangeren äußert sich DGKJ-Vorstandsmitglied Prof. Berner vorsichtig: Schon bei der Influenza-Impfung zeige sich eine große Zurückhaltung bei werdenden Müttern und Frauenärzten.

Wenn für den mAK nur eine Sekundärprophylaxe als GKV-Leistung vorgesehen wird, müssten Eltern, die ihr gesundes Kind gegen RSV immunisiert wissen möchten, das Mittel aus der eigenen Tasche bezahlen. Noch ist der Preis des Produkts nicht bekannt. Möglicherweise übernehmen auch einzelne Krankenkassen eine Erstattung der Kosten als Satzungsleistung. Pädiater werden also vermutlich Eltern raten, zunächst bei ihrer Krankenkasse nachzufragen.  

Medical-Tribune-Bericht

Medical Tribune vor Ort: Im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Markus Knuf

Anzeige