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Krankschreibung per WhatsApp für 9 Euro

Verordnungen Autor: Anouschka Wasner

Private Arztbesuche als Beispiel für den Beginn einer Zwei-Klassen-Medizin? Private Arztbesuche als Beispiel für den Beginn einer Zwei-Klassen-Medizin? © iStock/Lesia_G; iStock/Reenya; iStock/davidcreacion
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Krankschreibungen gibt‘s bei AU-Schein.de für neun Euro direkt aufs Handy und den Arztbesuch „bei medizinischen Beschwerden aller Art“ bei den Alpha-Ärzten auf Privatrechnung. Der Gesundheitsmarkt gilt als renditeversprechend und lockt geschäftstüchtige Dienstleister auf den Plan – berufsrechtlich ist das Eis möglicherweise dünn.

Natürlich muss man unterscheiden zwischen den verschiedenen Akteuren, die da gerade auf den Gesundheitsmarkt drängen wollen: Es gibt unternehmerisch denkende Ärzte, die Praxen verzweigen und Angebote erweitern; daneben gibt es Investoren, die Praxisketten bilden und sich irgendwo zwischen Synergiennutzung und Profitmaximierung bewegen. Und es gibt natürlich Geschäftemacher. Aber wie auch immer man sie definiert – eines gilt für alle: das Berufsrecht.

Ärztekammer prüft nach berufsrechtlichen Kriterien

Für das Berufsrecht sind bekanntlich die Kammern zuständig. In Hessen hält es die Kammer jetzt für geboten, sich zu einem dieser Anbieter zu positionieren. Das Unternehmen Alpha Medical Management GmbH bietet privatärztliche Hausbesuche an. Die Alpha-Ärzte kommen quasi auf Pfiff zum Patienten, fast egal warum und überall hin: nach Hause, ins Büro, ins Hotel. Bis zu 180 Euro kann so ein Besuch kosten. Das ist nicht wenig. Trotzdem ist das Unternehmen – ausgehend von Hessen – am Expandieren: Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Mainz, Hamburg, Nürnberg, demnächst auch Berlin und München.

Aktuell gebe es ca. 20 Dienstleis­tungsvereinbarungen mit Ärzten. Deren Verdienstmöglichkeiten ergäben sich aus der GOÄ und entsprächen dem, was ein Hausarzt bei einem Hausbesuch verdiene, so das Unternehmen.

Für Katja Möhrle, Pressesprecherin der Landesärztekammer Hessen, bestehen Zweifel, ob dieses Modell legal ist. Dabei bezieht sie sich auf § 17 der Berufsordnung, der die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit an die Niederlassung in einer Praxis bindet, und auf § 3 des Heilpraktikergesetzes, der die Ausübung von Heilkunde im Umherziehen untersagt. Auch die Kostenerstattung sei an eine Niederlassung gebunden, sagt sie, unabhängig davon, ob es sich um eine private oder um eine gesetzliche Leis­tung handele. Und insbesondere die medizinische Notwendigkeit müsse genauer betrachtet werden. „Wir sehen das Angebot der Alpha-Ärzte kritisch und prüfen es derzeit unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten“, so die Sprecherin.

Rechtsanwalt Dirk R. Hartmann aus Wiesbaden kann diese Zweifel nachvollziehen. Nach der Berufsordnung sei die ärztliche Tätigkeit grundsätzlich nur innerhalb der Räume einer Praxis zulässig, spezifiziert er. Dabei gelten die Voraus­setzungen für einen Hausbesuch als gegeben, wenn der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, eine Praxis aufzusuchen. Die Website des Anbieters verspricht dagegen Besuche „bei medizinischen Beschwerden aller Art“, anlässlich eines Basis-Check-up genauso wie zur Überprüfung der Medikamentendosis. Genauso bemerkenswert sei, dass auf der Homepage eine Pauschale von 180 Euro angeboten werde. „Ungeachtet der Erstattungs­praxis der Kostenträger ist jeder privatärztlich tätige Arzt verpflichtet, seine Leistungen nach den Vorgaben der GOÄ abzurechnen. Das schließt eine Pauschale aus“, betont der Anwalt.

KV spricht von Parallelstruktur zum Bereitschaftsdienst

Kritische Stimmen gibt es auch grundsätzlicher Natur. Karl Roth, Sprecher der KV Hessen, kann nicht verstehen, wozu diese Parallelstruktur zum Bereitschaftsdienst aufgebaut wird. Die Verbreitung solcher Dienste fördere die Etablierung medizinischer Strukturen, die vom Einkommen der Patienten abhängig sind. „Wenn man irgendwann mal in der Rückschau ein gutes Beispiel für den Beginn einer wirklichen Zwei-Klassen-Medizin sucht, dann dürften die Alpha-Ärzte ein gutes Beispiel dafür sein.“

Für Privatpatienten sind die Kosten offensichtlich das kleinere Problem. Denn die privaten Krankenversicherer scheinen diesen ärztlichen Dienstleistungen offen gegenüber zu sein – vermutlich weil sie sich darüber weniger Krankenhauseinweisungen versprechen. So räumt die Debeka auf MT-Anfrage zwar ein, dass solche Dienstleis­tungsanbieter nicht unter den privaten Versicherungsschutz fallen. Im Interesse der Mitglieder würde man aber die Kosten „eines erforderlichen und durch einen Dienstleistungsanbieter organisierten ärztlichen Hausbesuchs“ erstatten. Voraussetzung dafür sei neben der medizinischen Notwendigkeit des ärztlichen Besuchs, dass die Rechnungsstellung auf der Grundlage der GOÄ erfolgt.

Auch die Privatversicherung der DKV steht grundsätzlich ein für Netzwerke von Ärzten im Bereitschaftsdienst, wenn eine nach GOÄ spezifizierte Rechnung eingereicht wird. Entstünde der Verdacht auf eine übermäßige Inanspruchnahme, habe man die Möglichkeit, die medizinische Notwendigkeit zu prüfen, so ein Sprecher. Gleichzeitig wirbt die Kasse bei ihren Ver­sicherten für einen ähnlichen Dienst, Medlanes.

Die Idee für das digitale Health-Start-up stammt von dem Mediziner Dr. Emil Kendziorra und dem Informatiker Erik Stoffregen. Seit Mitte 2016 bietet das Unternehmen Hausbesuche an. Heute liegen sie nach eigenen Angaben bei deutlich über zehntausend Terminen pro Jahr und es gibt einige Hundert Ärzte, die für sie in freier Zeiteinteilung Hausbesuche machen, 60 % davon Allgemeinmediziner. Auch bei diesem Unternehmen liegt der Fokus in den großen Städten.

Der Dienstleister bietet auf seiner Homepage Hausbesuche „im Falle von gesundheitlichen Beschwerden“ an, aber auch für Impfungen oder die regelmäßige Betreuung von chronisch Kranken. Die für das Start-up auf Hausbesuch gehenden Ärzte sind nach Angaben des Unternehmens ausnahmslos niedergelassen, sodass bezüglich des verbotenen „Umherziehens“ keine Probleme mit Berufsordnung oder Abrechnung entstehen.

Größter Anteilseigner: eine Kette von Schönheitskliniken

Auch die Alpha-Ärzte präsentieren sich mit einem jungen Mediziner in der Geschäftsführung, Raphael Weiland. Er teilt sich die Geschäftsführung mit Peter Adam Resnitzek, der diese Funktion zunächst alleine innehatte. Marktinsidern ist sein Name bestens bekannt.

Mit über 65 % gehört deutlich über die Hälfte der Alpha Medical Management GmbH zur Klinikkette S-thetic, einem Unternehmen mit 16 Behandlungsstandorten. Auch hier ist Resnitzek in der Geschäftsführung. Weitere 25 % sind im Besitz der Beteiligungsgesellschaft Auxilto, an der mehrheitlich der ehemalige Stada-CEO Hartmut Retzlaff beteiligt ist. Und 10 % gehören Professor Dr. Thorsten Maier, der seinen Professorentitel eigenen Angaben zufolge als Associate Professor in Pharmacology in Aarhus erworben hat. Von ihm stammt vermutlich auch die Geschäftsidee.

Ähnlich neu am Start ist auch die Dr. Ansay AU-Schein GmbH aus Hamburg mit ihrem Angebot, bei Erkältung die „AU-Bescheinigung einfach online per Handy nach Hause“ zu schicken. Kontakt zum Arzt gibt es weder persönlich noch am Telefon noch über Videoschaltung. Einzig ein Online-Formular trennt den Patienten von der ärztlichen Bescheinigung per WhatsApp. Auch hier haben die zuständigen Ärztekammern Schleswig-Holstein und Hamburg aufgrund rechtlicher Fragen zunächst von einer Nutzung des Dienstes abgeraten. Und auch die Bundesärztekammer mahnt in diesem Zusammenhang die notwendige Sorgfalt an bei der ärztlichen Krankschreibung.

Zeitlich parallel hierzu wurden Ende vergangenen Jahres Pläne der Allianz Private Krankenversicherung bekannt, einen Hausbesuchsnotdienst für privat versicherte Kinder anzubieten. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte stellt sich geschlossen gegen das Projekt. „Mit uns nicht! Alle Kinder haben ein Recht auf bestmögliche medizinische Versorgung!“, titelten sie ihren Protest.

Eine Sprecherin des Hessischen Gesundheitsministeriums betont, dass privatärztliche Versorgungsangebote grundsätzlich ein zulässiges Angebot seien, sofern die berufsrechtlichen Vorgaben beachtet würden. Die gesetzlichen Regelungen hierzu seien ausreichend. Stelle eine Landesärztekammer Verstöße fest, so könnten diese in Berufsgerichtsverfahren geahndet werden.

Medical-Tribune-Recherche

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