LUTS

Definition

Unter „Lower urinary tract symptoms“ (LUTS), fasst man ein Spektrum an urologischen Symptomen im Bereich des unteren Harntrakts zusammen. Dazu gehören Symptome der Speicher- und Entleerungsphase sowie Symptome der überaktiven Blase (overactive bladder, OAB; Reizblase).

Die Ursachen sind vielfältig. Bei Männern ist die Hauptursache eine benigne Prostatahyperplasie (BHP), die zu einer subvesikalen Obstruktion und damit zu einer Blasenauslassobstruktion (bladder outlet obstruction, BOO) führt. Weitere Ursachen können u. a. Strikturen, Blasenhalsobstruktionen oder Detrusor-Sphinkter-Dysregulationen sein.

Neben diesen Ursachen scheinen weitere Faktoren wie Alter, metabolische Komorbiditäten, Atherosklerose des Urogenitalstrakts, Depressionen, Medikamentenabusus, Leberzirrhose und erektile Dysfunktion mit LUTS zusammenzuhängen.

Ältere Frauen weisen ähnlich hohe Beschwerdescores (IPSS, international prostate symptom score) auf wie Männer, obwohl diese hier seltener durch Blasenausgangsstörungen bedingt sind. Häufiger liegt hier eine überaktive Blase (OAB) mit Drangsymptomatik und erhöhter Harnfrequenz bei Tag und Nacht (mit oder ohne Dranginkontinenz) vor, die aber auch bei Männern häufiger nachzuweisen ist.

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Symptomatik

Speicherbeschwerden (irritative Symptome)

  • Pollasikurie (erhöhte Miktionsfrequenz am Tag)
  • Nykturie (Notwendigkeit der Miktion in der Nacht)
  • Dranginkontinenz (plötzliches Bedürfnis des Harnlassens, ohne es unterdrücken zu können)
  • Stressinkontinenz (unwillkürliche Miktion bei Anstrengung, Husten, Niesen)
  • Mischinkontinenz (Dranginkontinenz plus Stressinkontinenz)

Miktionsbeschwerden (obstruktive Symptome)

  • Dysurie (Schmerzen bei der Miktion)
  • schwacher Harnstrahl
  • „Splitting and Spraying“ (Harnstrahl ist geteilt oder schwer kontrollierbar)
  • intermittierende Miktion (Urinstrahl stoppt während der Miktion und beginnt dann wieder)
  • verzögerte Miktion (nach Initiation der Miktion wird erst verspätet uriniert)
  • erschwerte Miktion (es müssen zusätzlich Abdominalmuskeln eingesetzt werden)
  • Nachtropfen am Ende der Miktion

Postmiktionsbeschwerden

  • Gefühl der unvollständigen Miktion
  • unwillkürlicher Harnverlust nach dem Urinieren
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Untersuchung

Die Ausprägung der Symptomatik und des Leidensdruckes wird mit dem International Prostata Symptom Score (IPSS) erfasst (auch bei Frauen). Die Patienten können dabei 0–5 Punkte vergeben (0=niemals, 5=immer).

1. Wie oft haben Sie das Gefühl, dass ihre Blase nach dem Wasserlassen nicht vollständig entleert ist?

2. Wie oft müssen Sie innerhalb von zwei Stunden ein zweites Mal Wasserlassen?

3. Wie oft müssen Sie beim Wasserlassen mehrmals aufhören und wieder neu beginnen? (Harnstottern)

4. Wie oft hatten Sie Schwierigkeiten, das Wasserlassen hinauszuzögern?

5. Wie oft hatten Sie einen schwachen Strahl beim Wasserlassen?

6. Wie oft müssen sie pressen oder sich anstrengen, um mit dem Wasserlassen zu beginnen?

7. Wie oft sind Sie im Durchschnitt nachts aufgestanden, um Wasser zu lassen?

8: Wie würden Sie sich fühlen, wenn sich ihre jetzigen Symptome beim Wasserlassen künftig nicht mehr ändern würden (0=ausgezeichnet, 5=sehr schlecht)?

  • 0–7 Punkte : milde Symptomatik
  • 0–19 Punkte: mittelschwere Symptomatik
  • 20–35 Punkte schwere Symptomatik

Männer:

Die vergrößerte Prostata kann sich rektal tasten lassen. Typisch für die benigne Vergrößerung ist eine symmetrische prallelastische Größenzunahme mit guter Abgrenzbarkeit.

Frauen:

Untersuchung des äußeren Genitales/vaginale Einstellung:

  • Atrophiezeichen
  • Hautirritation, -infektion
  • Deszensus
  • Prolaps
  • Fistelöffnungen
  • Beckenbodentonus (Kontraktilität und Relaxationsfähigkeit)
  • abdominelle Resistenzen (bimanuelle Untersuchungen)

Neurologische Untersuchung

  • Störungen der Sensibilität in den Dermatomen S2–S5 (sog. Reithosengebiet) als Hinweis für neurogene Läsionen
Labor

Der erste Schritt sollte die Erhebung einer allgemeinen und urologischen Anamnese inklusive Miktionsanamnese, früherer urologischer Operationen oder Erkrankungen und gynäkologischer Erkrankungen sein. Dabei sollten auch Hinweise auf Trigger für Beschwerden, Dauer, Schweregrad der Symptome und Risikofaktoren (metabolische oder neurologische Erkrankungen) sowie Medikamente mit urologischen Nebenwirkungen (Anticholinergika, Antidepressiva, Neuroleptika oder Sympathomimetika) abgefragt werden.

Urinanalyse:

  • harnpflichtige Stoffe (Kreatinin, Harnstoff)
  • Eiweiß (Proteinurie)
  • Blut (Mikro-/Makrohämaturie)
  • Blutzucker (Glukosurie)
  • Leukozyten (Entzündung)
  • Nitrit (Indikator für Bakterien, Harnwegsinfekt)

Laboruntersuchungen

  • Nierenfunktionsparameter
  • Blutzucker, HbA1c (Ausschluss Diabetes)
  • bei Männern PSA (Ausschluss Prostatakarzinom)

Miktionsprotokoll

  • über mindestens 24 Stunden Aufzeichnung von Miktionszeiten, Urinvolumen, Inkontinenzepisoden und Flüssigkeitseinnahmen

Weiterführende Untersuchungen:

Nichtinvasiv:

  • Uroflowmetrie (Bestimmung des maximalen Urinflusses (Q max ))
  • Sonographie der Harnblase (morphologische Beurteilung der Blase, Restharnbestimmung)

Invasiv:

  • Urodynamik (Zytometrie, Druck-Fluss-Studien zur Diagnose einer Blasenentleerungsstörung und unwillkürlicher Detrusorkontraktionen)
  • Bestimmung der Harnblasenkapazität
  • Bestimmung der Harnblasensensitivität (gesteigert z.B. bei hyperaktiver Blase, reduziert bei Neuropathien, Schmerzen bei der Blasenfüllung bei interstitieller Zystitis)
  • Detrusordruck
  • Harnblasen-Compliance
  • urethraler Widerstand
  • Detrusor leak point pressure (Detrusordruck, mit dem der Harn aus der Harnröhre gefördert wird – insbesondere bei neurologischen Blasenstörungen wichtig)
  • Valsalva leak point pressure (Harnverlust bei Valsalva-Manöver zu Nachweis einer Belastungsinkontinenz)
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Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden müssen mögliche organische Ursachen der Symptomatik (z.B. BPS, Prostatakarzinom, neurologische und gynäkologische Erkrankungen) sowie Harnwegsinfektionen.

Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Bei geringer Symptomatik können Allgemeinmaßnahmen ausreichen:

  • Reduktion der Flüssigkeitsaufnahme vor dem Schlafen
  • Vermeidung von Genussmitteln mit diuretischem Effekt (Koffein und Alkohol)
  • ggf. Biofeedbackübungen für das Training des Beckenbodens

LUTS in Folge einer benignen Prostatahyperplasie:

(siehe auch Benigne Prostatahyperplasie)

Konservative Therapie:

Mittel der Wahl bei pharmakologischer Therapie sind α-Adrenorezeptorblocker, 5α-Reduktasehemmer oder eine Kombination beider Wirkstoffe.

Operative Therapie:

Maßnahmen zur Verkleinerung der Prostata wie transurethrale Resektion der Prostata (TURP), minimalinvasive ablative Methoden (z.B. Lasertherapie) oder offene Prostatektomie.

Überaktive Blase (OAB)

Mittel der Wahl sind Anticholinergika, die die unwillkürlichen Kontraktionen des Detrusormuskels reduzieren. Die Indikation für eine Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der hyperaktiven Blase, der Obstruktion und des Restharnvolumens.

Keine BOO und niedriges Restharnvolumen: Anticholinergika

Keine BOO und hohes Restharnvolumen: Anticholinergika und ggf. zusätzlich Obstruktionschirurgie, Biofeedback-Verfahren

BOO und niedriges Restharnvolumen: α-Adrenorezeptorblocker mit oder ohne Anticholinergika, alternativ operative Therapie

BOO und hohes Restharnvolumen: Anticholinergika kontraindiziert, medikamentöse oder operative Therapie

Refraktäre hyperaktive Blase: Neuromodulation des Beckens via Elektrostimulation oder Botulinumtoxin zur Muskelrelaxation

(siehe auch Harninkontinenz)

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Prävention

Einen generelle Prävention ist nicht bekannt.

Leitlinien

Quelle:

Markus Margreiter und Shahrokh F. Shariat; Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS), Springer Meidzin, eMedPedia; https://www.springermedizin.de/emedpedia/die-urologie/lower-urinary-tract-symptoms-luts?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-41168-7_139

Leitlinien:

S2e-Leitlinie "Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie"

S2e-Leitlinie „Konservative und medikamentöse Therapie des benignen Prostatasyndroms“

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